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Wie politisch sind die Entscheide der Nationalbank?

Zwei Männer
Adriel Jost und Fabio Canetg in Zürich. Livefabrik

Zentralbank-Entscheide gelten als unpolitisch – doch sind sie das wirklich? Über diese Fragen sprechen wir vier Monate vor den eidgenössischen Parlamentswahlen mit Adriel Jost, Fellow am Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Luzern.

Prognosen zu machen, ist schwierig – doch für die Geldpolitik sind sie essenziell: Zinsveränderungen wirken nämlich erst mit einer Verzögerung auf die Wirtschaft.

Wenn die Nationalbank ihre Zinsen diese Woche weiter erhöht – wie viele Beobachter:innen erwarten –, reduziert das die Inflation also nicht unmittelbar, sondern frühestens 2024. Darum versuchen ganze Teams von Ökonominnen und Ökonomen bei den Zentralbanken möglichst genau vorherzusagen, wie hoch die Inflation dann sein wird.

Prognosen für die nächsten ein bis drei Jahre seien aber nicht nur schwierig, sondern schlicht eine Unmöglichkeit, sagt Adriel Jost von Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Luzern.

Zwar könne die Nationalbank relativ gut voraussagen, wie hoch die Inflation in den nächsten paar Monaten sein werden. Und man wisse zumindest ein bisschen etwas darüber, wie hoch der Teuerungsdruck über die nächsten fünf oder zehn Jahren sein wird.

Für den relevanten Prognosehorizont für die Geldpolitik – also für den Zeitraum in ein bis drei Jahren – sähe es allerdings ganz anders aus: «Über diesen Prognosezeitraum weiss man nicht nur wenig, sondern einfach nichts!» Eigentlich müssten die Zentralbanken darum sehr vorsichtig agieren, so Jost.

Die Zentralbanken entscheiden im Blindflug

In der Wissenschaft hat sich für dafür das Konzept der ruhigen Hand etabliert: Es besagt, dass die Zentralbanken nicht vorschnell auf vermeintlich eindeutige Entwicklungen reagieren sollten und erklärt, warum beispielsweise die Europäische Zentralbank (EZB) noch davor zurückschreckt, ein Ende der Zinserhöhungen anzukünden. Und das, obwohl die Inflation sinkt und die Wirtschaft schwächelt.

«Die Zentralbanken bewegen sich im stockdichten Nebel», so Adriel Jost. Wegen der hohen Unsicherheit einfach nichts zu entscheiden, sei aber auch keine Option, denn: «Auch Nichtstun ist eine Entscheidung», so der ehemalige Berater des ex-SNB-Vizepräsidenten Fritz Zurbrügg.

Doch worauf basiert die Nationalbank denn ihre Entscheide, wenn die Prognosen derart unzuverlässig sind? Natürlich spielten da gewisse Grundüberzeugungen der Spitzenleute eine Rolle, sagt Jost.

Wichtig sei aber, dass die Entscheide einer Institution regelmässig hinterfragt würden. Eine offene Diskussionskultur zu pflegen, sei aber nicht so einfach, weil die Zentralbank nach aussen mit einer Stimme auftreten müsse.

Wie gut gelingt dieser Balanceakt bei der Nationalbank? Der ehemalige SNB-Mitarbeiter Jost sagt es diplomatisch: «Es gelingt manchmal besser und manchmal weniger gut.»

Wer folgt auf Andréa Maechler im SNB-Direktorium?

Das sei zwar besorgniserregend, so Jost, gleichzeitig müsse man aber auch sehen, dass die Zentralbanken keine zufälligen Entscheide träfen: «Die Entscheide der Zentralbanken spiegeln häufig die politischen Präferenzen der Leute.»

Mit anderen Worten: Sind die Leute besonders inflationsscheu – wie in der Schweiz –, zeigt sich das häufig an einem konservativen Zentralbank-Präsidenten. In der Schweiz steht Thomas Jordan dem SNB-Direktorium vor.

Aktuell droht im SNB-Führungsgremium eine Vakanz, weil Andréa Maechler ihren Rücktritt auf Ende Juni angekündigt hat. Bisher ist unklar, wer auf sie folgen soll.

Vorletzte Woche sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter dazu im Parlament: «Eine Ersatzwahl muss nicht zwingend bis Ende Juni erfolgen.»Externer Link Gäbe es eine Vakanz, würde Thomas Moser, der aktuelle Stellvertreter von Andréa Maechler, vorübergehend ihre Aufgaben übernehmen.

Für Jost ist klar, was die neue Person im SNB-Direktorium mitbringen muss: «Sie muss vor allem kompetent sein – und genug standkräftig, um ihre Positionen im SNB-Direktorium zu vertreten.»

Hier geht es zum Geldcast mit Adriel Jost in voller Länge:

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Und hier aus unserem Archiv der Geldcast mit Thomas Moser:

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