Vier Nein für impfwillige Auslandschweizer
Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis informierte in Thailand über die Möglichkeiten für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, an die Covid-Impfung zu kommen. Er musste vertrösten.
Es klingt nach einer einfachen Aufgabe für ein reiches Land. Die Schweiz hat Millionen an Covid-19-Impfdosen eingekauft, aber die Nachfrage im Inland stockt. Jetzt lagern diese ihrem Verfalldatum entgegen – und gleichzeitig warten viele Schweizerinnen und Schweizer im Ausland darauf, dass auch sie mit der Impfung drankommen.
Sie könnten sich die Impfung doch holen, etwa auf einer Schweizer Vertretung in ihrer Nähe, könnte man meinen. Eine einfache Aufgabe? Nein, es ist kompliziert.
Dabei fällt auf, wie die Argumente des Bundes sich den Begebenheiten anpassen. Es ist fast so, als gebe es mit jeder neuen Möglichkeit ein neues Argument, das dagegenspricht. Die Chronologie der Ablehnung liest sich so:
- Nein, es ist logistisch nicht möglich.
- Nein, es ist nicht die Aufgabe der Schweiz.
- Nein, es ist vertraglich nicht möglich.
- Nein, es ist nicht möglich, weil die Impfkampagne in der Schweiz noch läuft.
Schweizerinnen und Schweizer im Ausland ärgern sich seit Monaten, weil ihnen ihr Wohnland die Impfung verwehrt. Schon zu Beginn der Schweizer Impfkampagne erkundigten sich Hunderte bei ihren Kantonen und beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Es waren in der Mehrzahl jene, die in Frankreich, Deutschland oder anderen europäischen Ländern lebten.
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Und schon zu Beginn war die Antwort verlässlich ein Nein. Die Schweiz folgt dem Grundsatz, dass jedes Land die eigene Bevölkerung impfen soll. Wer sich im Frühling erkundigte, erhielt zudem einen Eindruck vom Chaos zwischen Bund und Kantonen, das damals herrschte.
Nein, dafür sind die Kantone zuständig, sagte das BAG. Nein, gemäss BAG ist es uns nicht erlaubt, Impfungen an Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer abzugeben, sagten die Kantone. Nein, es gibt nur Impfungen für Personen, die bei einer Schweizer Krankenkasse versichert sind. Nein, man kann die Impfungen nicht aus der eigenen Tasche bezahlen.
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Es schien, als wollte man einem aufkommenden Impftourismus mit aller Macht den Riegel schieben.
Tatsächlich ging es Anfang Jahr aber auch prioritär darum, die Impfkampagne in der Schweizer Wohnbevölkerung voranzubringen.
Impfmüde Heimat
In Zwischenzeit hat sich die Situation verändert. Die Schweiz hat seit Wochen Mühe, die noch Ungeimpften für den Pieks zu motivieren. Tausende mögliche Impf-Slots verstreichen ungenutzt. Impfzentren schliessen. Sie machen Sommerpause, weil ohnehin Flaute herrscht.
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Was also tun? Den Überschuss weitergeben scheint ein Gebot der Logik. Mit den überschüssigen Bestellungen wollte die Schweiz einst sicherstellen, dass am Ende auch sicher genügend Impfdosen ins Land kommen. Jetzt sind mehr als genug da. Mehr als genug auch für alle ihre Bürgerinnen und Bürger, die in jenen Ländern leben, wo die Impfungen noch schwer verfügbar sind.
Knapp 20’000 Schweizerinnen und Schweizer leben je in Südostasien oder Afrika, 45’000 in Südamerika. Der Bedarf dort ist gross. Remo Gysin, der Präsident der Auslandschweizer-Organisation sagte der NZZ Mitte Juli: «Täglich melden sich verzweifelte Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer bei uns.»
Das Aussendepartement selbst geht laut dem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung von weniger aus. Im Bericht zitiert wird auch das BAG. Dort sei man daran, abzuklären, ob für diese Interessierten künftig eine Impfung in der Schweiz möglich sei. Konkrete Informationen könnten ab der zweiten Augusthälfte vorliegen.
Nein, jetzt noch nicht, hiess es.
Ende Juni beschloss der Bundesrat, 4 Millionen Impfdosen ins Ausland zu verteilen. Sie gehen an die Covax-Initiative, die zum Ziel hat, die globale Ungerechtigkeit bezüglich Impfstoffen zu glätten oder auszugleichen. Es sind sogenannt vektorbasierte Impfdosen des Herstellers AstraZeneca, welche die Schweiz aus ihrem Überschuss beisteuert.
