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Teure China-Masken aus der Schweiz

FFP2-Maske
Masken dieser Art verkaufte Emix in Deutschland mit einer hohen Marge (Symbolbild). © Keystone / Christian Beutler

Warum kauften deutsche Ministerien in der Hochzeit der Corona-Pandemie für 684 Millionen Euro überteuerte Corona-Schutzausrüstung von zwei Schweizer Jungunternehmern? Wer in Deutschland profitierte davon? Die Aufarbeitung der Corona-Krise wirft viele Fragen auf.

Die Geschichte begann vor fast 15 Monaten, und sie scheint noch lange nicht am Ende. Als das Virus im Frühjahr 2020 Europa erreichte, nutzten die beiden jungen Schweizer Jascha Rudolphi und Luca Steffen ihre Kontakte nach China und trieben dort unter anderem Millionen von raren FFP2-Masken auf.

Sowohl die Schweiz als auch Deutschland bestellten damals grosse Mengen bei Rudolphis und Steffens Firma Emix, Ware, die sie sich teuer bezahlen liessen. Die Krise drängte Regierungen zum raschen Handeln, Preise waren zu jenem Zeitpunkt nebenrangig.

Allein das Berliner Bundesgesundheits-Ministerium unter Leitung von Jens Spahn kaufte nach eigenen Angaben im Frühjahr 2020 für rund 670 Millionen Euro Schutzkleidung bei Emix: OP-Masken, Einmal-Handschuhe und FFP2-Masken zum Preis von 5,58 Euro pro Stück.

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Mitarbeiter verarbeiten die Schutzmasken in einer Fabrik.

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Schweiz als Drehscheibe für Masken-Deals

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Mit dem Geschäft lassen sich Millionen verdienen. Für die Schweiz birgt es aber auch beträchtliche Reputationsrisiken.

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Das bayrische Gesundheitsministerium bestellte seinerseits in der Schweiz eine Million Masken für insgesamt 8,9 Millionen Euro, Nordrhein-Westfalen laut Tagesschau.de weitere 527’000 zu je 9,90 Euro. Spahn hatte vermeintlich gut verhandelt.

Doch selbst für ihn lagen Emix› Preise weit über dem Durchschnitt. Die meisten deutschen Bundesländer zahlten ihren Lieferanten (nicht Emix) damals zwischen 2,85 und 4,34 Euro pro Maske. Das ergab eine aktuelle Anfrage der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR bei den zuständigen deutschen Länderministerien.

Das baden-württembergische Ministerium teilte mit, es habe direkt in China Masken ohne Zwischenhändler für 1,20 Euro beschafft. Das ist weniger als ein Achtel des Preises, den Nordrhein-Westfalen pro Maske an Emix überwies.

200 Millionen Euro Profit

Für Emix waren die Deals entsprechend lukrativ. Geschätzte 200 Millionen Euro sollen Rudolphi und Steffen allein in Deutschland an der Beschaffung und Lieferung der Ausrüstung verdient haben. Das sorgte inmitten der Krise zunächst nicht für viel Aufsehen. Hauptsache Masken, so lautete damals die Devise.

Doch spätestens als die beiden im Februar 2021 vor ihren 800 PS starken, teuren Ferraris posierten, drehte sich der Wind. Die Spiegel spottete über die “Schweizer Schnösel“, die Süddeutsche Zeitung titelte “Schweizer Masken-Millionäre mit Ferrari“ und legte deren Profite offen. Die Empörung über die Krisengewinnler war besonders in den Boulevardmedien gross.

Dabei kann man, wie die Schweizer Weltwoche, ihren Geschäftssinn und ihre Cleverness durchaus bewundern: Seit 2018 hatte Emix mit dem Export von Luxusgütern wie Kosmetika, Parfum und Schmuck nach Asien bereits gutes Geld verdient, die beiden Gründer waren häufig in China und verfügten dort über ein gutes Netzwerk.

Als das Virus begann, Europa in Schrecken zu versetzen, erkannten sie schnell den Bedarf: Sie brachten per Charterflugzeug viele Millionen Masken nach Europa, als diese begehrt waren wie Wasser in der Wüste, und gingen ein unternehmerisches Risiko ein.

Deutsche Vermittler im Visier

Emix war teuer, aber lieferte zuverlässig und tauschte mangelhafte Ware ohne Murren aus, das bescheinigt auch das deutsche Gesundheitsministerium. Und es war nur eines unter vielen Unternehmen, die gutes Geld mit dem Maskengeschäft witterten und machten.

Ob man inmitten einer Pandemie das Höchstmass an eigenem Profit aus einem medizinisch notwendigen, spärlichen Gut herausschlagen sollte, ist in diesem Kontext eine rein ethische, aber dennoch legitime Frage.

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Dieser Vorwurf Richtung Schweiz kehrt jedoch wie ein Bumerang Richtung Deutschland zurück. Hier ist mittlerweile die Empörung über die abkassierenden deutschen Vermittler mindestens so gross wie über die Chuzpe der beiden Schweizer Jungunternehmer.

Zwei Fragen stehen im Fokus: Warum haben sich Bundesgesundheits-Minister Spahn und seine Länderkollegen in Bayern und Nordrhein-Westfalen überhaupt auf die hohen Preise des Emix-Duos eingelassen? Und damit verwoben: Wer profitierte auf deutscher Seite von der Vermittlung?

Der Blick geht speziell nach Bayern. Von dort aus wurden die Verträge mit den Ministerien einfädelt, und zwar von Andrea Tandler, Tochter des früheren Spitzenpolitikers Gerold Tandler von der Christlich-Sozialen Union (CSU).

Sie informierte Spahn am 9. März 2020 über das Emix-Angebot und strich für die Vermittlung zu den Verantwortlichen in Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen insgesamt 30 bis 50 Millionen Euro von Emix ein.

Zur genauen Höhe will sie sich nicht äussern, betont aber, sie habe erhebliche logistische Arbeit geleistet, wie die Organisation von Liefer- und Flugplänen zur Versorgung der Abnehmer.

Mehr Transparenz als Folge des Deals

Im weitaus umfangreichsten Geschäft mit Spahn diente die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier ihrer Freundin Tandler als Türöffnerin ins Bundesministerium. Hohlmeier verfügt als Tochter der CSU-Ikone Franz Josef Strauss über gute Zugänge zur höchsten Ebene, hat ihrerseits nach dem Stand der Dinge jedoch keinen persönlichen Profit aus dem Geschäft geschlagen.

Die bayrische Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) wittert dennoch Vetternwirtschaft innerhalb der CSU. Der Fernsehsender N-TV zitiert auf seiner Website den bayrischen SPD-Parteichef Florian von Brunn: «Es wird immer wahrscheinlicher, dass der unglaubliche Preis aus dem Hohlmeier-Tandler-Deal mit der dubiosen Schweizer Firma Emix ein typisches CSU-Amigo-Geschäft war.»

Tandler, die keine Parlamentarierin, sondern Inhaberin einer PR-Agentur ist, scheint ausser öffentlicher Empörung derzeit nicht viel zu befürchten zu haben. Sie agierte als Unternehmerin.

Anders verhält es sich für Abgeordnete, die für ihre Vermittlungen die Hände aufhielten. Im März 2021 verliessen die Bundestags-Abgeordneten Georg Nüsslein (CSU) und Nikolais Löbe (Christlich Demokratische Union, CDU) nach erheblichem Druck ihre Parteien.

Sie sollen Provisionen in sechsstelliger Höhe für die Vermittlung von Atemschutz-Masken kassiert haben, die nicht von Emix stammten. Als Folge der Maskenaffäre brachen die Umfragewerte der Unionsparteien CDU und CSU ein. Rasch wurde ein 10-Punkte-Plan für mehr Transparenz bei den Nebentätigkeiten von Abgeordneten verabschiedet.

Im März 2021 einigten sich CDU/CSU und die SPD in Berlin auf neue Regeln für ihre Parlamentarierinnen und Parlamentarier: Künftig sollen Einkünfte aus deren Nebentätigkeiten und Unternehmensbeteiligungen bereits ab einem Betrag von 1000 Euro im Monat oder 3000 Euro im Jahr anzeigepflichtig sein.

Politikerinnen und Politiker, so die einhellige Meinung, dürfen und sollen ihre Kontakte zwischen Wirtschaft und Ministerium zwar für die Vermittlung nutzen, davon aber nicht finanziell profitieren.

An Steuergeld bereichert?

In Bayern wird der Emix-Deal derweil unter die Lupe genommen. Seit Mitte Mai prüft die Staatsanwaltschaft München, ob beim Kauf von Emix-Masken Steuergeld verschwendet wurde. Die bayrische SPD droht der CSU mit einem Untersuchungsausschuss zur so genannten Maskenaffäre und verlangt Einsicht in alle Akten zum Geschäft mit Emix.

«Haben sich die Verantwortlichen im Ministerium unter Druck setzen und über den Tisch ziehen lassen? Haben sich zwei Schweizer Jungunternehmer mit ihrer Firma Emix an bayerischem Steuergeld bereichert?», fragt die Süddeutsche Zeitung in Richtung CSU.

Und Berlin? Nachdem er seinen Deal mit Emix lange verteidigte, von «überdurchschnittlicher Qualität» und einer «professionellen und schnellen Zusammenarbeit» sprach, geht nun auch Gesundheitsminister Spahn in die Defensive. Er liess gegenüber Spiegel Online verlauten, dass er die «Margen und Zwischengewinne» vieler damaliger Anbieter für moralisch «unanständig» halte.

Die Notlage der Politik sei von Händlern in «Goldgräberstimmung» ausgenutzt worden. Ausdrücklich bezieht sich dies nicht nur auf Emix. Die beiden Schweizer sehen nichts Unrechtes in ihrem Handeln. Doch nach dem grossen Gewinn müssen sie sich nun viele Fragen gefallen lassen.

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