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Die Schweiz will mit der EU verhandeln und gibt erste Details bekannt

Die drei Bundesräte vor dem Bundeshaus unter klarem Himmel
Die Bundesräte Guy Parmelin, Ignazio Cassis und Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (von links nach rechts) treffen im Pressezentrum des Bundeshauses ein. Auf dem Programm: das Verhandlungsmandat mit der Europäischen Union. Keystone / Anthony Anex

Die Schweizer Regierung hat am Freitag ihren Entwurf für ein Verhandlungsmandat mit der Europäischen Union vorgelegt. Sie versichert: Brüssel habe sich verpflichtet, die Schweizer Besonderheiten zu respektieren.

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union treten in eine neue Phase ein. Der am Freitag vom Bundesrat verabschiedete Entwurf Externer Linkenthält die Leitlinien für die Verhandlungen. Nach der Konsultation des Parlaments und der Kantone will der Bundesrat das endgültige Mandat verabschieden.

Erklärtes Ziel der Regierung ist es, den bilateralen Weg mit der EU zu stabilisieren und auszubauen. Sie bevorzugt einen umfassenden Ansatz, der auf einem Paket von Abkommen über Zusammenarbeit und Marktzugang beruht. Dieses Paket, so die Argumentation, ermögliche mehr Flexibilität und Handlungsspielraum, um die Interessen der Schweiz zu stützen.

>> Zur Auffrischng: Unsere Debatte über die Schweiz und die EU:

Der barrierefreie Zugang zum EU-Markt ist der zentrale Pfeiler des Pakets. Dazu gehört die Aktualisierung der bestehenden Binnenmarktabkommen und der Abschluss neuer sektoraler Abkommen in den Bereichen Elektrizität und Lebensmittelsicherheit.

Das Paket sieht auch ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich sowie die systematische Teilnahme an EU-Programmen, insbesondere in den Bereichen Bildung und Forschung (am Beispiel von Horizon Europe und Erasmus+), vor. Schliesslich ist ein regelmässiger Schweizer Beitrag zur Kohäsion innerhalb der EU Teil des Pakets, landläufig bekannt als «Kohäsionsmilliarde».

Ausnahmen von der Freizügigkeit

Die Schweiz habe drei wesentliche Punkte zur Personenfreizügigkeit durchsetzen können, sagte Elisabeth Baume-Schneider am Freitag vor den Medien.

Die Schweiz und die EU diskutieren seit Juli 2022 über die Übernahme der Richtlinie zur Personenfreizügigkeit. Diese regelt das Recht der EU-Bürger:innen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Schweiz hat sie noch nicht übernommen.

In den Sondierungsgesprächen hat die EU versichert, die Besonderheiten der Schweiz zu respektieren. Insbesondere in Bezug auf die Begrenzung der Auswirkungen auf das Sozialsystem, die Einhaltung der Bestimmungen über die Ausweisung krimineller Ausländer:innen und den Schutz der Löhne, erklärte die Bundesrätin.

Europäer:innen, die fünf Jahre lang in der Schweiz arbeiten, hätten Anspruch auf eine Daueraufenthaltsgenehmigung, fügte sie hinzu. Ein Recht, das sie nicht verlieren, wenn sie nach dieser Fünfjahresfrist ihre Arbeit verlieren. Wenn sie vor diesen fünf Jahren von der Sozialhilfe abhängig sind, erhalten sie hingegen keine Daueraufenthaltsgenehmigung.

Bilateraler Weg ist «wesentlich»

Die Schweiz müsse den bilateralen Weg mit der EU stabilisieren und weiterentwickeln, sagte Aussenminister Ignazio Cassis am Freitag vor den Medien. «Gute Beziehungen zu unseren Nachbarn sind von entscheidender Bedeutung».

Der Tessiner nannte die «Instabilität» und «Unsicherheit» in der Ukraine, auf dem Balkan, im Kaukasus oder auch im Nahen Osten. Er führte auch das wirtschaftliche Argument an. Die Schweiz habe zwar einen guten Wohlstand, aber dieser sei «wegen der verschiedenen Krisen in der Welt unter Druck».

Cassis erklärte weiter, dass die Entscheidung des Bundesrates über das endgültige Mandat in den nächsten zwei bis drei Monaten erwartet werde. Die Regierung werde die Stellungnahmen berücksichtigen, die während der Konsultation vom Parlament, den Kantonen sowie den Sozial- und Wirtschaftspartnern abgegeben worden seien.

Kantone und liberale Parteien zufrieden, Gewerkschaften verlagen mehr

Die Kantonsregierungen begrüssen den Entwurf des Verhandlungsmandats mit der EU. Sie sind der Ansicht, dass mit der Eröffnung der Vernehmlassung ein wichtiger Schritt getan wurde.

Die Kantone erwarten von der EU, dass sie in den Bereichen Forschung, Bildung und Innovation Zeichen der Offenheit setzt, schreibt die Konferenz der Kantonsregierungen. Die Schweiz solle wieder zu den Ausschreibungen des Europäischen Forschungsrats sowie zu Horizon Europe zugelassen werden.

An einer ausserordentlichen Plenarversammlung am 2. Februar 2024 werden die Kantone eine gemeinsame Stellungnahme verabschieden.

FDP und Grünliberale freuen sich

Die liberale FDP begrüsst am Freitag den Entwurf des Bundesrates als «Schritt in die richtige Richtung».  Es sei nun unerlässlich, dass alle Akteure ihre Verantwortung übernehmen, fügt sie auf X hinzu. Die grünliberale Partei begrüsst «den Neuanfang».

Die FDP würdigt auch das «Engagement» ihres Ministers, des Aussenministers Ignazio Cassis, in diesem wichtigen Dossier. Es sei nun notwendig, dass alle Sozialpartner und politischen Parteien ihre Verantwortung übernehmen und zuerst an das Interesse des Landes denken würden und nicht an ihre kurzfristigen Wahl- und sonstigen Eigeninteressen.

Gewerkschaftsbund fordert Verbesserungen

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fordert Verbesserungen beim Schutz der Löhne und des öffentlichen Dienstes. In Bezug auf die Stromversorgung und den internationalen Bahnverkehr ist er der Ansicht, dass Wettbewerb und Liberalisierung die Grundversorgung und die Zusammenarbeit gefährden.

Die Bundesverwaltung habe in den Sondierungsgesprächen erhebliche Zugeständnisse gemacht, die den Schutz der Löhne und des öffentlichen Dienstes in den Bereichen Strom und Eisenbahn gefährdeten, so der Gewerkschaftsdachverband am Freitag.

In Bezug auf den Lohnschutz müsse insbesondere die Rückerstattung der Kosten für entsandte Arbeitnehmer:innen garantiert werden. Die Schweiz müsste aber das EU-Recht bezüglich dieser Kosten übernehmen, was zu Lohndruck und unlauterem Wettbewerb führen würde.

Der SGB will in der Schweiz auch Verbesserungen bei den Gesamtarbeitsverträgen und der Regulierung der Zeitarbeit.

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