Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Die Schweiz tut sich schwer mit Geostrukturen

Autoroute cassée
Erdrutsche und Überschwemmungen: Die an der EPFL erfundene Technik könnte eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Bodens spielen. Keystone

Ein Schweizer Wissenschaftler gewinnt einen internationalen Preis für ein avantgardistisches Buch über Bodenmechanik. Doch in der Schweiz fasst die neue Technologie nur schwer Fuss.

Was ist das Besondere an diesem Buch? «Das müsste man die Jury für den Prix RobervalExterner Link fragen.» Lyesse Laloui, der Direktor des Labors für Bodenmechanik (LSMExterner Link) der EPFL, bleibt bescheiden – trotz seines Erfolgs: Im Januar hat er zusammen mit seinen Kollegen Laurent Vuillet und Jian Zhao in Paris einen internationalen Preis für die Förderung und Verbreitung von Wissenschaft und Technologie in der französischen Sprache gewonnen. Eine Auszeichnung, die vor ihm auch schon Nobelpreisträger erhalten haben.

Das Werk trägt den nüchternen Titel Mécanique des sols et des rochesExterner Link. [Boden- und Felsmechanik]. Das Besondere an diesem Buch ist die Kombination von Boden- und Felsmechanik, die normalerweise getrennt behandelt werden. Vor allem aber beleuchtet es Themen, die bisher eher auf hochspezialisierte Publikationen beschränkt waren, und nicht unbedingt für Bücher, die sich an Studierende, Ingenieure oder Bauherren richten. Das heisst Fragen, die einen Zusammenhang haben mit Energie, Naturgefahren und Umwelt», erklärt Professor Laloui.

Seit etwa einem Jahrzehnt betrachtet man die Fundamente eines Gebäudes oder eines Tunnels nicht mehr nur unter dem Aspekt der Stabilität. Man versucht heute auch, die Tatsache, dass man unter der Erdoberfläche ist, für die Gewinnung von Energie zu nutzen. Auch den Umweltaspekten wird vermehrt Achtung geschenkt.

Die Wärme aus den Fundamenten

Konkret kann die Erdwärme direkt über die Fundamente von Gebäuden genutzt werden, indem mit einer Flüssigkeit gefüllte Leitungen in die Betonpfeiler integriert werden, die das Gebäude im Untergrund verankern. Der Flüssigkeitskreislauf dieser Pfeiler ist an ein Wärmepumpensystem angeschlossen, das für Wärme im Winter und Kühlung im Sommer sorgt.

Das Bodenmechanik-Labor der EPFL gehört zu den Pionieren dieser Technologie, die als Geostrukturen bezeichnet werden. Trotz einigen gelungenen Umsetzungen, wie zum Beispiel beim neuen Terminal am Flughafen Zürich, hat die Technologie in der Schweiz bisher Mühe, wirklich Fuss zu fassen.

Weshalb? Widerstand aus der Politik, der Wirtschaft oder einfach nur Macht der Gewohnheit? «Etwas von all dem», antwortet Laloui. «Ein politischer Impuls, der von hoch oben kommt, wäre natürlich sehr hilfreich», sagt er. Und verweist auf das Beispiel London: Die Stadt versenkte innerhalb von wenigen Jahren schon mehr als 5000 solcher Energiepfähle im Boden, sicher ein Weltrekord.

So weit kam es, weil ein früherer Bürgermeister der Stadt verfügt hatte, dass vor dem Bau öffentlicher Gebäude eine Studie zur Nutzung von Energiepfählen durchgeführt werden musste. Da sich in den meisten Fällen zeigte, dass sich diese Technologie auszahlt, verbreiteten sich Energiepfähle dort so stark.

Die Briten entwickelten in dem Bereich eine solche Expertise, dass sich Google beim Bau seines neuen Campus in Kalifornien, der mit 2500 Energiepfählen ausgerüstet ist, in London nach dem bestqualifizierten britischen Unternehmen umsah und dieses zu Hilfe zog.

Die Schweiz hingegen weist bei dieser Technologie, bei deren Entwicklung sie von Anfang an mit dabei war, heute einen erheblichen Rückstand auf, was Laloui sehr bedauert. Sein Labor ist beteiligt am Bau von 13 Metro-Stationen in Paris mit Geostrukturen; die Arbeiten erfolgen im Rahmen der für die Olympischen Spiele von 2024 geplanten Linienerweiterungen der Metro. Für die dritte Metro-Linie in Lausanne zeichnet sich hingegen zum Beispiel nichts Ähnliches am Horizont ab.

«Fehlender politische Wille», erklärt der Professor. «Dazu kommt, dass die Architekten in ihrer Herangehensweise oft ziemlich traditionell sind. Man muss ihnen die neue Technologie erklären, sie davon überzeugen, diese einzusetzen, auch wenn sie an etwas anderes gewöhnt sind.»

