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Die «Oscars» der Schweizer Uhrenindustrie polarisieren

Gruppenbild der Gewinner:innen vor einer Wand mit Sponsor:innen-Logos
Die Gewinner:innen der 23. Ausgabe des Grand Prix d'horlogerie de Genève. GPHG

Zum 23. Mal wurden am Grand Prix d'Horlogerie in Genf die spektakulärsten Uhren des Jahres gekürt. Die "Oscars" der Uhrmacherei faszinieren, stossen aber auch auf Kritik. Und die grössten Marken haben dem Wettbewerb einmal mehr einen Korb gegeben.

Als François-Henry Bennahmias, der charismatische Mann an der Spitze von Audemars Piguet, auf die Bühne trat, um den Hauptpreis des Grand Prix d’Horlogerie de Genève (GPHG), die prestigeträchtige Aiguille d’or, entgegenzunehmen, begann er seine Rede emotional.

Dieses Jahr markiert nämlich seinen Abschied vom berühmten Haus in Le Brassus im Waadtländer Jura, das er zehn Jahre lang geleitet hat. Eine Zeit, in der sich die Gewinne bei der Traditionsfirma vervierfacht haben.

Der «Goldene Zeiger» krönt seine Arbeit, eine Auszeichnung, die umso bedeutender ist, als sie dem Modell Code 11.59 Ultra-Complication Universelle RD#4 verliehen wurde, der komplexesten Armbanduhr, welche die Marke seit ihrer Gründung im Jahr 1875 kreiert hat.

Der Grand Prix in Genf stellt nicht nur aussergewöhnliche Uhren ins Rampenlicht, sondern auch die Menschen, die ihren Erfolg erst möglich gemacht haben. Wenn ein Modell, das aus sechs Nominierungen in 15 Kategorien ausgewählt wurde, den Preis gewinnt, tritt sein:e Schöpfer:in auf die Bühne, sei es ein:e Uhrmacheringenieur:in oder eine Führungskraft der Marke.

Ein seltener Moment, da es normalerweise schwierig ist, das Handwerk hinter den Auslagen der Boutiquen zu sehen.

Die Uhr in Grossaufnahme
Das Modell Code 11.59 Ultra-Complication Universelle RD#4 von Audemars Piguet gewinnt die Aiguille d’or 2023. DR

Grosse Marken meiden die Veranstaltung

François-Henry Bennahmias musste bei der Linie Code 11.59 viel Durchhaltevermögen beweisen. Das neue Modell, das bei seiner Vorstellung stark kritisiert wurde, soll Audemars Piguet von der Abhängigkeit von der allzu populären Royal Oak befreien.

Das Erfolgsrezept, so der CEO der renommierten unabhängigen Schweizer Marke? «Arbeiten! An etwas glauben! Angst vor dem Verlieren haben und trotzdem mitspielen, sonst gibt es nichts zu gewinnen.»

Als leidenschaftlicher Sportler und ehemaliger Golfer hat François-Henry Bennahmias immer wieder andere grosse Marken dazu ermutigt, am Grand Prix teilzunehmen. Aber die Weigerung vieler wichtiger Marktteilnehmer stellt die grösste Herausforderung für den GPHG dar und schränkt den Event in seiner Ambition ein, sich als unbestrittene internationale Referenz zu etablieren.

Die prestigeträchtigsten Marken der Luxusuhrenindustrie sind auf den Teilnahmelisten weitgehend abwesend. Innerhalb der Richemont-Gruppe war in diesem Jahr nur Piaget vertreten und hat dies auch nicht bereut, denn das Unternehmen gewann zwei Preise, darunter jenen für die beste Damenuhr und den Preis «métiers d’art» (für das Kunsthandwerk).

Rolex war historisch gesehen immer abwesend, unterstützte den GPHG manchmal als Sponsor und zog es aber vor, Jahr für Jahr nur von seiner kleinen Schwester Tudor vertreten zu werden.

Unter den ersten Preisträger:innen in der Geschichte war zweimal, 2002 und 2003, Patek Philippe. Seit 2006 hat die Genfer Marke beschlossen, nicht mehr an einer solchen Konkurrenz teilzunehmen.

Omega nahm 2014 teil, aber die Auszeichnung in der Kategorie «Revival», bei weitem nicht der prestigeträchtigste Titel, scheint das Unternehmen davon abgehalten zu haben, weiterzumachen.

François-Henry Bennahmias, CEO von Audemars Piguet, mit der Trophäe
François-Henry Bennahmias, CEO von Audemars Piguet, gewinnt seine zweite Goldene Nadel in Genf. ©miguelbueno

Uhren, die in aller Welt ausgestellt werden

Es stellt sich die Frage: Kann man sich eine Oscar-Verleihung mit Warner Bross, aber ohne MGM vorstellen? Oder die Olympischen Winterspiele ohne die Schweiz?

«Ich bin überzeugt, dass das heutige Image des Preises und die Unparteilichkeit, die wir durch die Erweiterung der Jury gewährleistet haben, die Marken früher oder später dazu bringen werden, die richtige Entscheidung zur Teilnahme zu treffen», sagt Raymond Loretan, ehemaliger Diplomat und derzeitiger Präsident des GPHG.

