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Das erwartet die Schweiz: Wirtschaftsausblick 2024

Wie das Berner Unternehmen Tornos durchlebt die Schweizer Maschinenindustrie generell schwierige Zeiten. © Keystone / Gaetan Bally

Ein Tourismussektor, der von der unsicheren Weltlage profitiert, Pharmariesen auf Schlankheitskur und Industrieunternehmen, die mit einer Konjunkturflaute kämpfen: ein Blick auf die wichtigsten Entwicklungen der Schweizer Wirtschaft im Jahr 2024.

1) Weiterhin verlangsamtes Wachstum

Die wirtschaftliche Flaute in der Eurozone und die Zinserhöhungen in vielen Ländern werden sich auch im nächsten Jahr auf die Schweizer Wirtschaft auswirken. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) rechnet Externer Linkmit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 1,1% gegenüber 1,3% im Jahr 2023 – es wäre das zweite Jahr in Folge ein deutlich unterdurchschnittliches Wachstum.  

Aufgrund der restriktiveren Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) dürfte die Inflation im nächsten Jahr weiter zurückgehen und auch im Jahresdurchschnitt unter die Zielmarke von 2% fallen.

Trotz der stagnierenden Wirtschaft und des erwarteten leichten Anstiegs der Arbeitslosigkeit (2,3% gegenüber 2% im Jahr 2023) wird der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der Schweiz, wie auch in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, voraussichtlich anhalten.

Der Index des Personalmangels ist bis 2023 um weitere 24% gestiegen. Dies geht aus Daten hervor, die Ende November von der Personalvermittlungsfirma Adecco und dem Stellenmarkt-Monitor Schweiz der Universität Zürich veröffentlicht wurden.

Mehr als 120’000 Stellen waren Ende August, dem Zeitpunkt der letzten Erhebungen des Bundesamtes für Statistik (BFS), unbesetzt. Die Sektoren, in denen Stellen am schwierigsten zu besetzen sind, sind das Gesundheitswesen, die Informatik und das Ingenieurwesen.

Die von den Unternehmen geplanten Lohnerhöhungen (durchschnittlich 2%) dürften erneut weitgehend von der Inflation absorbiert werden.

2) Die Schweiz zieht als sichere Insel Tourist:innen aus der ganzen Welt an

Der Schweizer Tourismus hat im Jahr 2023 wieder an Schwung gewonnen und die Zahl der Übernachtungen dürfte erstmals die 40-Millionen-Marke überschreiten.

Auch die kommenden Monate stehen unter einem guten Stern: Die Konjunkturforschungsstelle der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (Kof) prognostiziert für diesen Winter einen Anstieg von 270’000 Übernachtungen in der ganzen Schweiz.

Angesichts des starken Frankens, der Inflation und der sinkenden Kaufkraft wäre die Gesamtsituation für die Branche eigentlich eher ungünstig.

Laut dem Direktor von Verbier Tourisme, Simon Wiget, sticht die Schweiz jedoch aus der Masse heraus, da sie einen Hafen der Ruhe inmitten einer Welt bietet, die in Flammen steht. «In diesem angstbesetzten Umfeld, das wir derzeit erleben, wollen sich die Menschen sicher fühlen. Und die Schweiz bietet viel Sicherheit», sagte er gegenüber RTS.

Im Vergleich zu 2019, dem Jahr vor der Pandemie, fehlen der Schweiz jedoch immer noch einige ausländische Gäste, insbesondere aus fernen Ländern wie China, Indien, Japan oder den Golfmonarchien.

Die Rückkehr zur Normalität für Tourist:innen aus China wird laut Véronique Kanel, Sprecherin von Schweiz Tourismus, nicht vor Ende des nächsten Jahres erwartet.