Der haltbare Impfstoff
Diese sind hierzulande nicht gefragt, denn sie haben den Nachteil, dass sie mit einer Wirksamkeit von knapp 80% nicht den gleichen Schutz bieten wie die mRNA-basierten Produkte von Pfizer Biontech oder Moderna (beide ca. 95%). Bis dato hat die Schweiz den Impfstoff von AstraZeneca nicht einmal zugelassen.
Es gibt aber einen gewichtigen Vorteil. Sie sind viel leichter zu transportieren und zu lagern. Der AstraZenaca-Impfstoff hält bei normaler Kühlschranktemperatur bis zu 6 Monaten, während die mRNA-Dosen bei -70° Celsius gelagert werden müssen. Damit entfällt das gewichtige Argument, das der Bundesrat von Anfang an brauchte, um zu erklären, warum man nicht in Botschaften und Konsulaten Impfmöglichkeiten für die Auslandbürger schaffen könne. Er berief sich auf die herausfordernde Handhabe.
Nein, es ist logistisch nicht möglich, hiess es.
Nationalrat Laurent Wehrli ist im Vorstand der Auslandschweizer-Organisation. Er fragte Anfang Juni beim Bundesrat nach, ob dieser bereit sei, «den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern Impfdosen zur Verfügung zu stellen, die in Ländern mit einer weiterhin beunruhigenden Gesundheitslage und einem wenig oder gar nicht sichergestellten Impfplan leben.»
Der Bundesrat antwortete abschlägig: «Gemäss Gesetz tragen die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer die Risiken, die sich aus der Tatsache ergeben, dass die medizinische Versorgung nicht überall auf der Welt in gleichem Masse gewährleistet ist.»
Nein, es ist nicht die Aufgabe der Schweiz.
Nationalrat Wehrli hakte eine Woche später nach, weil die Antwort «für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer wenig befriedigend» ausgefallen sei. «Ich frage den Bundesrat an, ob in den Ländern, die mit ihrer eigenen Impfagenda in Verzug sind, nicht in den Vertretungen der Schweiz ein Impfprogramm eingerichtet werden sollte?»
Das überholte Argument
Wehrli erhielt wiederum Antwort – und wiederum kam von der Landesregierung ein Nein. Impfen im Ausland, das plane man derzeit nicht, aus erwähntem Grund. Es folgte das alte, faktisch überholte Argument: «Eine Impfkampagne im Ausland wäre aus logistischen Gründen kaum durchführbar».
Dazu ein neues: Nein, es ist vertraglich nicht möglich.
«Die Vereinbarungen mit den Herstellern sehen keine Ausfuhr von Impfstoffdosen ins Ausland vor», schrieb der Bundesrat in seiner Antwort Mitte Juni.
Diese Erzählung nahm Aussenminister Ignazio Cassis am 1. August in einer Ansprache auf, in der er sich aus der Schweizer Botschaft in Thailand an die Schweizerinnen und Schweizer in Südostasien wandte: «Was wir aktuell nicht dürfen – leider – ist, Impfstoffe aus der Schweiz an die Schweizer Gemeinschaft im Ausland versenden. Die Verträge mit den Herstellern erlauben nur die Verwendung innerhalb der Schweiz.»
Dies bezweifelt FDP-Nationalrat Laurent Wehrli, der mit Cassis nach Thailand gereist ist. In der Tageszeitung Blick Externer Linkargumentiert der Auslandschweizer-Lobbyist: «Die Schweizer Botschaft ist Schweizer Boden. Das wäre eine juristische Interpretation.» Wenn dies das Problem sei, dann sei es lösbar.
Cassis bemüht sich in Thailand
Helene Budliger Artieda, die Schweizer Botschafterin in Thailand, bat Aussenminister Cassis nach seiner 1. August-Ansprache um Ausführungen zur Impffrage, der «Frage Nummer 1 hier in Thailand.»
Cassis verwies erstens darauf, dass die Schweizer Impfstoffe aus der Covax-Initiative auch den Auslandschweizerinnen und -schweizern zur Verfügung stehen. Zweitens treffe er sich am 2. August mit dem thailändischen Gesundheitsminister. «Ich werde dafür plädieren, dass unsere Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in Thailand so rasch wie möglich mit AstraZeneca geimpft werden können», versprach er.
«Drittens», sagte Cassis, «ist die Frage im Bundesrat selbstverständlich noch aktuell.»
Doch das Aber folgte auf den Fuss. Aktuell habe die Schweiz gar nicht zu viel Impfstoff, nur zu wenig Impfwillige. Man müsse noch mehr zur Impfung bewegen, «und wir verstehen noch nicht ganz, wie wir es am besten machen sollen.»
Es ist ein neues Nein, das vierte: Nein, weil unsere Impfkampagne noch läuft.
Zusammengefasst: Nein, man will nicht.
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