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Frisst die Schweiz steuermässig über den Hag hinaus?

Das erste in Europa eröffnete Starbuck war 2001 jenes in Zürich. In England steht der Gastroriese nun am Steuer-Pranger. AFP

Die Schweiz ist in einen weiteren Steuerstreit involviert. Dabei geht es um den Vorwurf des "Ring Fencings": Die Schweiz fresse im Bereich der Unternehmenssteuern über den Hag hinaus. Gestritten wird um "Transfer Pricing" respektive Holding-Privilegien.

Bezüglich Steuerkontroversen kämpft die Schweiz zur Zeit an zwei Fronten: Jener für Privatpersonen und jener für Unternehmen. An der ersten Front geht es um (ausländische) Privatpersonen, wobei beanstandet wird, bisher unversteuerte Gelder von Privaten seien zu deklarieren (Bankgeheimnis). An der zweiten Front geht es um die Besteuerung von Unternehmen (Holding-Privileg).
 
Im letzteren Fall wird die Praxis des Transfer Pricing kritisiert: Mit diesem an sich erlaubten Verrechnen von Preisen innerhalb multinational agierender Unternehmungen sollte im Grunde genommen absichert werden, dass Aktivitäten von in zahlreichen Ländern operierenden Grossunternehmen gerecht besteuert werden. Beanstandet wird aber, dass in der Schweiz dieses System vermehrt so manipuliert werde, dass der gegenteilige Effekt eintrifft.
 
Transfer Pricing würde sich beispielsweise bei einem Unternehmen ergeben, das in einem ersten Land Komponenten herstellt, sie in einem zweiten Land zusammensetzt und dann auf den Weltmärkten verkauft. Zugeordnete Marketing- und weitere Dienstleistungen würden dabei aus weiteren Ländern stammen.
 
Dabei belastet jede Niederlassung andere Niederlassungen in weiteren Ländern für ihre Leistungen. Womit die jeweiligen Preise unternehmensintern verrechnet werden. Die sich daraus ergebenden Erträge und Gewinne müssten dann in dem Land, in dem sie zustande kamen, besteuert werden.
 
Seit langem jedoch werfen Kritiker den Niederlassungen in Niedrigsteuerländern vor, mittels diesem Verrechnungssystem potenzielle Steuererträge beispielsweise aus Entwicklungsländern heraus zu transferieren und in Tiefsteuerländern wiederauftauchen zu lassen.

Starbucks, Vodafon, etc.: Zahlreiche bekannte Namen

Auftrieb erhielt diese Debatte in den letzten Monaten, weil auch Nichtentwicklungsländer wie Grossbritannien begonnen haben, das bei ihnen praktizierte Transfer Pricing anzuprangern. Grosse Namen wie Starbucks, Vodafone, Nissan und Alliance Boots verärgern in England die Öffentlichkeit, da sie auf Milliarden von Einnahmen praktisch keine Steuern bezahlen. In jedem der Fälle habe auch die Schweiz unter den dadurch begünstigen Ländern figuriert.
 
Die Schweiz ist aber beileibe nicht das einzige Niedrigsteuerland, in dem Niederlassungen grosser Konzerne kleine, aber teure Dienstleistungen erbringen. Beispielsweise in Irland, den Niederlanden, Luxemburg oder auf den Bermudas lassen sich ebenfalls teure Administrativdienste verrechnen.
 
So ist die Nichtregierungs- und Lobbyorganisation Alliance Sud überzeugt, dass das kantonale Steuersystem, das tiefere Steuersätze für in Übersee gemachte Gewinne erlaubt, aus der Schweiz ein Transfer-Pricing-Land macht. Die Schweiz ermögliche wegen der kantonalen Steuerrabatte den Missbrauch der Verrechnungspreise, sagt Sprecher Mark Herkenrath gegenüber swissinfo.ch.
 
«Das kommt einer offenen Einladung an solche Unternehmen gleich, die zwar in Entwicklungsländern produzieren lassen, ihre Gewinne aber in die Schweiz verschieben wollen.»

Verluste in der Dritten Welt

Die englische Organisation Christian Aid hat errechnet, dass sich für 2009 der Missbrauch beim Transfer Pricing auf geschätzte 152 Mrd. Franken an Steuereinnahmen belief, der von armen in Richtung reiche Länder abgezweigt wurde. «Es ist wahrscheinlich, dass die Summe der aus der Dritten Welt abgezogenen Steuereinnahmen den gesamten Betrag der durch die Erste Welt geleisteten Entwicklungshilfe übersteigt», schätzt Herkenrath.
 
SwissHoldings, der Landesverband der multinationalen Konzerne, hält dagegen, dass sich die grossen Global Players an die weltweiten Regeln halten: «Jedes Land hat das Recht, die auf seinen Standorten erarbeitete Wertschöpfung zu besteuern», sagt Geschäftsleiter Christian Stiefel gegenüber swissinfo.ch. «Das bestehende Regelwerk bezüglich der Verrechnungspreise sollte dafür genügen.»

Globale Regelwerke der OECD

Das Festlegen von internationalen Standards für die globalen Regelwerke ist der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anvertraut worden. Dabei gilt, dass die Unternehmen brauchbare Erklärungen (über ihre tatsächliche Wirtschaftstätigkeit) vorweisen müssen, wenn sie ihre Gewinne über verschiedene Länder verteilen.
 
