Steigen die Zinsen auch bei einer Energiekrise weiter?
In Europa ist die Inflation viel zu hoch, gleichzeitig droht eine Energiekrise. Die Zentralbanken stehen vor einem Dilemma: Sollen sie die Zinsen weiter erhöhen, um die Teuerung in den Griff zu bekommen? Oder eine Pause einlegen, um die Wirtschaft zu stützen? Einschätzung dazu gibt es im neusten Geldcast von swissinfo.ch.
Strom zu jeder Tags- und Nachtzeit? Das werden wir diesen Winter vielleicht nicht haben. Weil der russische Präsident Wladimir Putin kein Gas mehr nach Europa schickt, droht Europa eine Energiekrise. Im schlimmsten Fall käme es in der Schweiz zu rotierenden Stromabschaltungen. Das hat der Bundesrat im August angekündigt.
«Das wäre ein sehr grosser Einschnitt «, sagt Caroline Hilb, Leiterin der Anlagestrategie bei der St. Galler Kantonalbank im Geldcast von swissinfo.ch. «Speziell hart würden die Metallindustrie von einer Energiemangellage getroffen. » Das deshalb, weil dort mit hohen Temperaturen gearbeitet wird – was entsprechend viel Energie braucht.
Steht uns also eine neuerliche Wirtschaftskrise ins Haus? «Eine schwere Wirtschaftskrise in Europa und der Schweiz erwarte ich aktuell nicht.» Eine merkliche Abkühlung der Wirtschaftslage sei aber durchaus denkbar. «Wenn es zu einer Energiemangellage kommt, hätten Firmen mehr Schwierigkeiten, ihr Angebot aufrechtzuerhalten», sagt Hilb. Sie erwähnt eine Bäckerei, die ohne Strom keine Gipfeli backen könnte. «Für mich deutet nicht viel darauf hin, dass wir es wirtschaftlich gut durch den Winter schaffen werden.»
Die Zentralbanken stehen vor einem Dilemma
Für die Zentralbanken ist das eine schwierige Situation: Einerseits schwächt sich die Wirtschaft ab, wenn weniger produziert wird. Andererseits steigen die Preise weiter, weil Gas und Strom teurer werden.
Die schwächelnde Wirtschaft spricht dafür, die Zinsen zu senken. Zinssenkungen machen Hypotheken und Kredite günstiger und stimulieren so die Wirtschaft. Die steigenden Preise verlangen derweil das Gegenteil, nämlich steigende Zinsen. Sind die Zinsen hoch, lohnt es sich wieder zu sparen, statt sein Geld für ein Auto oder einen neuen Flat-Screen auszugeben. Das bremst den Preisdruck.
Für Hilb ist klar, wie die Zentralbanken entscheiden werden: «Die Zentralbanken werden auch dann die Zinsen noch weiter erhöhen, wenn sich die Konjunktur abschwächt.» Doch stützt das die Wirtschaft nicht vollends in die Krise? Hilb verneint: «Nicht die Zentralbanken stürzen die Wirtschaft in eine Krise; der Wirtschaftszyklus führt dazu, dass sich die Wirtschaft selbst in die Krisen stürzt.»
Ein steiler Zinsanstieg in der Schweiz ist möglich
Für die Schweiz erwartet Hilb in den nächsten Monaten weitere Zinserhöhungen. «Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird ihren Leitzins bis Mitte nächsten Jahres auf 1.5 Prozent erhöhen.» Sie erwartet damit einen deutlich steileren Zinsanstieg als die Finanzmärkte. Zurzeit liegt der SNB-Leitzins bei –0.25 Prozent. Die meisten Marktteilnehmer:innen glauben, dass die SNB-Spitze an ihrer nächsten Sitzung am Donnerstag entscheiden wird, den Leitzins zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder in den positiven Bereich zu erhöhen.
Kurzfristig werde das schmerzhaft sein für die Wirtschaft, sagt Hilb. Doch es gäbe auch eine gute Nachricht: «Ein Zins von 1.5 Prozent im nächsten Sommer wird reichen, um die Inflation wieder unter 2 Prozent zu drücken.» Aktuell liegt die Teuerung in der Schweiz bei 3.5 Prozent und damit auf dem höchsten Stand seit August 1993.
Hier geht es zum Geldcast mit Caroline Hilb in voller Länge:
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