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Stellt die Schweiz Sonko und Kosiah vor Gericht?

Der ehemalige gambische Minister Ousman Sonko am Rednerpult auf einem Bild von 2012, von vorne.
Der ehemalige gambische Minister Ousman Sonko auf einem Bild von 2012. Kairo News

Menschenrechts-Organisationen hoffen, dass die Schweiz den politischen Willen hat, den ehemaligen gambischen Minister Ousman Sonko und den früheren liberianischen Rebellenchef Alieu Kosiah vor Gericht zu stellen. Gegen Sonko wird ermittelt wegen Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kosiah werden Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Die Nichtregierungs-Organisationen TRIALExterner Link und Civitas MaximaExterner Link betrachten beide Fälle als wichtige Testläufe für die Schweiz, was die Anwendung eines internationalen Rechtsinstruments angeht, das als «universelle Gerichtsbarkeit» bezeichnet wird. 

Ousman Sonko, ein langjähriger ehemaliger Innenminister Gambias, wurde im Januar dieses Jahres in Bern festgenommen, aufgrund einer Strafanzeige der Schweizer Sektion von TRIAL International, die Sonko vorwirft, für Folterungen verantwortlich gewesen zu sein oder zumindest davon gewusst zu haben. Unterdessen läuft ein Strafverfahren gegen Sonko wegen Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Februar übernahm die Bundesanwaltschaft das Verfahren.

Universelle Gerichtsbarkeit

2011 setzte die Schweiz in Zusammenhang mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs eine Reform ihrer Strafgesetzgebung um, mit der das Prinzip der «universellen Gerichtsbarkeit» für Verbrechen gegen das Völkerrecht eingeführt wurde.

Die Schweiz kann seither gegen Menschen jeglicher Nationalität ein Verfahren aufnehmen, die unter Verdacht stehen, irgendwo auf der Welt «internationale Verbrechen» – Genozid, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit – begangen zu haben.

Der bisher einzige Fall, bei dem in der Schweiz jemand für Kriegsverbrechen, die er Jahre zuvor in seinem Heimatland begangen hatte, verurteilt wurde, geht auf die späten 1990er-Jahre zurück – und war damals noch von der Militärjustiz behandelt worden.

Der erste Fall, der vor Gericht kommen könnte, ist aber der von Alieu Kosiah. Der ehemalige liberianische Rebellenführer ist seit 2014 in der Schweiz wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen inhaftiert, nachdem verschiedene Rechtsanwälte, darunter Alain Werner, der Direktor von Civitas Maxima, im Namen liberianischer Opfer Anklage gegen Kosiah eingereicht hatten. Werner erklärte, der Fall Kosiah sei unterdessen weit fortgeschritten.

«Falls der Bundesanwalt entscheidet, den Fall Kosiah an das Bundesstrafgericht in Bellinzona zu überweisen, wird das ein historischer Moment sein», erklärte Werner gegenüber swissinfo.ch. «Denn das Bundesstrafgericht würde sich damit erstmals in seiner Geschichte mit Kriegsverbrechen befassen. Der einzige andere Fall, bei dem es wegen Kriegsverbrechen zu einem Prozess und einer Verurteilung kam, war der Fall des ehemaligen ruandischen Bürgermeisters Fulgence Niyonteze. Dieser hatte sich aber 1998, unter der alten Gerichtsbarkeit, noch vor Militärgericht verantworten müssen.»

Ein Beispiel setzen

Die TRIAL-Rechtsberaterin Sandra Delval hat sich mit dem Fall Sonko befasst. «Die betroffenen Behörden können mit dem Fall Sonko ein Beispiel setzen, indem sie qualitative Ermittlungen durchführen», erklärte sie. «Umso mehr, als der frühere gambische Diktator Yahya Jammeh, dessen rechter Arm Sonko war, immer noch ungestraft auf der Flucht ist – und die Opfer Gerechtigkeit verlangen. Dass die Nummer zwei des gambischen Regimes sich auf Schweizer Boden befindet, bedeutet, dass die Schweiz die Pflicht hat, ein Exempel zu statuieren.»

Mangelnder politischer Wille?

«Gewiss gab es schon Fälle in der Schweiz», erklärte die Rechtsberaterin von TRIAL. «Unsere aktuelle Analyse kommt aber zum Schluss, dass Fälle universeller Gerichtsbarkeit nur schleppend vorankommen. Die zuständigen Staatsanwälte haben nicht die nötigen Ressourcen, um zu ermitteln und sich diesen Fällen so zu widmen, wie sie es sollten, weil sie sich auch um viele andere Fälle kümmern müssen (…). Fälle, bei denen es um universelle Gerichtsbarkeit geht, bleiben oft stecken und kommen nur langsam voran. In gewissen Fällen haben wir den Eindruck, dass ein bewusster Wille besteht, die Klagen abzuweisen. Wir fragen uns daher, wie es um den politischen Willen der Schweiz steht, die zwar schöne Reden hält, wie bedeutend die Gerechtigkeit ist, in der Praxis aber nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt.»