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3) Die Pharmaindustrie liebäugelt mit Medikamenten gegen Fettleibigkeit

Nach einem Jahr voller Umstrukturierungen, grosser Übernahmen und Veränderungen in der Unternehmensleitung werden die Schweizer Pharmaunternehmen 2024 versuchen, eine gewisse Begeisterung zu erzeugen und die Anleger hinsichtlich ihres Wachstumspotenzials zu überzeugen.

Kurz nachdem Novartis im Oktober seine Generikasparte Sandoz ausgegliedert hatte, hob das Unternehmen seine Umsatzprognose für die nächsten fünf Jahre an. Der Basler Multi will sich auf sogenannte innovative Therapien konzentrieren, d.h. auf patentgeschützte Behandlungen, die das höchste Gewinnpotenzial aufweisen.

Beim Rivalen Roche hat der neue CEO Thomas Schinecker im Jahr 2023 einige wichtige Übernahmen getätigt. Diese könnten dazu beitragen, die jüngsten enttäuschenden Ergebnisse der klinischen Studien auszugleichen und Spitzenprodukte, deren Patentschutz ausläuft, zu ersetzen.

Mit diesen Investitionen wird die Schweizer Pharmaindustrie versuchen, ihren Konkurrent:innen die Show zu stehlen, wie z. B. der dänischen Novo Nordisk, die 2023 mit ihren Medikamenten gegen Fettleibigkeit Schlagzeilen machte.

Erst kürzlich hat Roche ein amerikanisches Biotechnologieunternehmen übernommen, das Medikamente gegen Fettleibigkeit entwickelt, für 2,7 Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Schweizer Franken). Der Schweizer Pharmariese hofft, so einen Teil dieses Marktes zu erobern, der laut Analyst:innen in zehn Jahren ein Volumen von 100 Milliarden US-Dollar erreichen könnte.

Die Pharmaindustrie wird sich jedoch den politischen Zwängen zur Senkung der Arzneimittelpreise nicht entziehen können. Der stärkste Druck kommt aus den USA, wo die Regierung im Rahmen des US-Inflationsbekämpfungsgesetzes (US Inflation Reduction Act) ihre Verhandlungen über die Arzneimittelpreise fortsetzt.

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4)  Multinationale Unternehmen: Im Würgegriff zwischen geopolitischen Kräften und internem Druck

In der Schweiz ansässige multinationale Unternehmen werden weiterhin unter den Folgen des Machtkampfes zwischen China und den USA leiden und 2024 in grösserem Umfang mit den Kräften der Deglobalisierung konfrontiert werden.

Viele Unternehmen betrachten China als Schlüsselelement ihrer Wachstumsstrategie, trotz der jüngsten wirtschaftlichen Probleme des asiatischen Riesen. 

Schweizer Unternehmen werden auch mit erhöhtem Druck aus dem Inland zu kämpfen haben: Die Initiative für verantwortungsbewusste multinationale Unternehmen, die 2020 in einer Volksabstimmung knapp gescheitert war, gibt ein Comeback. 

Eine neue Version der Initiative, die darauf abzielt, die Unternehmen für ihren Einfluss auf Menschenrechte und Umwelt in den globalen Lieferketten verantwortlich zu machen, wird voraussichtlich im nächsten Jahr lanciert.

Sie wird wohl fordern, dass die Schweiz mit den Regelungen der Europäischen Union Schritt hält, die gerade dabei ist, ein Gesetz zur Unternehmensverantwortung fertig zu stellen.

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5) Düstere Aussichten für die Maschinenindustrie

Nach zwei Jahren starken Wachstums durchläuft die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) eine schwierige Phase. Der Dachverband der Branche, Swissmem, zögert nicht, von einer «Rezession»Externer Link zu sprechen.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 gingen die Auftragseingänge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,9% zurück. Die in den letzten Monaten von den Zentralbanken beschlossenen Zinserhöhungen belasten den Umsatz einer Industrie, die in der Schweiz über 325’000 Menschen beschäftigt und fast 80% ihrer Produktion exportiert (davon 60% in die EU).

Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den wichtigsten Partnerländern der Schweiz, allen voran Deutschland, China und die USA, sind die Aussichten für die kommenden Monate nicht ermutigender. «Die meisten Unternehmen der Branche müssen sich auf eine schwierige Zeit einstellen», sagte Stefan Brupbacher, Direktor von Swissmem, Ende November.

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6) Ende der Euphorie bei den Schweizer Uhrenherstellern

Die Schweizer Uhrenexporte steuern 2023, von einem krisenfesten Luxussektor getragen, auf einen neuen Rekord zu: In den ersten elf Monaten des Jahres übertrafen sie die symbolische Marke von 24 Milliarden Franken, was einem Anstieg um 7,7% gegenüber 2022 entspricht.

Die Schweizer Uhrenindustrie beschäftigt unterdessen mehr als 65’000 Mitarbeiter:innen, ein Niveau, das seit den 1970er Jahren nicht mehr erreicht wurde. 

Diese Periode des aussergewöhnlichen Wachstums, die seit der Post-Covid-Erholung von 2021 anhält, dürfte jedoch bald zu Ende gehen. «Kurzfristig ist aufgrund des geopolitischen Kontexts, der Inflation und des starken Frankens Vorsicht geboten, insbesondere bei den Zulieferern, die mit Auftragsverschiebungen zu kämpfen haben», meint Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbands der Schweizer Uhrenindustrie.

Auch die Bank Vontobel erwartet für 2024 eine «Normalisierung des Wachstums», wobei der Wert der Exporte zwischen 2 und 4 % steigen soll. «Starke Marken, die in Marketing und ihr Vertriebsnetz investiert haben, werden weiter wachsen. Für andere Marken ist die Situation viel fragiler: Die Volumina werden nach unten korrigiert werden müssen», sagt Jean-Philippe Bertschy, Uhrenexperte bei Vontobel.

Längerfristig sieht Jean-Daniel Pasche jedoch noch Wachstumschancen in etablierten Märkten wie den USA und China sowie in aufstrebenden Märkten wie Indien, Brasilien und Indonesien.

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7) Das Credit-Suisse-Debakel wird die Schweiz noch weiter verfolgen

Die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Credit Suisse werden auch 2024 die zentrale Herausforderung für den Schweizer Finanzsektor bleiben.

Die UBS, die die Credit Suisse im März unter Zwang des Bundes übernommen hatte, warnte, dass 2024 das schwierigste Jahr für die Integration ihrer Rivalin sein würde, da sie mit der Zusammenführung verschiedener IT-, Buchhaltungs- und Geschäftssysteme konfrontiert sei.

Der Erfolg der Fusion sei für den gesamten Schweizer Finanzsektor von entscheidender Bedeutung. Ein Scheitern hätte potenziell verheerende Folgen für die Stabilität des internationalen Finanzsystems.

Diese Bedrohung hat die Überlegungen der Regulierungsbehörden und des Parlaments einmal mehr geschärft. Alle sind sich einig, dass das Bankensystem sicherer werden soll.

Die Debatte darüber, wie genau dies erreicht werden soll, dürfte in den kommenden Monaten noch hitziger werden.

Im Zuge der politischen Diskussionen untersucht derzeit ein Parlamentsausschuss die Hintergründe des Zusammenbruchs der Credit Suisse, um herauszufinden, wie es zu diesem Debakel kommen konnte und wer dafür verantwortlich ist. Die Kommission wird ihre Ergebnisse 2024 vorlegen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich der Fall der Credit Suisse sowie die Diskussionen um die Umsetzung der Russlandsanktionen auf den Ruf des Schweizer Finanzplatzes auswirken wird.

Die Schweiz ist nach wie vor das weltweit grösste Zentrum für Offshore-Vermögensverwaltung. Hier konzentrieren sich 2,2 Billionen Schweizer Franken an Vermögenswerten ausländischer Privatpersonen.

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Das war die Schweiz 2023 in Bildern:

Editiert von Virginie Mangin & Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger.

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