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«HSBC nicht repräsentativ für Schweizer Bankengeschäft»

Laut der Schweizerischen Bankiervereinigung wurde 2009 ein klarer Strategiewechsel vorgenommen. Keystone

Die Hilfe für Steuerbetrüger oder Geldwäscher sei nie eine integrale Strategie des Schweizer Bankenplatzes gewesen, sagt Claude-Alain Margelisch, Geschäftsführer der Schweizerischen Bankiervereinigung, angesprochen auf den "Swissleaks"-Skandal der britischen Bank HSBC in Genf.

Die zwielichtigen Tätigkeiten von HSBC, UBS und weiteren Banken, publik gemacht durch das Projekt «International Consortium of Investigative Journalists» und bekannt geworden unter dem Begriff «Swissleaks», seien eher eine Ausnahme als die Regel gewesen, beteuert die Lobbygruppe für das Schweizer Bankenwesen.

Nach einer Reihe von Reformen, die immer noch weiterlaufe, habe sich der Schweizer Finanzsektor seit jenen Tagen des Steuerhinterziehungs-Skandals total umgekrempelt, sagt Claude-Alain Margelisch, Geschäftsführer der der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg).

swissinfo.ch: Wurde in den letzten internationalen Schlagzeilen über mutmassliche Steuerhinterziehung und Geldwäscherei ein faires Bild des Bankenwesens der Schweiz gezeichnet?

Claude-Alain Margelisch: Die HSBC ist nur eine von über 280 Banken in der Schweiz. Die mutmasslichen Probleme sind absolut nicht repräsentativ für den Schweizer Bankensektor. Es handelt sich um alte Fälle aus den Jahren zwischen 2002 und 2007.

Vor 2009 kooperierte die Schweiz international im Kontext von Steuerhinterziehung nicht, denn damals hatten wir die Regelung, nur in Fällen von Steuerbetrug zu kooperieren, und nicht bei Steuerhinterziehung.

Heute hat sich die Situation komplett verändert: Seit 2009 kooperiert die Schweiz international bei allen Steuervergehen. Und im April 2013 hat sie den automatischen Informationsaustausch (AIA) akzeptiert.

Doch wir müssen eine klare Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Geldwäscherei machen. 1977 war die Schweiz eines der ersten Länder, die eine sehr strenge Sorgfaltspflicht (Due Diligence) und «kenne deinen Kunden»-Regeln einführten, um Geldwäscherei zu verhindern.

Die Regulierungsbehörde Finma hat festgehalten, sie halte es gegenwärtig nicht für möglich, dass die HSBC Schweizer Geldwäsche-Gesetze missachtet habe. Wir werden sehen, ob die Genfer Justiz [die am 18. Februar in den HSBC-Büros in Genf eine Razzia durchführte] ein Versagen der Bank findet.

swissinfo.ch: Die HSBC ist nicht die einzige Bank, die der Steuerhinterziehung beschuldigt wird. UBS und Credit Suisse in den USA und jetzt Coutts in Deutschland sind nur einige weitere Beispiele.

C.-A.M.: In den USA werden auch noch andere ausländische Banken untersucht – es sind also nicht nur Schweizer Banken betroffen. Auch Deutschland untersucht die Vergangenheit. Wenn man die Vergangenheit betrachtet, als ein anderer Rechtsrahmen galt, könnte man den Eindruck gewinnen, dass viele Schweizer Banken beteiligt gewesen waren. Doch ich kann klar sagen, dass es nur eine Minderheit der Schweizer Banken war.

Wir schauen zurück für unsere Einschätzungen und ein Verständnis der heutigen Bedingungen. Doch die Vergangenheit kann man nicht unter dem Gesichtspunkt der heutigen Rechtslage beurteilen. Es gibt Leute, die denken, beim Schweizer Bankenmodell sei es nur um die Förderung der Steuerhinterziehung gegangen. In einigen Fällen mag dies der Wahrheit entsprochen haben. Doch wir konzentrieren uns auf die Zukunft, die ganz anders sein wird.

swissinfo.ch: Wenn also ein Einbrecher geschnappt wird und er sagt: «Es tut mir leid, ich habe mich komplett verändert und werde es nie mehr tun», dann sollten wir nicht verurteilen, was er in der Vergangenheit getan hat?

C.-A.M.: Wir sagen nicht, dass diese Probleme nicht wichtig seien, weil sie in der Vergangenheit geschehen sind. Wenn es früher Probleme gab, weil sich einige Banken nicht an das hohe Niveau der Vorschriften hielten, dann müssen diese dafür die Verantwortung übernehmen.

Vergangene Probleme der sind auf dem besten Weg, gelöst zu werden. Die Schweiz hat mit Grossbritannien und Österreich Lösungen gefunden [Quellensteuer-Abkommen]. Damit ist jeder britische und österreichische Steuerzahler steuerpflichtig, und der automatische Informationsaustausch wird volle Transparenz bringen.

In Deutschland gibt es eine freiwillige Offenlegung. Die Schweizer Banken haben ihren Kunden nahegelegt, sich dieser anzuschliessen. Auch Frankreich hat ein Programm der Selbstanzeige gestartet, und die Schweiz hat kürzlich mit Italien ein Abkommen unterzeichnet, um die Probleme der Vergangenheit zu lösen. In der Europäischen Union gab es freiwillige Offenlegungs-Programme mit Portugal, Belgien, Spanien und den Niederlanden.

swissinfo.ch: Die Schweiz führt neue Gesetze nur unter Druck ein. Zuerst versucht sie jeweils, sich zur Wehr zu setzen. Wie können wir sicher sein, dass Schweizer Banken diese neuen Regeln angemessen einhalten werden?

