Das alte Meer und der Mann
Odysseus kämpfte zehn Jahre gegen das Mittelmeer an. Der bedeutende Schweizer Fotograf Fred Boissonnas reiste seinen Spuren nach. Eine Ausstellung erinnert daran.
Sein Wesen steckt schon im Namen: Das Mittelmeer liegt in der Mitte, zwischen verschiedenen Welten, ist eine Passage und genauso verbindend wie trennend. Homer setzte ihm mit der Odyssee ein episches Denkmal, das bis heute seine Gültigkeit behalten hat: Die Irrfahrt des Helden durch die Weiten des Meeres ist auch eine Irrfahrt durch die Weiten der Seele. Die Rückkehr in den sicheren Hafen der Heimat muss erkämpft werden.
Die abendländische Kulturgeschichte ist untrennbar mit dem Mittelmeer verbunden, und das weit über die Küstengebiete hinaus. Davon zeugt eine Ausstellung im Musée Rath in GenfExterner Link. Unter dem Titel «Fred Boissonnas und das Mittelmeer. Eine fotografische Odyssee» folgt sie den Spuren des grossen Genfer Fotografen, der vor einem Jahrhundert die blaue Endlosigkeit auf eine zeitlose Art einfing.
Fred Boissonnas (1858-1946) hatte sich seine Sporen in der Schweiz bereits abverdient und war kein junger Mann mehr, als er es zu internationalem Erfolg brachte. Aus einer Fotografen-Dynastie stammend, hatte er in Genf das Atelier seines Vaters übernommen und war über die Landesgrenzen hinaus bekannt, als seine Karriere dank Reisen nach Griechenland und anderen Mittelmeeranrainern einen weiteren Schub erhielt.
Boissonnas legte grossen Wert auf einen umfassenden Ansatz bei den Vorbereitungen. Dank dem ständigen Austausch mit Wissenschaftlern, Künstlern und Politikern rückten Geschichte und lokales Selbstverständnis ins Zentrum seiner Arbeit und er erhielt einzigartigen Zugang zu Land und Leuten.
In Griechenland wurde sein Werk von der Politik hochgeschätzt, um damit das Image des Landes im Ausland zu erhöhen. Dies zu einer Zeit, als es mit einer expansionistischen Politik sein Staatsgebiet zu erweitern versuchte. Boissonnas sollte die neuen, nach griechischer Sicht «befreiten» Gebiete fotografisch einfangen. Es resultierten zahlreiche Aufträge für den Genfer Fotografen, der trotz seines künstlerischen Ruhmes zeitlebens von Geldsorgen geplagt war und eine neunköpfige Familie zu ernähren hatte.
Der Bergsteiger
Boissonnas war aber auch ein Mann der Berge: In der Schweiz hatte er bedeutende Arbeiten zu den Walliser Alpen produziert, er wurde zudem bekannt für seine spektakulären Bilder vom Mont Blanc. In Griechenland erfuhr er später zusätzlichen Ruhm, als er August 1913 mit dem Genfer Maler Daniel Baud-Bovy und dem griechischen Bergführer Christos Kakkalos die Erstbesteigung des Olymps unternahm.
Später übernahm Boissonnas Aufträge vom ägyptischen König Fu’ad I., um mit seinen Bildern die neu erlangte Unabhängigkeit von Ägypten 1922 zu zelebrieren. Dabei entstanden eindrückliche Bilder aus der Sinai-Halbinsel, wo er den biblischen Exodus der Israeliten fotografisch nachverfolgte.
Auch hier galt: Das Abbild der antiken Überbleibsel sollte die Auferstehung in die Moderne begünstigen. Das relativ neue Medium der Fotografie wurde in den Dienst der Staatenbildung gestellt.
Aber Boissonnas interessierte sich stark für die sogenannt normalen Menschen: Der ethnologische Blick auf den Alltag der Bewohner, die im Schatten der Trümmer ihrer antiken Vorfahren lebten, war von Vorurteilen befreit und schien ihnen eine besondere Würde zu geben. Sie sind heute Zeitdokumente von unschätzbarem historischem Wert.
Von einem zeitlosen ästhetischen Wert sind zudem die Meeresbilder, die im Zentrum der Ausstellung stehen und zwischen Gibraltar und den griechischen Inseln, zwischen Italien und den nordafrikanischen Küsten entstanden. Die Rolle des mythischen Mittelmeeres in Boissonnas› Werk ist zentral, um die Bedeutung des Genfers in der Entwicklung des damals noch jungen Mediums der Fotografie zu erfassen.
Aufgrund der Pandemie-Massnahmen bleibt das Musée RathExterner Link bis auf Weiteres geschlossen. Die Ausstellung dauert bis Ende Januar, über eine Verlängerung ist noch nicht entschieden worden.
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