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Ignazio Cassis: «Letztlich geht es um Vertrauen»

Ignazio Cassis
Historisch: Ignazio Cassis ist der erste Schweizer Bundesrat, der den UN-Sicherheitsrat leitet. Keystone / Justin Lane

Frieden schaffen und Frieden sichern – unter allen Aufgaben der Vereinten Nationen ist das die wichtigste. Und derzeit die schwierigste. Die Schweiz rückt deshalb das Thema "nachhaltigen Frieden schaffen" während ihres Präsidiumsmonats im Uno-Sicherheitsrat in den Vordergrund. Wir sprachen in New York mit Aussenminister Ignazio Cassis, der im Sicherheitsrat eine von der Schweiz angesetzte Sitzung zu dem Thema leitete.

Frieden schaffen und Frieden sichern sind die zentralen Aufgaben der Vereinten Nationen. Darüber besteht ein breiter Konsens. Doch sobald es konkret wird, sobald es um einzelne Konflikte geht, wird es schwierig und ist die Uno in ihrer Kernaufgabe oft blockiert…

Ignazio Cassis: Im Zentrum steht das Vertrauen. Wenn es gegenseitiges Vertrauen gibt, ist man willens, Lösungen zu suchen und häufig findet man sie. Wenn kein Vertrauen existiert, findet man sie nicht. Deshalb vervielfacht sich die Zahl der Konflikte in der Welt.

Es klingt einfach, doch es ist nicht einfach. Menschen sind komplexe Wesen. Die Geschichte lehrt uns zudem, dass wir meistens nichts aus der Geschichte lernen. Um miteinander auszukommen, braucht es gewisse Regeln. Solche Regeln wurden gerade in der Uno geschaffen. Da bauten wir eine auf Regeln basierende Weltordnung. Sie erlaubt uns, Einigungen zu finden. Oft millimeterweise, Schritt für Schritt, in mitunter epischen Diskussionen.

Dieses Regelwerk haben wir, es ist die Uno-Charta. Aber man muss sich daranhalten. Denn genau diese Regeln sind die Basis für Vertrauen. Wenn nun diese Regeln ausgerechnet von Ländern verletzt werden, die an deren Ausarbeitung massgeblich beteiligt waren, dann schafft das grosses Misstrauen.

Wie schafft man konkret Vertrauen?

Institutionen sind wie Menschen. Wir müssen uns also überlegen: Wie steigern wir das Vertrauen innerhalb von Familien oder zwischen Nachbarn?

Die Mechanismen zwischen Staaten sind ganz ähnlich: Es geht um Ehrlichkeit und Transparenz. Sagen, was man macht. Und machen, was man sagt. Und manchmal einen Schritt zurücktreten und versuchen, die Dinge aus etwas Distanz zu betrachten.

Was bringt die von der Schweiz im Sicherheitsrat lancierte Debatte zum Thema nachhaltige Friedensförderung? Werden Lehren gezogen?

Das ist das Ziel. Es geht gar nicht anders, als mit kleinen Schritten voranzugehen. Wir erleben in der Schweiz selber, wie schwierig es im Parlament ist, mit vier Landessprachen und vier Kulturen Kompromisse auszuhandeln.

Hier bei der Uno in New York sind mehr als 190 Länder versammelt, mit völlig unterschiedlichen Denkweisen. Von Demokratien bis zu Autokratien – alle sind da. Entsprechend kompliziert ist es, hier Konsens zu erzielen.

Aber genau dazu braucht es die Uno als Plattform. Gäbe es die Uno nicht, müsste man sie schaffen. Wir müssen aus den Möglichkeiten, die wir haben, das Beste machen. Auch wenn es nicht ideal, auch wenn es frustrierend ist. Aber die Welt ist halt die Welt.

Es ging in der Debatte um nachhaltigen Frieden auch darum, einen Input zu leisten für den Grundsatzbericht, den Uno-Generalsekretär Antonio Guterres im Juni vorstellen will: Seine «neue Agenda für den Frieden». Was müsste an dieser neuen Agenda neu sein aus Schweizer Sicht?

Trotz Uno, trotz Uno-Charta sind Kriege offenkundig nicht verschwunden aus der Welt. Und da sind wir wieder beim Misstrauen und der Notwendigkeit, Vertrauen zu schaffen.

Wie stellen wir es wieder her? Und wie sorgen wir davon, dass die Uno und ihre Organe wieder mehr Wirkung und Durchsetzungskraft haben? Wir sind mit dem Status Quo nicht zufrieden. Aber wir haben im Moment nichts Besseres.

Reicht es, solche Debatten bloss grundsätzlich zu führen? Müsste man sie nicht auch anhand konkreter Beispiele und Problemsituationen führen – mit dem Krieg in der Ukraine oder neuerdings mit Sudan als Beispiele. Denn erst da treten ja die Differenzen offen zutage?

Nicht unbedingt. Denn all diese Konflikte sind Ausdruck desselben Grundsatzproblems, nämlich der Unfähigkeit des Menschen, mit anderen, mit Andersdenkenden vernünftig umzugehen.

Wir müssen uns also zunächst mit dem Grundsätzlichen auseinandersetzen. Das soll und kann dann den Uno-Generalsekretär für seinen Grundsatzbericht inspirieren. Dort muss es dann natürlich viel konkreter werden.

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