Der lange Kampf der WTO um globale Impfgerechtigkeit
Die Welthandelsorganisation (WTO) diskutiert eine "Roadmap" für die globale Impfkampagne gegen Covid-19. Der Vorschlag, die Impfpatente ausnahmsweise aufzuheben, liegt allerdings auf Eis.
Die neue WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala will beim globalen Impfprogramm gegen Corona mehr Tempo. Bei einem Treffen in Genf forderte sie Länder und Unternehmen zum Handeln auf.
Das WTO-Treffen in Genf brachte Nichtregierungsorganisationen, Industrievertreter, betroffene Länder und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen, um über ein Problem zu reden: Nur 0,2% der verfügbaren Impfdosen sind an die ärmsten Länder der Welt gegangen.
WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus bezeichnet die ungleiche Verteilung von Impfstoffen als «moralischen Skandal», mehrere afrikanische Länder reden von «Impfstoff-Apartheid».
Als ersten Schritt schlug Okonjo-Iweala vor, Regierungen sollten Exportbeschränkungen und Hindernisse in der Lieferkette abbauen sowie Logistik und Zollverfahren erleichtern. «Als Teil unserer regulären Arbeit überwachen wir das und wir werden dies auch weiterhin tun, um die Liefermengen zu erhöhen», sagte sie.
Verzicht auf Patente?
Eine zweite Möglichkeit läge darin, die Verhandlungen über Patentverzichte sowie über Anreize für Forschung und Innovation voranzutreiben.
Im Oktober brachten Indien und Südafrika eine Initiative in die WTO ein, die einen vorübergehenden Verzicht auf Patente für alle Produkte fordert, die bei der Eindämmung der Pandemie nützlich sein könnten. Dazu würden neben Impfstoffen auch Tests, Maschinen und mögliche Behandlungen gehören. Sollte die Initiative angenommen werden, wäre die Aussetzung der Patente verbindlich.
Die Idee ist, dass Labore auf der ganzen Welt Zugang zu der Technologie haben und Generika herstellen können. Dies würde nach Ansicht der Urheber des Vorschlags sowohl die Kosten für Impfstoffe senken als auch die globale Produktion ankurbeln.
Mehr als 100 Länder haben ihre Unterstützung für das Vorhaben signalisiert. Aber reichere Länder wie die Schweiz und die USA sind dagegen. Sie bestehen darauf, dass die Pandemie kein Grund sei, Handelsregeln zu brechen. Noch wird verhandelt, aber das Vorhaben ist ins Stocken geraten.
Immerhin: Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai sagte an dem Treffen, dass die Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, wie sie zuvor auch schon während der AIDS-Krise zu beobachten war, «völlig inakzeptabel» sei.
Appelle an die Industrie
Die vorgeschlagene Roadmap würde auch die Impfstoffhersteller einbeziehen. Okonjo-Iweala forderte konkrete Schritte zum Ausbau der Impfstoffproduktion.
Einer der wichtigsten Schritte sei die Steigerung des Technologie- und Know-how-Transfers, sagte sie. «Wir brauchen Transparenz bei Vertragsvereinbarungen und Produktpreisen», fügte sie hinzu.
Der Plan beinhaltet auch einen Aufruf an internationale Organisationen und Finanzinstitutionen, bestehende und neue Produktionskapazitäten zu finanzieren.
Ein «Marktversagen»
Tai sorgte auch mit einer anderen Aussage für Überraschung: «Der Markt hat wieder einmal versagt, wenn es um die Gesundheitsbedürfnisse der Entwicklungsländer geht.»
Die Industrie behauptet, sie tue ihren Teil, mit über 260 Partnerschaftsabkommen für Produktion und Vertrieb. Diese Ansicht wird von NGOs oder der WHO jedoch nicht geteilt.
Laut Ärzte ohne Grenzen (MSF) ist das derzeitige «geografisch konzentrierte und von der Pharmaindustrie kontrollierte» Produktions- und Versorgungssystem nicht angemessen. MSF fordert lokale Produktionskapazitäten auf der ganzen Welt, um die Versorgung für ärmere Länder zu gewährleisten.
«Die globale Versorgung sollte nicht von den rein kommerziellen Interessen der patentberechtigten Pharmaunternehmen abhängen «, so MSF.
Nächste Schritte
Während des Treffens erklärten Pharmaunternehmen, sie hätten Vereinbarungen mit Regierungen getroffen und gemeinsam mit öffentlichen Einrichtungen klinische Studien auf der ganzen Welt durchgeführt. Manche behaupteten, sie hätten Impfstoffdosen ohne Gewinnmarge verkauft.
Doch laut WHO ist das bei Weitem nicht genug. «Wir müssen über den traditionellen Modus Operandi hinausgehen, um nachhaltige und effektive Lösungen anzubieten», sagte Ghebreyesus.
Nun wird darüber verhandelt, wie die geplante Roadmap in konkrete Massnahmen umgesetzt werden kann. «In den kommenden Wochen und Monaten erwarten wir ein konkretes Follow-up», sagte Okonjo-Iweala.
Am 12. April wurde die milliardste Dosis des Impfstoffs gegen Covid-19 produziert. Gemäss Prognosen der Industrie wird die zweite Milliarde bis Ende Mai erreicht sein. Doch für viele bleibt die Frage: Wer wird sie erhalten?
Sibilla Bondolfi
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Diskutieren Sie mit!