Bundesanwalt Michael Lauber räumt ein, dass das Personal der Bundesanwaltschaft überlastet ist, und es an Ressourcen fehlt. «Wir haben die Grenzen dessen erreicht, was eine Organisation erdulden kann», wurde er von der Westschweizer Zeitung Le Temps zitiert.

Externer Inhalt

Auch Alain Werner, der Direktor von Civitas Maxima, bedauert, dass nicht mehr Fälle vor Gericht kommen. «Es ist nicht normal, dass es in der Schweiz und überall auf der Welt nur so wenige Fälle gibt», sagte er. «Es ist nicht normal, dass weltweit nur so wenige Fälle, bei denen es um universelle Gerichtsbarkeit geht, vor Gericht kommen. Das ist auch der Grund, warum es uns gibt und braucht.»

TRIAL ist besonders besorgt darüber, dass die Bundesanwaltschaft im Januar ein Untersuchungsverfahren gegen den ehemaligen algerischen Verteidigungsminister Khaled Nezzar eingestellt hat. Die Organisation unterstützt daher auch die hängige Beschwerde, die Opfer gegen den Einstellungsentscheid eingereicht haben.

Nezzar war im Oktober 2011 in der Schweiz festgenommen worden, nachdem TRIAL Strafanzeige gegen ihn eingereicht hatte, im Zusammenhang mit mutmasslichen Kriegsverbrechen in Algerien in den Jahren zwischen 1992 und 1994. Die Bundesanwaltschaft hatte das Verfahren Anfang Jahr mit der Begründung eingestellt, Nezzar könne nicht wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden, weil zu der betroffenen Zeit in Algerien nach juristischer Definition kein «bewaffneter Konflikt» geherrscht habe.

Algeriens «Schwarze Dekade»

«Dieser Entscheid ist überraschend und unverständlich», erklärte Delval. «Während der ‹Schwarzen Dekade› in Algerien kamen mehr als 200’000 Menschen ums Leben, und es gibt zahlreiche Quellen, welche die Intensität der Kämpfe zwischen der Armee und bewaffneten Gruppen belegen, das gilt auch für die Organisation bewaffneter Gruppen. Es ist unerklärlich, dass die Bundesanwaltschaft sechs Jahre lang ermittelte, offenbar ohne je in Frage zu stellen, ob es in Algerien einen bewaffneten Konflikt gab, nur um das Verfahren dann abrupt einzustellen, mit der Begründung, dass es keinen bewaffneten Konflikt gegeben habe.»

Falls es am politischen Willen mangeln sollte, stellt sich die Frage weshalb? «Wir denken, es könnte am Wunsch liegen, die diplomatischen Beziehungen zwischen bestimmten Ländern nicht zu stören», erklärte Delval. «Obschon die Schweiz die Pflicht hat, Fälle, bei denen die universelle Gerichtsbarkeit ins Spiel kommt, unabhängig von jeglichen politischen Betrachtungen zu verfolgen und zu untersuchen.»

Lobende Worte für Festnahmen

Trotz ihrer Kritik begrüssen TRIAL und Civitas Maxima die Effizienz der Schweizer Behörden bei der Festnahme von Kosiah und Sonko. Beide waren jeweils kurz nachdem Strafanzeigen gegen sie eingereicht worden waren, festgenommen worden.

Werner verwies zudem darauf, dass die Schweizer Behörden angesichts der nach wie vor ausstehenden Antwort der liberianischen Regierung auf Schweizer Anträge, in Liberia ermitteln zu können, Zeit, Geld und Anstrengungen investiert hätten, um zahlreiche liberianische Opfer und Zeugen im Fall Kosiah in die Schweiz zu bringen, für Anhörungen durch die Anklage und die Verteidigung. Werner hofft, dass die Ermittlungen im Fall Kosiah in diesem Jahr abgeschlossen werden, und der Fall danach an das Bundesstrafgericht überwiesen wird.

Im Fall Sonko setzten die Ermittlungsbehörden Ende April eine Verlängerung der Untersuchungshaft durch. Die Ermittlungen gegen den Gambier dauern an, wie die Bundesanwaltschaft bestätigte.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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