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Die Schweiz fällt im Anti-Korruptions-Ranking zurück

Ein Mann hält sich vor einem Zürcher Gericht eine Aktenmappe vors Gesicht.
Korruptionsfälle sind zwar nicht an der Tagesordnung, aber die Schweiz ist nicht immun gegen Korruption im öffentlichen Sektor. Im Anti-Korruptions-Ranking fällt sie aktuell weiter zurück. Keystone / Walter Bieri

Die Schweiz wird als relativ "sauberes" Land wahrgenommen, wenn es um Korruption im öffentlichen Sektor geht. Aber insgesamt könnte sie mehr tun, um diese Praxis auszurotten, sagt die Organisation Transparency International. Der öffentliche Sektor der Schweiz gilt als besonders anfällig für Vetternwirtschaft.

Im Korruptionsindex 2021 von Transparency International schneidet die Schweiz insgesamt immer noch gut ab. Aber ist sie vom dritten auf den siebten Platz abgerutscht und hat sich gegenüber 2020 um einen Punkt verschlechtert.

«Im Kampf gegen die Korruption im öffentlichen Sektor ist die Schweiz einmal mehr alles andere als fehlerfrei und wird sogar von anderen Ländern übertroffen», resümiert Martin Hilti, der Direktor der Nichtregierungsorganisation.

Der 1995 lancierte Index misst die «wahrgenommene Korruptionsanfälligkeit» und nicht die tatsächlichen Korruptionsfälle. Er stützt sich dabei auf Erkenntnisse aus Wirtschaft und Wissenschaft. In diesem Jahr stehen Dänemark, Finnland und Neuseeland an der Spitze, die als am wenigsten korruptionsanfällig gelten. Norwegen, Singapur und Schweden übertrafen die Schweiz ebenfalls. Die Niederlande, Luxemburg und Deutschland vervollständigen die Top 10. 

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Die konfliktgeplagten Länder Südsudan, Syrien und Somalia erhielten die schlechtesten Noten. Transparency International kommt zum Schluss, dass die Korruptionskontrolle in 86% der Länder in den letzten zehn Jahren stagniert oder sich verschlechtert hat.

Auch stellt die Organisation fest, dass 27 Länder – darunter auch die Schweiz – 2021 die niedrigste Bewertung erhalten haben seit 2012 – dem ersten Jahr, für das die nötigen Vergleichsdaten vorliegen.

In der Schweiz haben im vergangenen Jahr mehrere Skandale im öffentlichen Sektor Wellen geworfen. Einer der grössten gerichtlich verhandelten Fälle betraf überteuerte IT-Verträge, die in einer vierjährigen Haftstrafe für einen ehemaligen Beamten des Staatssekretariats für Wirtschaft gipfelten, der seine Delikte zwischen 2004 und 2013 verübt hatte.

Interessenkonflikte

Was Hilti am meisten Sorgen bereitet, ist die Anfälligkeit des Sektors für Vetternwirtschaft und das häufige Versäumnis, klare Interessenkonflikte zu erkennen. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Gemeinde Arosa, ein beliebtes Skigebiet im Kanton Graubünden.

Lokale Politiker haben regelmässig einen Gratis-Skipass im Wert von 550 Franken erhalten – und diese Praxis öffentlich verteidigt, obwohl solche Aktionen eindeutig problematisch sind, sagt der Antikorruptions-Experte. 

«Das Hauptproblem, das wir haben, ist die Vetternwirtschaft», so Hilti gegenüber SWI swissinfo.ch. «Die Schweiz ist ein kleines Land, man kennt sich, man ist zusammen zur Schule gegangen. Männer gingen zusammen in den Militärdienst, sind in denselben Sportvereinen und finden sich dann plötzlich im beruflichen Umfeld wieder. Den Schweizerinnen und Schweizern fehlen oft die Sensibilität und das Wissen, um mit solchen Situationen umzugehen: Oft ist das ein Interessenkonflikt».

Auch wenn die meisten dieser Situationen strafrechtlich nicht relevant sind, so seien sie doch sehr problematisch, da sie einen Machtmissbrauch darstellten und die Integrität der Amtsträger beschädigten. 

Probleme im Privatsektor

Die grössten Defizite der Schweiz liegen laut Hilti in Bereichen, die der Index nicht misst. Insbesondere bei der Bekämpfung der Geldwäscherei, der Regulierung und Transparenz der politischen Lobbyarbeit und dem Schutz von Whistleblowern. «Die Hauptprobleme, die wir in der Schweiz haben, liegen im privaten Sektor.»

Die Herausforderung in der Privatwirtschaft, die von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dominiert wird, besteht darin, dass viele nicht wissen, was Korruption ist oder wie sie ihr begegnen können. Grosse Unternehmen wiederum verfügen zwar über Verhaltenskodexe, haben aber Schwierigkeiten, eine unternehmensweite Kultur der Nulltoleranz zu etablieren.

«Es gibt einige Sektoren mit höherem Risiko, wie zum Beispiel der gesamte Finanzsektor», sagt Hilti. «Dort gibt es Geldwäscherei und Korruption.» Rund um den Finanzsektor gebe es eine ganze Industrie der Ermöglicher nicht – Anwälte, Notare und Immobilienmakler, die Kriminellen helfen, illegales Geld zu investieren oder zu verstecken, etwa indem sie es in Briefkastenfirmen anlegen.

Einem Kunden zu raten, Geld bei einem bestimmten Finanzinstitut oder in einem bestimmten Land anzulegen, fällt nicht unter das Schweizer Geldwäschegesetz, solange die Person, die den Rat erteilt, keinen direkten Zugang zu den Geldern hat. 

In der Schweiz sind auch wichtige Akteure der Pharma- und Rohstoffindustrie sowie internationale Sportverbände ansässig. «Sie alle sind einem erhöhten Korruptionsrisiko ausgesetzt», sagt der Experte.

Zu den jüngsten Beispielen gehören die Zahlung von 729 Millionen Dollar (688 Millionen Franken) durch das Basler Unternehmen Novartis zur Beilegung von Bestechungsfällen in den Vereinigten Staaten und Griechenland im Jahr 2020 oder das Eingeständnis der Züricher Bank Julius Bär, im vergangenen Jahr in einem Fifa-Fall über 36 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern gewaschen zu haben.

Die Credit Suisse, die in einen Korruptionsskandal um «Thunfisch-Anleihen» in Mosambik verwickelt ist, hat sich im Oktober 2021 mit den Vereinigten Staaten auf eine verzögerte Strafverfolgung geeinigt.

Riesige Datenleks wie die Panama Papers und die Pandora Papers sind nach Auffassung Hiltis ein klares Zeichen, dass die Schweiz eine robustere Strategie zur Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption braucht. Doch die Bemühungen um eine Verschärfung der Gesetze sind auf starken Gegenwind gestossen. Das Gleiche gilt für einen besseren rechtlichen Schutz von Whistleblowern.

 «Unsere Anti-Geldwäsche-Gesetze werden nur dann verbessert, wenn der internationale Druck so gross ist, dass wir wirklich handeln müssen, aber dann tun wir nur das Nötigste.»

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