Der finnische Uhrmachermeister Kari Voutilainen, der im Kanton Neuenburg lebt und in diesem Jahr den Preis für die Komplikation bei den Herrenuhren gewonnen hat, stimmt Loretan zu: «Die Teilnahme ist ein Muss. Die grossen Marken mit einer hundertjährigen Geschichte mögen ihre eigene Strategie verfolgen, aber für die Unabhängigen ist es wichtig, immer wieder zu beweisen, dass wir am Leben sind und nicht aufgeben».

Für andere bietet ein Preis Sichtbarkeit. Yvan Arpa, Uhrendesigner und Inhaber der Marke ArtyA, erklärt: «Allein die Teilnahme am GPHG bringt unsere Arbeit zum Strahlen. Im Vergleich zu Messen sind die Kosten minimal, und die Resonanz ist gross.

Die Teilnahme am GPHG ist nicht übermässig schwierig. Sie erfordert weder eine vorherige Genehmigung noch die Aufnahme in eine Warteliste.

Die Nominierungen werden zunächst von der GPHG-Akademie ausgewählt, die aus 850 internationalen Mitgliedern besteht. Ihre Vorschläge werden dann von den Marken genehmigt oder abgelehnt, die ihre eigenen Produkte hinzufügen können.

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Die erste Stufe kostet lediglich 800 Franken pro Modell, das für den Wettbewerb nominiert wird. Nach der Nominierung beläuft sich der Beitrag auf 7000 Franken. Die nominierten Uhren reisen anschliessend bei den Ausstellungen des GPHG um die Welt. Die diesjährige Route umfasst Macau, Hongkong, Kuala Lumpur, New York, Dubai, Genf und Zürich.

Immer noch teurere Uhren

Der GPHG wird jedoch häufig kritisiert, weil er in seinen Wettbewerben auch extrem teure Modelle führt. Kann man eine Armbanduhr für 1050 Schweizer Franken mit einer Uhr für 2’580’000 Franken vergleichen?

Die Uhren sind zwar in verschiedene Kategorien unterteilt, aber dennoch im selben Wettbewerb vertreten, und der Durchschnittspreis der 90 Uhren, die 2023 in die engere Wahl gekommen sind, beträgt knapp 185’000 Franken.

Der stetige Anstieg der Preise ist besonders in der Wettbewerbskategorie «Kleiner Zeiger» sichtbar, die speziell für «günstige» Uhren geschaffen wurde. Von der anfänglichen Grenze von 1000 Franken stieg das Preislimit für die Kategorie in diesem Jahr auf 8000 Franken. In Reaktion darauf wurde die neue Sonderkategorie «Challenge» eingeführt, die Uhren für unter 2000 Franken vorbehalten ist.

Der französische Schauspieler Édouard Baer, der die Preisverleihung moderierte, fragte ironisch: «Gibt es in der Schweiz überhaupt noch Uhren zu diesem Preis?» Raymond Loretan räumt ein: «Das ist unsere Realität. Wir hätten gerne ‹demokratischere› Modelle, aber wir haben das, was uns präsentiert wird, was produzieret wird. Diese Uhren finden ihre Käufer und viele Modelle sind bereits ausverkauft.»

Die Luxusuhren sind auch jenes Segment, das die Schweizer Uhrenindustrie auf dem internationalen Markt derzeit am besten repräsentiert. Laut dem Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie wuchs im September 2023 nur noch das Segment der Uhren mit einem Exportpreis von über 3000 Franken, und zwar um 8,2%.

«Das gelobte Land der Uhrmacherei»

Tatsächlich wäre es notwendig, den Grand Prix d’Horlogerie de Genève zu schaffen, wenn es ihn nicht gäbe. Der Preis ist für die internationale Uhrenkundschaft äusserst nützlich, da er eine Art Barometer ist, um die Erfolge und Misserfolge von Marken zu bewerten. Insbesondere von solchen, die noch wenig bekannt sind.

Umso erstaunlicher ist es, dass in der Schweizer Uhrenszene der Grand Prix bei weitem nicht überall auf Zustimmung stösst.

Möglicherweise tragen die Internationalisierung und die Erweiterung der GPHG-Akademie dazu bei, einige Widersprüche aufzulösen. Die Organisation dürfte laut Loretan voraussichtlich bald die Marke von 1000 Mitglieder erreichen.

Auch wenn der Grand Prix seine Schwächen hat, gebe es keinen Grund, nicht von dieser Institution zu profitieren, die vor mehr als zwei Jahrzehnten geschaffen wurde.

Das glaubt Nick Foulkes, englischer Journalist und Vorsitzender der GPHG-Jury: «Die Preisverleihung ist einer der wichtigsten Abende für die Uhrenindustrie. Die Veranstaltung ist nicht nur von grosser wirtschaftlicher Bedeutung, sondern auch ein wichtiges Ereignis im kulturellen Leben der Branche. Denn während Frankreich die Königin der Gastronomie ist und Italien uns Lektionen in Sachen Stil erteilt, bleibt die Schweiz das gelobte Land der Uhrmacherei.»

Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger.

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