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An Schweizer Tresen droht ein Krieg um Bier-Zapfsäulen

Brasserie Trois Dames à Ste-Croix
In den letzten Jahren sind in der Schweiz zahlreiche Brauereien entstanden. swissinfo.ch

Schweizer Bier ist auf dem Vormarsch: Der Konsum von lokal gebrautem Gerstensaft steigt. Mittlerweile gibt es im ganzen Land mehr als 1000 Brauereien. Droht die Sättigung eines umkämpften Marktes?

Wohl nur wenige Menschen wissen: Die Schweiz hält den Weltrekord, was die Anzahl Brauereien im Verhältnis zur Bevölkerung betrifft. Mit 1021 Produzenten, die Ende 2018 hier Bier brauten, liegt die Schweiz vor Ländern mit einer traditionsreichen Bierbrau-Reputation wie Tschechien, Deutschland, Belgien, Österreich und Kanada.

Biermarkt in der Schweiz

Von 1935 bis 1991 fusste der Markt auf einer Reihe von regionalen Konventionen, die allgemein als «Bierkartell» bezeichnet wurden.

Die auch vom Staat befürwortete Abschaffung des Kartells führte zur Schaffung eines Oligopols, das heute von zwei Riesen dominiert wird: Carlsberg (Feldschlösschen, Kardinal, Gurten, Walliser Bier, Warteck, Löwenbräu, Hürlimann) und Heineken (Heineken, Eichhof, Ziegelhof, Calanda, Haldengut, Ittinger). Zusammen haben die beiden einen Marktanteil von fast 70%.

Regionale Brauereien, vor allem in der Deutschschweiz, haben einen Marktanteil von etwas mehr als 25%. Der Anteil der Mikro-Brauereien macht nicht mehr als 2 bis 3% des Marktes aus.

Die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre war überwältigend. Im Jahr 2000 hatte es auf Schweizer Boden nur gerade 81 Brauereien gegeben. Nach 2011 ging die Expansion noch rascher, und der Personalbestand stieg seither um das Dreifache an.

«Diese Entwicklung begrüssen wir sehr, hilft sie doch, das Interesse der Bevölkerung zu wecken. Die über 1000 Brauereien – ob klein oder gross, ob professionell oder hobbymässig – sind alle Repräsentanten dieses Jahrtausende alten Handwerks», kommentiert Marcel Kreber, der Direktor des Schweizerischen Brauerei-Verbandes Externer Link(SBV).

Ungleiche Verteilung der Produktion

Die Zahlen seien allerdings mit einer Prise Salz zu betrachten, erklärt der SBV-Direktor. «Sobald eine Person mehr als 400 Liter pro Jahr braut, unterliegt sie der Biersteuer und erhält damit den Status einer Brauerei», erklärt er.

Im internationalen Vergleich ist die Schwelle für die administrative Registrierung in der Schweiz extrem niedrig. Und mehr als 700 Schweizer Brauereien produzieren weniger als 2000 Liter pro Jahr. Andererseits werden 99% des Schweizer Biers von nur rund fünfzig Brauereien produziert, von denen pro Jahr mehr als 100’000 Liter auf den Markt kommen.

«Berücksichtigt man nur die Brauer, die mit dieser Tätigkeit einen halben Lohn oder mehr verdienen, so kommt man auf maximal 200 Brauereien in der Schweiz», relativiert Laurent Mousson, ehemaliger Vizepräsident der Union Europäischer Bierkonsumenten.

Vielfalt und Terroir

Auf jeden Fall ist die Zunahme von regionalen Brauereien sowie Klein- und Mikro-Brauereien Realität, vor allem aufgrund des veränderten Geschmacks. Viele Konsumenten und Konsumentinnen trinken heute lieber weniger, aber bewusster. Dabei konzentrieren sie sich meist auf Vielfalt sowie Biere, die in der näheren Umgebung gebraut werden. Auch wenn dies bedeutet, etwas mehr zu bezahlen, um in den Genuss eines authentischen Biers zu kommen.

Zwei Zahlen verdeutlichen diesen Trend: Der durchschnittliche Bierkonsum sank von mehr als 70 Litern pro Kopf in den 1990er-Jahren auf heute 55 Liter; die Schweiz gehört damit nicht mehr zu den 35 Nationen mit dem grössten Bierkonsum. Während die Importe schrumpften, nahm der Absatz von lokalen Bieren in den letzten Jahren leicht zu.

Externer Inhalt

Heute gibt es unzählige Amateure, die sich auf das Abenteuer des handwerklichen Brauens einlassen. Viele lokale Bier-Spezialitäten fanden inzwischen ihren Weg in Bars, Restaurants, Festivals oder private Kühlschränke.

Damit hat das «Lager» sein praktisches Monopol beim Bierkonsum endgültig verloren. Besonders beliebt sind heute angelsächsische Biere (IPA, Pale Ale, Stout), von denen es immer mehr neue Versionen «Made in Switzerland» gibt.

Quantität bedeutet nicht Qualität

Diese Explosion beim Angebot geht jedoch nicht immer einher mit einer Verbesserung der Qualität. «Fast jedes Dorf hat heute eine eigene Kleinbrauerei, aber die Qualität wird immer schlechter. Man wird nicht einfach über Nacht zum Brauer. Viele unterschätzen das Wissen und die Fähigkeiten, die dieser Beruf erfordert», sagt Dominique Javet, ein Amateurbrauer und Kenner der Szene.

