BSE: Gibt der Rinderwahn ein Comeback?
In der Schweiz sind 2023 bereits zwei Fälle von atypischem Rinderwahnsinn aufgetreten. Andere Länder wie die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Spanien, die Niederlande und Brasilien sind ebenfalls betroffen.
Am 13. März gab das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bekannt, dass bei einer 12-jährigen Kuh, die im Kanton Graubünden geschlachtet werden sollte, eine atypische Form des Rinderwahnsinns oder der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) festgestellt worden war.
«Der Kadaver wurde ordnungsgemäss entsorgt und verbrannt, so dass das Fleisch der kranken Kuh nicht in die Lebensmittelversorgungskette gelangte», so das BLV in seiner Pressemitteilung.
Vier Monate später gab die Behörde einen weiteren Fall von atypischem Rinderwahnsinn bei einer 13-jährigen Kuh im Nachbarkanton St. Gallen bekannt.
«Es besteht kein Zusammenhang zwischen diesem Fall und demjenigen im Kanton Graubünden im März», erklärte das Amt am 13. Juli.
Dieser Artikel ist Teil unserer Berichterstattung über die Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie aus der Sicht der Verbraucher:innen. Trotz ihrer geringen Grösse nimmt die Schweiz einen wichtigen Platz im globalen Lebensmittelkorb ein. Sie ist die Heimat von Lebensmittel- und Agrargiganten wie Nestlé und Syngenta sowie von wichtigen Akteurinnen in der Schokoladen- und Milchwirtschaft.
Das Land positioniert sich auch als Food-Tech-Hub mit vielen Start-ups und einem eigenen Inkubator in Form des Swiss Food and Nutrition Valley. Die Schweiz ist ausserdem die europäische Drehscheibe für viele Rohstoffunternehmen, die mit Lebensmitteln wie Soja, Kakao, Kaffee und Palmöl handeln.
Die Schweiz wurde 2015 von der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) als Land mit vernachlässigbarem Risiko für den Rinderwahnsinn eingestuft. Seither wurden nur drei Fälle von atypischem Rinderwahnsinn registriert (neben den zwei Fällen in diesem Jahr ein Fall im Februar 2020).
«Es handelt sich um Einzelfälle, die keine Gefahr für die Landwirte oder die öffentliche Gesundheit darstellen. Es handelt sich um atypische BSE-Fälle, d.h. sie treten nur selten und sporadisch bei einzelnen Tieren auf», erklärt das BLV gegenüber swissinfo.ch per E-Mail.
Klassisch versus atypisch
BSE trat erstmals 1986 im Vereinigten Königreich auf. Der erste Fall in der Schweiz – auch der erste auf dem europäischen Kontinent – wurde 1990 gemeldet. Die Krise erreichte 1995 ihren Höhepunkt, als landesweit fast 70 Fälle bekannt wurden. Die Fleischverkäufe gingen aufgrund der geringeren Nachfrage nach Rindfleisch um etwa 10% zurück.
Die damalige Krise wurde durch den so genannten klassischen Rinderwahnsinn verursacht. Er kann auftreten, wenn die Tiere in ihrem ersten Lebensjahr Futtermittel mit tierischen Nebenprodukten von infizierten Tieren zu sich nehmen. Keines der kürzlich betroffenen Schweizer Tiere hatte Fleisch oder Knochenmehl im Futter, da dies in der Schweiz seit 2001 verboten ist.
Beim atypischen Rinderwahnsinn handelt es sich dagegen um eine natürliche und sporadisch auftretende Form von BSE, die in Rinderpopulationen nur in sehr geringem Umfang vorkommt. Die Ursache ist nicht bekannt, aber sie wird im Allgemeinen bei älteren Tieren festgestellt (im Februar dieses Jahres wurde in Spanien ein Fall einer infizierten 22-jährigen Kuh gemeldet).
Das US-Landwirtschaftsministerium meldete jedoch einen Fall von Rinderwahnsinn mit einer erst fünfjährigen Kuh, die beinahe in die Schlachtkette gelangt wäre.
Nach Angaben der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) ist der Rinderwahnsinn «eine fortschreitende, tödliche Erkrankung des Nervensystems von Rindern, die durch die Anhäufung eines abnormen Proteins namens ‹Prion› im Nervengewebe verursacht wird».
Die klassische Version wurde mit dem Auftreten der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) beim Menschen in Verbindung gebracht, die ebenfalls durch die Anhäufung anormaler Prionen gekennzeichnet ist.
Die Symptome treten nach etwa vier Monaten auf und können eine Beeinträchtigung des Gehens, Sehens und Sprechens umfassen. Der Tod ist unausweichlich und tritt in der Regel als Folge einer Infektion wie Lungenentzündung oder Lungenversagen ein.
Im Jahr 2019 sind schätzungsweise 232 Menschen an einer Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben, die wahrscheinlich auf den Verzehr von BSE-verseuchten Kühen zurückzuführen ist. Die meisten Verstorbenen lebten zu einem bestimmten Zeitpunkt im Vereinigten Königreich, wo 4,4 Millionen Kühe im Rahmen des Tilgungsprogramms geschlachtet werden mussten.
Nach Angaben der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass der atypische Rinderwahnsinn auf Verbraucher:innen übertragbar ist. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Erreger durch unsachgemässe Entsorgung von Tierkörpern in Umlauf kommt.
Auch wenn die Schweiz ein Rekordjahr in Bezug auf die Zahl der BSE-Fälle hinter sich hat, gibt es auf globaler Ebene eine gute Nachricht:
«Gemäss den offiziellen Daten, die von unseren Mitgliedern an das World Animal Health Information System (WAHIS) gemeldet werden, haben die Fälle von atypischer BSE in den letzten Jahren nicht zugenommen», so ein Sprecher der WOAH gegenüber SWI swissinfo.ch per E-Mail.
Vorbeugungsmassnahmen
Neben dem Verbot der Verfütterung von tierischem Eiweiss an Nutztiere verfügt das BLV über Überwachungsprotokolle, um zu verhindern, dass infizierte Tiere auf die Teller der Konsument:innen gelangen.
Alle Schlachttiere werden bei ihrer Ankunft im Schlachthof tierärztlich untersucht, um verdächtige Verhaltensweisen festzustellen (z.B. einen unsicheren Gang oder Schwierigkeiten beim Aufstehen).
Von diesen Tieren werden dann nach der Schlachtung Proben entnommen und untersucht, ebenso wie von allen Tieren, die als krank eingestuft oder zur Notschlachtung vorgesehen sind. Zu den weiteren Vorsichtsmassnahmen gehören die Entfernung und Verbrennung von risikobehafteten Teilen wie Gehirn und Rückenmark von allen Rindern ab 12 Monaten.
Im Vereinigten Königreich, dessen Rindfleischexporte von der EU für 10 Jahre und von den USA für 23 Jahre verboten wurden, ist der Rinderwahnsinn eine anzeigepflichtige Tierseuche. Jede:r, auch Landwirt:innen, die einen Verdacht hegen, müssen sich an die Tiergesundheitsbehörden wenden. Andernfalls ist dies eine Straftat.
Die Länder können auch handelsbezogene Vorkehrungen treffen, um sich zu schützen. China, der weltweit grösste Rindfleischimporteur, hat bilaterale Abkommen mit Lieferländern geschlossen.
Als Brasilien im Februar einen Fall von Rinderwahnsinn bestätigte, musste es die Rindfleischexporte nach China auf der Grundlage von Gesundheitsprotokollen zwischen beiden Ländern vorübergehend aussetzen.
Nur einen Monat später wurde der Handel wieder aufgenommen, nachdem sich bestätigt hatte, dass es sich um einen Fall von atypischem Rinderwahnsinn handelte. Das Beratungsunternehmen Datagro Pecuaria teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass die brasilianische Rindfleischindustrie während der Aussetzung des Handels täglich zwischen 20 und 25 Mio. USD verlor.
Übertragung aus dem Englischen: Marc Leutenegger
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