Um sicher zu stellen, dass die verrechneten Preise weder überhöht noch unterschätzt werden, mit dem Zweck, die Gewinne aus Hochsteuerländern herauszuhalten, werden die Tochtergesellschaften angehalten, einen «marktüblichen Abstand» zu halten. Das heisst, die Töchter desselben Konzerns müssen die Preise, die sie unter sich verrechnen, so aushandeln, als ob sie unabhängige Unternehmen wären und ihre Preise sich in einem freien Markt bildeten.
 
Kritiker wie Olivier Longchamp von der Lobbygruppe «Erklärung von Bern» (EvB) wenden an diesem Punkt ein, dass die Konzerne bei dieser Art von verrechneten Preisen den Umstand ausnützten, dass der wirkliche Marktwert von Lizenzen, Marken und Rechten nur schwierig festzulegen sei.
 
Ausserdem zweifelt Longchamp am Willen der Schweiz, die bestehenden OECD-Regulierungen zu überwachen und durchzusetzen, obschon das Land ein Unterzeichnerstaat dieser Organisation ist. «Schliesslich ist es nicht die Schweiz, die unter falsch verrechneten Preisen leidet», sagt Longchamp gegenüber swissinfo, «auch profitiert die Bevölkerung hier davon – auf Kosten der Leute in ärmeren Ländern».

EU-Herausforderung

Der laufende Steuerstreit mit der EU um die Privilegien für Holdinggesellschaften könnte dem Ruf der Schweiz als steuergünstiger Standort für Unternehmen schaden. Auch scheint sich abzuzeichnen, dass die Kantone ihre Politik der bevorzugten Besteuerung von aus- gegenüber inländisch erarbeiteten Gewinnen begraben könnten.
 
SwissHoldings verteidigt das Recht der Schweiz, als Standort für Hauptsitze oder Niederlassungen von multinationalen Konzernen zu dienen. Stiefel sagt, dass die rund 10’000 Unternehmen dieser Art für rund einen Drittel aller Arbeitsplätze, aller Einnahmen aus Unternehmenssteuern und aller wirtschaftlichen Wertschöpfung aufkommen.
 
«Die multinationalen Unternehmen sind in der Schweiz eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Erfolgsgeschichte», sagt Stiefel gegenüber swissinfo.ch . «Wir rufen den Bundesrat und die Kantone dringend dazu auf, eine umfassende, international verträgliche Strategie zu formulieren.» Diese müsse den Status der Schweiz als steuerlich attraktives Umfeld für Multinationale bewahren.

Falls die Sonderbesteuerung von internationalen Konzernen in der Schweiz wegfalle, brauche es Ersatzmassnahmen, fordert der Verband SwissHoldings. Ein «attraktives steuerliches Umfeld» sei für global tätige Unternehmen von besonderer Bedeutung.

SwissHoldings geht davon aus, dass sich die steuerliche Sonderbehandlung von internationalen Grosskonzernen in der Schweiz nicht mehr lange halten kann.

Der Verband drängt auf eine rasche Lösung. Er fordert Bund und Kantone auf, sich «mit Dringlichkeit auf finanziell tragfähige und international kompatible Lösungen» zu einigen.

Die Holdingbesteuerung soll unangetastet bleiben, da sie – im Gegensatz zu Domizil- und Gemischten Gesellschaften – kein Fall von «Ring Fencing» sei.

Die generell tiefe Holdingbesteuerung dürfe die EU nicht ankreiden, sagt SwissHoldings-Geschäftsleiter Christian Stiefel, denn viele ihrer Mitgliedstaaten liessen Regimes zu, die im Resultat noch günstiger seien.

In SwissHoldings zusammengeschlossen sind 56 internationale Konzerne, die ihren Sitz in der Schweiz haben. Neben zugezogenen Firmen gehören vornehmlich Schweizer Konzerne wie Nestlé oder Holcim dem Verband an. Ebenfalls Mitglied sind die Schweizerische Post und Swisscom. 

(Quelle: sda)

Die OECD schätzte 2002, dass 60% des Welthandels innerhalb multinationaler Unternehmen in Form von Transfer Pricing stattfand.

Dies birgt jedoch auch die Möglichkeit, Gewinne aus einem Hochsteuer- in ein Niedrigsteuerland zu transferieren.

In den dortigen, oft mit nur wenigen Mitarbeitenden ausgestatteten Niederlassungen werden konzernintern teure Gebühren, Lizenzen oder Forschungsaufwendungen in Rechnung gestellt.

Der britische Premier David Cameron und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble haben kürzlich auf den Zusammenhang zwischen Transfer Pricing und Steuervermeidung hingewiesen.

Im Finanzwesen bedeutet das «Ring Fencing» (Umzäunung), Vermögenswerte von einem Bereich in einen anderen zu transferieren, mit dem Ziel, Vorteile zu erarbeiten.

Im Kontext der Unternehmens-Besteuerung ist mit dem «Ring Fencing» die steuerliche Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Erträgen gemeint.

Die Unternehmens-Besteuerung ist ein wichtiger Bestandteil im internationalen Wettbewerb der Wirtschafts-Standorte.

Es gibt aber keine vertragliche Regelung zwischen der Schweiz und der EU, welche die Schweiz verpflichtet, ihre Unternehmens-Besteuerung an jene der EU-Mitgliedsstaaten anzugleichen. Deshalb kann auch gegen keine Abmachung verstossen werden.

Dies gilt insbesondere für das Freihandelsabkommen Schweiz-EU (EWG) aus dem Jahr 1972. Dieses regelt ausschliesslich den Handel mit Waren und bietet keine ausreichende Grundlage für eine Beurteilung der Unternehmens-Besteuerung unter dem Aspekt der Wettbewerbsverfälschung.

(Quelle: Position der Schweiz, Steuerkontroverse Schweiz – EU, EFD)

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

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