«Fast jedes Dorf hat heute eine eigene Kleinbrauerei, aber die Qualität wird immer schlechter. Man wird nicht einfach über Nacht zum Brauer. «
Dominique Javet, Amateur-Bierbrauer

Solche Zauberlehrlinge können lokalen Brauereien schaden und die mutmassliche Überlegenheit handwerklich hergestellter Spezialitäten-Biere untergraben. Ob diese Nivellierung nun eine Folge dieses Abwärtstrends ist oder nicht, die Zahl der neu gegründeten Brauereien dürfte in den kommenden Jahren voraussichtlich wieder sinken.

«Wir stossen tatsächlich langsam an die obere Grenze. Es werden in der Schweiz seit Jahren immer weniger alkoholhaltige Getränke getrunken – inklusive Bier. Von daher ist der Wettbewerb für die Brauereien sicher ambitiöser geworden», sagt Marcel Kreber.

Ein Wettbewerb, den einige Brauer deutlich zu spüren beginnen. Anfang dieses Jahres musste zum Beispiel die Brasserie du Chauve in Freiburg nach weniger als drei Jahren Tätigkeit ihren Betrieb dicht machen.

«Wir stehen in einem starken Wettbewerb, vor allem mit Privatpersonen, die ihr Bier in ihrer eigenen Umgebung auf den Markt bringen und verkaufen. Und die lokalen Gastronomen kaufen lieber billigere Produkte von grossen Brauerei-Gruppen als Freiburger Bier», erklärte der Gründer Jann Poffet den Schritt in einem Interview mit der Regionalzeitung La Liberté.

Krieg der Bierzapfanlagen

Der Wechsel vom Amateur zum Profi ist für kleine handwerkliche Brauereien oft ein schwieriger Schritt. Um in die Kanäle der Grossverteiler zu gelangen und mit der Nachfrage-Entwicklung Schritt halten zu können, müssen sie ein bestimmtes Produktionsvolumen sicherstellen können. Banken sind jedoch oft zurückhaltend, wenn es darum geht, die für eine solche Expansion notwendigen Investitionen zu finanzieren.

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Trois Dames, eine Brasserie, welche die Originalität pflegt

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die 2003 gegründete Brauerei Trois Dames in Sainte-Croix im Kanton Waadt hat sich einen guten Ruf für ihr hochwertiges, handwerklich gebrautes Bier erworben. Ein Besuch in Bildern. Pioniergeist, Originalität, geschmackliche Kühnheit: Das sind die drei Attribute, die Raphaël Mettler (58 Jahre), den Gründer und Patron der Brasserie Trois DamesExterner Link in Sainte-Croix, wohl am besten…

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Und danach ist der Kampf um einen Platz an der Sonne hart. Auch wenn es etwas von seiner einstigen Macht eingebüsst hat, beherrscht das Oligopol Heineken-Carlsberg (siehe Kasten) noch immer rund 70% des Biermarktes in der Schweiz. Die beiden Giganten halten die grosse Mehrheit der Verkaufsstellen. Sie binden die Bars und Restaurants mit Exklusivverträgen an sich. 

Letztere akzeptieren es, ihre Freiheit im Gegenzug für Finanzierungsmittel (wie kostenlose Bereitstellung einer Bar, eines Kühlschranks, von Bierzapfanlagen etc.) und Rabatte zu opfern.

Auch unter den neuen mittelgrossen Unternehmen zögern gewisse nicht, zu den gleichen Methoden zu greifen. Dies gilt insbesondere für den Kanton Waadt (800’000 Einwohner), wo es heute gleich drei regionale Brauereien auf dem gleichen Territorium gibt: Die Brasserie Trois DamesExterner Link, Dr. GabsExterner Link und La NébuleuseExterner Link.

«Cool und systemkritisch»

«Dr. Gabs und Nébuleuse haben eine kleine Stossmacht entwickelt und zögern nicht, auf den Weiden der beiden Riesen zu grasen, indem sie ihren Kunden ein umfassendes Angebot von Bieren und auch Bierzapfanlagen liefern», sagt Laurent Mousson.

Raphaël Mettler, Gründer der Brauerei Trois Dames im Kanton Waadt. swissinfo.ch

Eine Entwicklung, die Raphaël Mettler, der Gründer der Brasserie des Trois Dames und Pionier von handwerklich gebrauten Bieren in der Westschweiz, eher kritisch beobachtet: «Sie machen bei diesem System mit, um sich den Marktzugang zu kaufen. Wir haben uns unsererseits immer auf die Qualität unserer Produkte konzentriert, ohne uns zu sehr um Marketing, Marktgesetze und Vertriebskanäle zu kümmern.»

Es war der «coole und systemkritische» Aspekt der Produktion von Craft Beers in amerikanischen Mikrobrauereien, der Mettler dazu anregte, 2003 in die Produktion von handwerklich gebrautem Bier einzusteigen. «Doch seither veränderte sich viel, und ich muss zugeben, dass ich angesichts dieser Entwicklung auch eine gewisse Müdigkeit empfinde», sagt er.

Schlüsselzahlen

In der Schweiz gibt es mehr als 1000 registrierte Bierbrauer.

Der Umsatz der Schweizer Bierbrau-Industrie beträgt mehr als eine Milliarde Franken. 

2018 wurden insgesamt 3,66 Millionen Hektoliter Bier produziert.

Die Branche exportiert nur 1,4% ihrer Produktion.

Der Jahreskonsum liegt bei 55 Litern pro Person. Das ist wenig im Vergleich mit den 140 Litern in Tschechien, 108 Litern in Österreich und 106 Litern in Deutschland.

Drei von vier in der Schweiz konsumierten Bieren werden in der Schweiz hergestellt.

So genannt untergäriges Bier (Lager) bleibt in der Schweiz der Konsum-Favorit (82%).

2018 stieg der Anteil der Spezialbiere um zwei Prozentpunkte auf 18%.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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