Jetzt soll die Hochpreisinsel Schweiz fallen
Coca Cola: in der Schweiz 40% teurer als in Deutschland. Parmaschinken: kostet im Alpenland rund fünf Mal so viel wie in der Eurozone. Konsumenten in der Schweiz zahlen für Importprodukte seit Jahren Milliarden von Franken mehr als jene im übrigen Europa. Der Markt, der sonst alles immer richten soll, ist machtlos. Jetzt soll der Staat überrissenen Importpreisen den Garaus machen.
15 Milliarden Franken pro Jahr: Das ist laut der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) der Betrag, den Käufer in der Schweiz für dieselben importierten Markenprodukte mehr bezahlen als Kunden im europäischen Ausland.
Anfang Februar haben Konsumentenschutz-Organisationen, der Wirteverband Gastrosuisse und ein Komitee aus Vertretern kleinerer und mittelgrosser Unternehmen (KMU) nun eine Volksinitiative vorgestellt. Diese sieht einen Verfassungsartikel vor, der die Regierung zum Kampf gegen Importeure zwingt, die Kunden in der Schweiz mit einem happigen «Schweiz-Zuschlag» über den Tisch ziehen.
Die Volksinitiative ist auch eine Reaktion auf das Schweizer Parlament, das im letzten September nach jahrelanger Beratung eine Revision des Kartellrechts versenkt hatte. Diese hätte auch eine Anpassung der Importpreise ans europäische Niveau anvisiert.
15. Januar – Tag des Kursschocks
Die Schweiz als Hochpreisland ist schon seit Jahren unter Beschuss. Doch der 15. Januar 2015 brachte neuen Zündstoff : Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank liess den Schweizer Franken derart in die Höhe schiessen, dass die Preise im Euro-Raum auf einen Schlag noch einmal um bis zu 20% sanken.
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Objektiv gesehen verfügen Schweizer Konsumenten und Unternehmen über eine höhere Kaufkraft als jene im benachbarten Ausland. So können sie sicherlich auch einen Teil der höheren Preise abfedern. Aber die Lieferanten von Markenprodukten aus der Eurozone passen ihre Preisgestaltung schon lange dem Niveau der relativ wohlhabenden Schweiz an.
Betroffen sind nicht nur Privatkunden, sondern auch die Wirtschaft, sprich die Unternehmen. Schon 2004 gab die Regierung an, dass diese jedes Jahr 65 Milliarden Franken zu viel bezahlten resp. einsparen könnten, hätten sie dieselben Preisbedingungen wie die Firmen innerhalb der Eurozone.
«Kaufen Schweizer Unternehmen in Deutschland Maschinenteile und Werkzeuge ein, verkaufen die Lieferanten zu Schweizer Premium-Preisen», sagt Peter Dietrich, Direktor von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. «Am Schluss haben wir immer das Nachsehen.»
Schulterschluss
Casimir Platzer, Chef von Gastrosuisse, Verband der Arbeitgeber des Gastgewerbes, fürchtet, dass sich das Problem nach Aufgabe des Euro-Mindestkurses akut verschärft. Er steht an der Spitze einer Bewegung aus Konsumentenorganisationen und Wirtschaft, die noch diesen Frühling die Volksinitiative «für faire Importpreise» lancieren will.
Es sei schlicht unfair, wenn ein Kilogramm Parmaschinken in der Eurozone 10 Euro oder 10,70 Franken koste, in der Schweiz dagegen 50 Franken, klagte Platzer in der Zeitung Tages-Anzeiger. Das Schweizer Kartellgesetz sei zu wenig wirksam, um ausländische Händler daran zu hindern, überrissene Preise für die Schweiz zu verlangen.
Der genaue Wortlaut sowie der Zeitpunkt der Lancierung stehen zwar noch nicht fest. Doch würden mehr und mehr Branchen ihre Unterstützung zusagen, so Platzer.
Bisher Welle um Welle abgeprallt
Im letzten Jahr hatte das Schweizer Parlament die Revision des Kartellgesetzes – und damit eine mehrjährige Arbeit – kurzspitz versenkt. Zu verschieden waren die Positionen innerhalb der Wirtschaft. Standesvertreter Hans Altherr reichte darauf im September eine parlamentarische Initiative gegen überhöhte Importpreise ein. Sie soll besonders Firmen mit kleinerem Marktanteil schützen und nicht die Grossen mit monopolähnlicher Stellung.
Economiesuisse unterstützt(e) weder die Revision im Parlament noch den Einzelvorstoss Altherrs. Der Wirtschaftsdachverband hält es für kaum machbar, jene Firmen genau zu definieren, die unter den Schutz eines strengeren Kartellrechts kommen sollten. Zudem würde dies zusätzliche regulatorische Hürden bedeuten.