Das ist umso schwieriger, als der Bau von Fundamenten mit Geostrukturen mehr kostet als traditionelle Fundamente. Mittelfristig (in der Grössenordnung von einigen Jahren) werden sie jedoch wirtschaftlich günstiger als traditionelle Fundamente und werden für den Rest der Lebensdauer eines Gebäudes (mindestens 50 Jahre) nahezu kostenlose Energie liefern.

Laloui ist überzeugt, dass sich die Dinge wandeln werden. Ausgehend von Kalifornien hat der Impuls im Rest der USA an Dynamik gewonnen und auch Europa erreicht. So hat die EU etwa eine StrategieExterner Link für Niedrigstenergie-Gebäude ab 2020 erlassen.

Wenn CO2 wieder zu Gestein wird

Auch bei der Speicherung von CO2 im Boden, einem weiteren Kompetenzbereich des LMS, stösst Innovation auf die Macht der Gewohnheit. «Quantitativ betrachtet ist dies bei weitem die beste Methode zur Eliminierung dieses Gases», erklärt Laloui. In Japan, Kanada und den USA geschehe dies bereits, am weitesten fortgeschritten in diesem Bereich sei man aber in Norwegen. «Die CO2-Produzenten müssen für die Abscheidung des Gases zahlen, während der Staat die Kosten für Transport und Lagerung im Boden (Sequestrierung) übernimmt.» Einmal mehr zeigt sich die Macht des politischen Willens.

Und dieser fehlt in der Schweiz auch in diesem Bereich. «Als wir vor 4 oder 5 Jahren damit begonnen haben, wollten wir eine Testanlage bauen, wie dies Deutschland zum Beispiel vor den Toren Berlins getan hat», erklärt der LMS-Direktor. «Um eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen, ist es wichtig, zeigen zu können, dass eine Methode funktioniert. Das Bundesamt für Energie finanzierte unsere Analysen, aber das Bundesamt für Umwelt gab sich sehr zurückhaltend.»

Ganz zu schweigen davon, dass in der Schweiz der Untergrund den Kantonen gehört, was die Verabschiedung einer nationalen Regelung nicht leichter macht. Schliesslich erhielt die Gruppe von Labors, zu denen das LMS gehört, nur die Bewilligung für zwei klein angelegte Versuche zur CO2-Sequestrierung in zwei bereits bestehenden unterirdischen Labors an der Grimsel und am Mont Terri, im Jura. Laloui bedauert dies sehr, denn die Technologie sei gut entwickelt, und die Schweiz sei daran, in einem Bereich, in dem sie eine Pionierrolle spielen könnte, ins Hintertreffen zu geraten.

Und wie sieht es mit den Auswirkungen dieser Technologie auf die Umwelt aus? Hier stellen sich nach Ansicht des Professors keine Probleme: Bei den Temperaturen und dem Druck in einer Tiefe von 1 Kilometer werde das Volumen von Kohlendioxid 500 Mal kleiner, und das Gas werde schliesslich wieder zu dem werden, was es war, bevor es als Kohlenwasserstoff aus dem Boden extrahiert worden war, nämlich zu Gestein.

Biozement zur Stabilisierung

Es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem die Schweiz eine Pionierin sein könnte. Und hier ist noch alles offen, denn die Technologie befindet sich erst in der experimentellen Phase und das LMS hat keine Konkurrenten. Das Labor hat die Technologie nicht nur erfunden – sondern auch patentiert.

Es geht um die «biologische Nachbesserung» von Böden, um diese widerstandsfähiger zu machen, sowohl was das Gewicht von Gebäuden angeht als auch gegen Erdrutsche – ein Thema, das äusserst aktuell ist.

Das Prinzip: Ein Bakterium wird in den Boden gespritzt und verdichtet diesen durch die Bildung feiner, widerstandsfähiger, kristalliner Verbindungen. Der Ansatz ist wirtschaftlicher und ökologischer als die Hochdruck-Zementeinspritzungen von heute; man beginnt mit der Isolierung der an einem Standort bereits vorhandenen Bakterien, vermehrt diese und bringt sie dann in grösseren Mengen als biologischen Arbeitsstoff wieder in den Boden ein. Man gibt der Natur sozusagen einen kleinen Schubs.

Um die Technologie zu entwickeln, gründete das LMS das Start-up-Unternehmen MedusoilExterner Link, das im vergangenen November am Climate-KIC LaunchpadExterner Link, dem weltweit grössten Ideen-Wettbewerb für nachhaltige Unternehmen, den zweiten Platz für seinen Zement auf Mikrobenbasis belegte, unter insgesamt 1500 Teilnehmern. Laloui ist sehr optimistisch, was die Zukunft dieser Technologie angeht, wenn einst die berühmt-berüchtigte Macht der Gewohnheit überwunden sein wird…

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft