CO2 aus der Luft saugen, ist das die Lösung?
Der letzte Bericht der Vereinten Nationen zur Eindämmung des Klimawandels befasst sich auch mit Technologien, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Was aber ist von diesen Methoden, bei denen die Schweiz eine Vorreiterrolle spielt, tatsächlich zu erwarten?
Um global bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, reicht es nicht aus, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Es müssen auch Milliarden von Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden.
Der neue Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), der heute veröffentlicht wurde, konzentriert sich auf Optionen zur Begrenzung und Vermeidung von Emissionen. Zu den innovativsten, aber auch umstrittensten Lösungen gehören die Abscheidung und dauerhafte Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat seinen Sitz in Genf und umfasst 195 Mitgliedsstaaten. Es ist in drei Arbeitsgruppen gegliedert, die sich mit verschiedenen Aspekten des Klimawandels befassen: Arbeitsgruppe I (WGI) befasst sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen; WGII bewertet die Auswirkungen auf die natürlichen Systeme und Anpassungsmöglichkeiten; WGIII konzentriert sich auf die Abschwächung (Reduzierung der Treibhausgase).
Der am 4. April 2022 veröffentlichte Bericht ist das Ergebnis der Arbeit der WGIII und stellt den dritten Teil des Sechsten Sachstandsberichts des IPCC dar. Der erste Teil Externer Linkwurde im August 2021 veröffentlicht, der zweiteExterner Link im vergangenen Februar.
Diese Berichte haben eine grosse politische Tragweite, weil auf ihrer Grundlage die nationale und internationale Klimapolitik entwickelt wird.
Was sind negative Emissionstechnologien?
Es handelt sich um Technologien oder Verfahren, die CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre entfernen. Dies ist wichtig, denn je länger Kohlendioxid in der Atmosphäre verbleibt, desto mehr trägt es zur globalen Erwärmung bei. Der Begriff «negative Emissionstechnologien» wird verwendet, weil sie nicht Gasmoleküle in die Atmosphäre abgeben, sondern diese entfernen.
Wie kann CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden?
Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze. Der erste, biologische, nutzt die natürliche Fähigkeit von Bäumen und Pflanzen, CO2 durch Photosynthese abzuscheiden und zu speichern. Beispiele für den biologischen Abbau von Kohlendioxid sind Aufforstung und landwirtschaftliche Verfahren, die Kohlenstoff im Boden binden.
Der zweite Ansatz umfasst technologische Lösungen zur direkten Extraktion von CO2 aus der Luft (Direct Air Capture, DAC), um es dauerhaft zu speichern oder für andere Zwecke zu nutzen.
Die folgende Animation zeigt, wie der von der Schweizer Firma Climeworks, einem der weltweit führenden Hersteller von DAC-Technologie, entwickelte CO2 -Extraktor funktioniert:
CO2 kann auch dort abgeschieden werden, wo es entsteht, zum Beispiel in Fabriken, Kohlekraftwerken oder Verbrennungsanlagen (Carbon Capture and Storage, CCS). Es ist jedoch nicht korrekt, in diesen Fällen von «negativen Emissionen» zu sprechen, da die Anlagenbetreiber der Atmosphäre kein CO2 entziehen, sondern lediglich verhindern, dass das Gas freigesetzt wird.
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Um eine negative Bilanz zu erreichen, sollte die CCS-Methode mit der Energieerzeugung aus Biomasse kombiniert werden (Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, BECCS). Gemeint ist der Anbau von Bäumen und Pflanzen – die während ihres Wachstums der Atmosphäre CO2 entziehen –, und ihre anschliessende Verbrennung in einem Kraftwerk, bei der das freigesetzte CO2 abgeschieden und eingelagert wird.
Wohin mit dem CO2 aus der Atmosphäre?
Eine Möglichkeit besteht darin, es zu «recyceln» und in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, in der Landwirtschaft, in der Energiewirtschaft oder bei der Herstellung von synthetischen Kohlenwasserstoffen zu verwenden. Die ETH Zürich hat den Prototyp einer Raffinerie gebaut, die Solarenergie und CO2 zur Herstellung nachhaltiger Treibstoffe nutzt. Synhelion, ein ETHZ-Spin-off, das eine Technologie zur Herstellung von Solartreibstoffen aus CO2 kommerzialisiert, hat soeben einen Vertrag mit der Fluggesellschaft Swiss zur Lieferung von nachhaltigem Paraffin abgeschlossen.
Um jedoch in den nächsten 30 Jahren Klimaneutralität zu erreichen, muss Kohlendioxid dauerhaft gespeichert werden. Die unterirdische Speicherung, beispielsweise in erschöpften Gas- oder Ölfeldern oder in salinen Aquiferen, also salzwasserführenden unterirdischen Schichten, gehört zu den viel versprechendsten Lösungen.
Wie viel CO2 wird heute jährliche abgeschieden und entfernt?
Anlagen zur Abscheidung von CO2 aus der Industrie (CCS-Verfahren) gibt es seit den 1970er Jahren. Derzeit sind 27 solche Anlagen Betrieb, die Hälfte davon in den Vereinigten Staaten. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA)Externer Link können sie über 40 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr abscheiden, was etwa 0,1% der weltweiten Emissionen entspricht.
Derzeit gibt es weltweit 19 DAC-Anlagen. Zusammen haben sie die Kapazität, um 10’000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre zu entfernen. Die bisher grösste Anlage wurde von der Schweizer Firma Climeworks und dem isländischen Unternehmen Carbfix 2021 in Betrieb genommen. Sie befindet sich in der Nähe von Reykjavik und kann bis zu 4000 Tonnen CO2 pro Jahr filtern, was dem durchschnittlichen CO2 -Ausstoss von 600 Menschen in Europa entspricht.
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Schweizer Technologie für CO2-Speicherung in Island
Wie gross ist das Potenzial von CO2-Abscheidung und -Entfernung?
Philippe Thalmann und Sascha Nick von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne glauben, dass diese Technologien 5-10% der derzeitigen Emissionen beseitigen können. Ein begrenzter Beitrag, der sich jedoch als nützlich erweisen könnte, um bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen, schreiben sie in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung.
Warum ist die Bewertung dieser Technologien uneinheitlich?
Einige Umweltgruppen Externer Linkund Teile der wissenschaftlichen Gemeinschaft sehen darin keine Lösung für das Klimaproblem. Die hohen Kosten, der hohe Energieverbrauch, die Umweltbelastung und die Komplexität des Verfahrens, nicht zuletzt der Transport des CO2 zu den Speicherstätten, sind die Gründe dafür.
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Die Gegner befürchten vor allem, dass diese Technologien als Rechtfertigung dienen könnten, weiterhin Kohle und Öl zu verbrennen und damit unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verlängern. Die dringendste, billigste – und vielleicht auch einfachste – Massnahme sei es, die CO2-Emissionen einzustellen.
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