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Gründe des Journalist:innen-Schwunds in der Schweiz

Das Verschwinden von Zeitungstiteln, Entlassungen und Umschulungen: Der Beruf des Journalisten leidet. Keystone / Jean-christophe Bott

Die Anzahl Arbeitsplätze im Journalismus ist in der Schweiz zwischen 2011 und 2019 um einen Viertel zurückgegangen. Zwischen Entlassungen und Umschulungen: Die Branche leidet, hält sich aber bislang besser als in anderen Ländern.

Während das Schweizer Stimmvolk am 13. Februar über Massnahmen zur finanziellen Unterstützung der Medien abstimmt, nimmt die Anzahl der Beschäftigten in der Journalismus-Branche in den letzten Jahren stetig ab. 2011 hatte die Branche gemäss Bundesamt für Statistik BFS noch über 17’000 Arbeitsplätze verfügt.

Diese Zahl berücksichtigt nicht nur die redaktionellen Berufe, sondern auch Arbeitsplätze in den Abonnements- und Marketingabteilungen. Bis 2019 war die Zahl der Arbeitsplätze auf rund 13’000 gesunken. Das entspricht einer Abnahme von 25%.

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Ein Rückgang, den auch die Branchen-Gewerkschaften feststellen. Deren Mitgliederzahlen schrumpfen konstant. Impressum, eine der grössten Berufsverbände von Medienschaffenden der Schweiz, hatte Anfang der 2000er-Jahre rund 5000 aktive Mitglieder gezählt, heute sind es nur noch gut 3200.

Die Zentralsekretärin von Impressum, Dominique Diserens, hält fest, dass viele Journalist:innen ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil sie Opfer von Umstrukturierungen in der traditionellen Presse geworden sind.

Sie sieht aber noch einen weiteren Faktor: «Immer mehr Menschen verlassen den Journalismus. Sie wechseln häufig in die Kommunikationsbranche, aber auch in den Bildungsbereich», so Diserens. Dort lockten höhere Löhne und regelmässigere Arbeitszeiten. 

«Immer mehr Menschen verlassen den Journalismus. Sie wechseln häufig in die Kommunikationsbranche, aber auch in den Bildungsbereich.»

Dominique Diserens, Zentralsekretärin von Impressum

Die Zeitungsverleger:innen ihrerseits sehen sich unter Druck. Stefan Wabel, Direktor des deutschsprachigen Verlegerverbands Schweizer Medien, betont, dass die drastisch sinkenden Werbeeinnahmen sowie die gleichzeitig steigenden Kosten für Papier und Zustellung viele Medienunternehmen unter Spardruck setzten. «Und sparen heisst – wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind – Abbau der journalistischen Leistung», kommentiert er.

Einige Medien sahen sich gar zum radikalsten Schritt gezwungen: Seit 2003 sind in der Schweiz laut dem Bundesamt für KommunikationExterner Link 70 Zeitungen verschwunden.

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Während die traditionellen Medien versuchen, sich digital zu verändern, sind neue Online-Plattformen wie Heidi.news in der Westschweiz oder Republik in der Deutschschweiz entstanden.

Bisher können diese neuen Medien den Verlust von Arbeitsplätzen in den Printmedien jedoch nicht kompensieren. «Im Digitalen ist die Zahlbereitschaft der Leserschaft deutlich kleiner als im Gedruckten», stellt Stefan Wabel fest.

Dominique Diserens ist der Meinung, dass die neuen Plattformen den Schaden zwar begrenzen könnten, aber sie noch zarte Pflänzchen seien. Es sei derzeit schwer zu sagen, ob es ihnen gelingen werde, ihr Angebot dauerhaft zu etablieren.

Auch die regionalen Radio- und Fernsehsender müssen ihren Teil dazu beitragen, die Arbeitsplatzverluste in der Presse zu kompensieren. Sie werden bereits seit Mitte der 1990er-Jahre subventioniert und würden mit dem neuen Medienförderungsgesetz 28 Millionen Franken an zusätzlichen Gebührenanteilen erhalten. Sofern das Volk die Massnahmen am 13. Februar annimmt.

Risiko: Medienwüsten

Auch wenn die Anzahl von Journalist:innen in der Schweiz gesunken ist, geht es dem Berufsstand immer noch besser als etwa in den USA. Dort ist die Zahl der Beschäftigten in den Printmedien seit 2008 um mehr als 45% gesunken – also praktisch halbiert.

Die Situation hat sich so weit verschlechtert, dass richtige «Medienwüsten» entstanden sind. Das bedeutet, dass es immer mehr Gebiete gibt, in denen nun keine lokalen Medien mehr vorhanden sind.

«Dies könnte auch in der Schweiz drohen, aber es darf auf keinen Fall passieren», warnt Stefan Wabel. Vielmehr macht er einen Appell zum Handeln, um den Trend zu stoppen. «Unsere direkte Demokratie und unser ausgeprägter Föderalismus sind auf starke, regionale Medien angewiesen», stellt der Direktor von Schweizer Medien fest.

Die Direktorin der Akademie für Journalismus und Medien (AJM) in Neuchâtel, Nathalie Pignard-Cheynel, erinnert daran, dass die Schweiz historisch gesehen ein Land mit einer reichen Medienlandschaft sei, insbesondere auf lokaler Ebene.

Sie weist ebenfalls darauf hin, dass die aktuelle Krise vor allem die kleinen Medien bedroht, denn sie macht grosse verlagstechnische Umbauten und hohe Investitionen notwendig, will ein Medium überleben – und allenfalls noch Geld verdienen. «Wir haben heute keine Garantie für den Fortbestand dieser Vielfalt», warnt sie.

Die Prekarisierung des Berufs

Auch in Frankreich nimmt die Zahl der Journalist:innen stetig ab. Viele verlassen den Beruf, desillusioniert oder prekarisiert. «Auch in der Schweiz haben sich die Arbeitsbedingungen vor allem für freie Journalist:innen verschlechtert. Ihre Einkommen sind seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie geschmolzen», sagt Dominique Diserens. 

Die Covid-19-Krise könnte jedoch auch die Angestellten von Medienunternehmen belasten. Die letzten beiden Jahre seien zwar noch relativ ruhig gewesen. «Dieses Jahr aber befürchten wir neue Entlassungswellen, sollte das Volk das Medienpaket ablehnen», so Diserens.

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Aber trotz aller Schwierigkeiten hat die Begeisterung für den Beruf nicht nachgelassen. Nach wie vor nimmt die Ausbildungsstätte AJM jedes Jahr 30 Student:innen auf. Aber wie wird der Journalismus von morgen aussehen?

«Der Journalismus war schon immer vielfältig in seinen Praktiken, Formaten und Ausdrucksformen, und das muss er auch weiterhin sein», sagt Nathalie Pignard-Cheynel. Auch die Erwartungen der Öffentlichkeit sind vielfältig. «Sie werden sogar immer spezifischer, mit Anfragen nach Nischeninformationen mit hohem Mehrwert, nach originellen Themen und Blickwinkeln», erläutert die Schulleiterin.

Sie sieht auch viele neue Felder, die es zu erforschen gilt. «Etwa die Verarbeitung von Daten, konstruktive Information oder auch Informationen, welche die Öffentlichkeit und deren Anliegen stärker einbezieht.»

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