C.-A.M.: Nach der Finanzkrise von 2008 gerieten wir unter Druck, gemeinsam mit weiteren Ländern wie Luxemburg, Liechtenstein, Österreich, Hongkong und Singapur, internationale Standards der Steuerkooperation zu übernehmen.

Die SBVg entschied, dass es nicht länger möglich ist, unsere Interpretation der strafbaren Steuervergehen weiter zu verfolgen, weil sich die Welt in Richtung Steuerkonformität und AIA verändert hatte. Das ist unsere klare Strategie seit 2009.

Manchmal herrscht der Eindruck vor, weil wir gezwungen wurden, den Wandel anzunehmen, seien wir nicht sehr proaktiv, sondern sehr widerstrebend und würden die Umsetzung neuer Systeme zu Gunsten des Profits verzögern. Das war nie die Idee. Die Schweizer Banken werden die neuen Standards vollumfänglich umsetzen.

Die geänderte Mentalität des Schweizer Finanzzentrums wurde akzeptiert und in der ganzen Welt wahrgenommen. Es gibt keinen Zweifel, dass die Schweiz diesen Weg weitergehen wird.

swissinfo.ch: Wie gross ist der Schaden, den die Schweiz als Vermögensverwaltungszentrum durch die Publizität um die Steuerhinterziehung erlitten hat?

C.-A.M.: Berichte über irgendwelche Rechtsverletzungen sind nie gut für das Image des Schweizer Finanzsektors. Ein guter Ruf und Vertrauen sind die beiden Hauptbedingungen, um in der Bankenwelt erfolgreich zu sein.

Doch wir haben in der Schweiz immer noch gute Bedingungen für die Vermögensverwaltung. Wir blicken zurück auf eine lange Tradition des Privatbanken-Geschäfts, und unsere Banken haben eine globale Reichweite. Dank unserem System der direkten Demokratie gibt es die politische Gewissheit, dass sich die Regeln nicht von einem Tag auf den anderen ändern werden. Und die Kunden wissen, dass sie auf die Sicherheit eines stabilen Justizwesens zählen können.

swissinfo.ch: Glauben Sie, die Schweiz werde zu Unrecht herausgepickt?

C.-A.M.: Der Fall HSBC bringt erneut die Schweiz in den Fokus, doch der Konzern ist ein echter Global Player und nicht nur eine Schweizer Bank. Wir sind daran, die Probleme der Vergangenheit zu beheben und weiter an Lösungen für die Zukunft zu arbeiten.

Mit der Akzeptierung des AIA zeigt die Schweiz, dass sie sich in eine neue Richtung bewegt. Es ist wichtig , dass für alle die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten und alle Finanzzentren dieselben Informationsaustausch-Standards anwenden.

swissinfo.ch: Sollten Whistleblower wie Bradley Birkenfeld oder Hervé Falciani dafür gelobt werden, die Steuerhinterziehung ins internationale Scheinwerferlicht gezerrt zu haben, auch wenn sie das Schweizer Bankgeheimnis verletzt haben?

C.-A.M.: Jeder Fall ist ein Einzelfall, doch wir haben Regeln für solche Sachen. Falciani war übrigens nicht ein Whistleblower, sondern ein Datendieb. Für die Zukunft sehe ich mit der neuen Transparenz in Steuersachen und dem AIA keinen Grund, warum jemand weiterhin Daten stehlen sollte.

Weitere Skandale

In einem kürzlichen Interview mit swissinfo.ch sagte Hans-Ulrich Jost, Historiker und emeritierter Professor der Universität Lausanne, die Bekanntmachung der Schmutzwäsche der HSBC werde kaum der letzte Skandal sein, der den Schweizer Bankensektor treffen werde.

«Diese Methoden wurden von den Schweizer Banken, die um jeden Preis ihren Marktzugang optimieren wollen, seit dem Zweiten Weltkrieg genutzt», und die Schweizer Behörden hätten immer versucht, «den Status quo so lange wie möglich zu verteidigen».

«Die Schweizerische Bankiervereinigung hat immer mit Erfolg starken Druck auf das politische System ausgeübt, um rigide Kontrollen zu vermeiden», sagte er.

Auf die Frage, ob Praktiken zum Schutz des Bankgeheimnisses nicht definitiv der Vergangenheit angehörten, prophezeite Jost, dass noch mehr «Swissleaks» auftauchen würden: «Bei den Schweizer Banken hat sich nichts grundlegend geändert. Die UBS, die grösste unter den Banken, ist das Musterbeispiel für das Festhalten an zweifelhaften Strategien – trotz all der internationalen Zwänge und all den Versprechen, die sie machte.»

Der Historiker gab zu bedenken, dass auch Gelder aus Märkten in die Schweiz fliessen würden, die nicht wie die USA und andere OECD-Länder Bankdaten austauschten. «In Afrika, in Asien oder in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gibt es sehr rentable Märkte, wo es nicht nötig ist, Vorkehrungen zu treffen, um die rechtmässige Herkunft der Gelder abzuklären», sagte er und bemerkte, dass die internationale Finanz komplexer geworden und die «Transparenz aber noch genau so gering wie zuvor» sei.

Reiche würden weiterhin Mittel und Wege finden, ihr Geld zu verstecken. Auch wenn sie für den automatischen Informationsaustausch als Teil des neuen OECD-Programms vorgemerkt seien, könnten Vehikel wie Trusts «in der Wirklichkeit im internationalen Finanzsystem nicht kontrolliert werden».

«Die Kleinsparer sind gezwungen, ihre Anlagen mit den Vorschriften in Einklang zu bringen, aber für grosse Vermögen, die auf dem internationalen Markt bereits gut positioniert sind, wird sich immer ein Weg finden, die Steuern zu umgehen.»

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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