Hilft Obamas Plan dem Klima? Schweizer Presse ist uneins
Von "Poker" oder "bürokratischem Kunstgriff" schreiben die einen, von "einem Schritt vorwärts" die anderen. Obamas neuer Plan gegen den Klimawandel wird in der Schweizer Presse unterschiedlich kommentiert. Hier und dort gibt es verhaltenen Applaus für die angestrebte Reduktion des Kohlendioxids. Skeptisch sind einige Kommentatoren, ob sich das Vorhaben des Präsidenten politisch umsetzen lässt.
Die Regierung von US-Präsident Obama hat ein Paket von Regulierungen vorgelegt, die den CO2-Ausstoss bei der Stromerzeugung des Landes bis 2030 um mehr als 30 Prozent unter das Niveau von 2005 senken sollen. Massiv reduziert werden soll die Kohlenutzung. Gefördert werden sollen hingegen die erneuerbaren Energien. Deren Anteil von heute 13 Prozent soll bis 2030 auf 28 Prozent steigen. Bereits haben mehrere Gliedstaaten, deren Wirtschaft von Kohleförderung abhängt, Widerstand angekündigt.
Weil die Justizminister aus 25 Bundesstaaten rechtliche Schritte androhen, sehen einige Schweizer Medien eine Flut von Klagen auf Obamas Administration zukommen.
«We can» oder «we can’t»?
Der Plan zur Eindämmung des Schadstoffausstosses von bestehenden Kohle- und Ölkraftwerken, den grössten Luftverschmutzern im Land, sei ambitioniert, schreibt der Kommentator in der Aargauer Zeitung (AZ). Weil Obama gegen den Widerstand der Republikaner – die in beiden Parlamentskammern das Sagen haben – keine griffigen Klimagesetze durchbringen konnte, greife der Präsident nun am Ende seiner Amtszeit zu einem «bürokratischen Kunstgriff.» Damit werde er aber das eigentliche Ziel, den Klimawandel zu bremsen, nicht erreichen. «Die Umweltbehörde wird mit Gerichtsklagen aus dem ganzen Land eingedeckt werden.»
Gletscherschwund
Die Gletscher schmelzen weltweit seit Beginn des 21. Jahrhunderts in Rekordtempo. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des World Glacier Monitoring Service mit Sitz an der Universität Zürich, die im Journal of Glaciology vorgestellt wird. «Die Eisdicke der beobachteten Gletscher nimmt derzeit jedes Jahr zwischen einem halben und einem ganzen Meter ab, das ist zwei- bis dreimal mehr als der entsprechende Durchschnitt im 20. Jahrhundert», sagte Studienautor Michael Zemp. Gletscher in verschiedenen Regionen der Welt seien so stark aus dem Gleichgewicht geraten, dass sie sogar auch ohne fortschreitenden Klimawandel weiter Eis verlieren werden.
Wenig Erfolgschancen für Obamas Umsetzungsstrategie sieht auch die Westschweizer Tageszeitung Le Temps. «Die Schlacht gegen die republikanischen Gegner, die bereits einen juristischen Guerilla-Krieg gegen das Projekt angekündigt haben, verspricht rüde zu werden.» Dem Präsidenten fehle nämlich jetzt ein wichtiger Erfolgsfaktor: Die Zeit. «Wenn sein Lager das nächste Rennen ums Weisse Haus verliert, droht sein Kreuzzug im Show-Stadium zu verharren.»
Mehr Kredit erhält Obama im Kommentar der Tribune de Genève. Die Genfer Tageszeitung bezeichnet die Unterstützung für die Umweltpläne des US-Präsidenten zwar als «fragil». «Barack Obama hat versprochen, sein Veto gegen jede Gesetzesvorlage im Kongress einzulegen, welche die Umsetzung seines Programms verhindert. Seine Administration wird dieses mit Bestimmtheit vor den Gerichten verteidigen müssen, aber der seit Monaten ausgearbeitete Plan ist so konzipiert, dass er der potentiellen Wahl eines Anti-Obamas von 2016 widerstehen kann.»
Auch die Neue Zürcher Zeitung NZZ geht davon aus, dass die Rechtsexperten im Weissen Haus den Erlass so formuliert haben, um «zwar dessen Biss zu gewährleisten, ein spektakuläres Scheitern vor den Gerichten aber zu vermeiden».
Obama gehe es auch darum, im vorletzten Jahr seiner Präsidentschaft zu beweisen, dass «trotz viel Ernüchterung, vielen Versäumnissen, Fehlern und manch Unerledigtem sein Wahlspruch gilt», heisst es unter dem Titel «Zurück zum Obama des ‹Yes, we can!›.»
«Obamas Vorhaben ist vorbildlich», lautet der Titel eines Kommentars, der im Zürcher Tages-Anzeiger und im Berner Der Bund erscheint. «Mit den neuen Vorschriften beginnt die amerikanische Regierung ernsthaft mit dem Umbau der Energieversorgung und bringt glaubwürdig den Klimaschutz einen Schritt vorwärts.»
«Mehr als die Schweiz»
Die Kohlekraft allmählich durch klimaschonendere Energieformen zu ersetzen, sei der Weg, den Wissenschaftler schon lange forderten. «Es ist die halbe Miete, weil die Verbrennung von Kohle die stärksten CO2-Emissionen verursacht. Im Gegensatz zum Gesetzesentwurf geht die finale Fassung noch einen Schritt weiter: Die neuen Regelungen sollen die Energieproduzenten dazu bewegen, mehr in Sonnen- und Windenergie zu investieren als in Gaskraftwerke, die langfristig in einer postfossilen Gesellschaft ohnehin keinen Platz mehr haben.»
Weil es den Bundesstaaten überlassen sei, wie diese die Reduktion der Emissionen letztlich erreichen wollten, sei der Plan auch gewappnet gegen den angekündigten Widerstand von Bundesstaaten wie Wyoming und West Virginia, die von Kohleminen oder billigem Kohlestrom wirtschaftlich abhängig seien.
Obama setze auch in der internationalen Klimapolitik ein starkes Zeichen, loben die beiden Zeitungen. «Die Chance steigt nun, dass an der Klimakonferenz in Paris im Dezember neben der EU und China auch grosse Schwellenländer wie Brasilien und Indien sich für einen neuen wirksamen Klimavertrag starkmachen. Immerhin beträgt die anvisierte jährliche Absenkrate der CO2-Emissionen bis 2025 für die USA zwei Prozent. Das ist mehr, als sich die Schweiz zum Ziel gesetzt hat.»
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