«Die Preisdifferenzierung ist ein grundlegendes Element jeder Marktwirtschaft», sagt Economiesuisse-Geschäftsleiter Thomas Pletscher gegenüber swissinfo.ch. Die Wettbewerbskommission habe bereits genügend starke Zähne, jede wettbewerbswidrige scharfe Praxis durch Monopole im Keim zu ersticken, so Pletscher. Zudem sei auf lange Sicht jeder Eingriff durch den Staat in die Preisbildung kontraproduktiv.
Bussen, die nicht abschrecken
2009 war Zahnpasta-Hersteller Gaba International gebüsst worden, weil er einem österreichischen Lieferanten verbot, die Artikel als Graumarktprodukte oder so genannte Parallelimporte in die Schweiz zu liefern, sprich: zu einem günstigeren Preis als jenem, der Gaba den Schweizer Abnehmern berechnet. 2011 erwischte es Nikon, im Jahr darauf BMW. Untersuchungen gegen weitere Firmen wegen Verhinderung von Parallelimporten sind im Gang.
Auch die Vereinigung der Schweizer KMU ist «nicht überzeugt», dass neue Bestimmungen und Gesetze das richtige Mittel im Kampf gegen überhöhte Importpreise sind.
Anzeichen sprechen dafür, dass die Konsumentenpreise seit dem ominösen SNB-Entscheid vom 15. Januar 2015 gefallen sind. Schaufenster an bester Einkaufslage sind seither vermehrt mit Aktionsschildern «geschmückt». Und die grossen Schweizer Detailhändler wie Migros und Coop überbieten sich jetzt mit Aktionen. 2011, als der Franken derart hochschoss, dass sich die Nationalbank zur Festlegung eines Euro-Mindestkurses durchrang, hatten sie von Preissenkungen nichts wissen wollen. Und dies trotz heftiger Kritik.
Die laufenden Preisaktions-Runden sind auch eine Antwort auf den Einkaufstourismus ins nahe Ausland, der aktuell einen wahren Boom erlebt. Schweizer Geschäften entgehen so Milliarden Franken an Einnahmen pro Jahr. Dies werten die ordnungspolitischen Kritiker der geplanten Volksinitiative als Beweis, dass der Markt spielt.
Die Strategie einiger Schweizer KMU-Betriebe besteht darin, dass sie sich zu Bestell-Gemeinschaften zusammenschliessen. Dies verleiht ihnen mehr Macht beim Aushandeln der Preise. Andere gehen sogar so weit, dass sie sich innerhalb der Eurozone an Firmen-Zusammenschlüssen beteiligen, um so ihre Herkunft von «ausserhalb» zu verschleiern.
«Dringliche Regulierung»
Stefan Meierhans, der Schweizer Preisüberwacher, ist trotz solcher Umgehungs-Strategien überzeugt, dass grössere Anstrengungen nötig sind, um Händler und Mittelsmänner an Preismanipulationen zu hindern, die sie unterhalb des Radars der Behörden einfädeln.
«Regulation ist der einzige Weg im Kampf gegen exorbitant hohe Preise in der Schweiz», sagt Meierhans gegenüber swissinfo.ch. Es brauche staatliche Eingriffe zur Garantie, dass es am Markt zu keinen Wettbewerbsverzerrungen komme.
«Es ist eine Verzerrung des Wettbewerbs, wenn eine Schweizer Druckerei im deutschen Markt kaum eine Chance hat, weil die Papierpreise in der Schweiz um 20% bis 40% höher sind. Ausländische Lieferanten segmentieren die Märkte um die Preise für Kunden auf dem Schweizer Markt nach oben zu treiben.»
Warum die Preise in der Schweiz so hoch sind
Hohes Ausbildungsniveau, hohe Innovationskraft, hohe Löhne und Mieten. Viele Schweizer Hightech-Produkte erfordern hoch qualifizierte – und bezahlte – Arbeitskräfte, so Economiesuisse-Boss Thomas Pletscher.
Langjährige technische Handelshemmnisse gegenüber der Schweiz wurden mit dem so genannten Cassis de Dijon-Prinzip der EU behoben, das die Schweiz 2010 übernahm. Demnach kann ein Produkt, das rechtmässig hergestellt und in einem EU-Land vertrieben wird, uneingeschränkt in alle EU-Märkte verkauft werden.
Diese müssen aber mit Sicherheitshinweisen in allen drei Landessprachen der Schweiz versehen werden, was die Produkte verteuert.
Ausgenommen von Cassis de Dijon sind aber einige medizinische, chemische und elektronische Produkte.
Ein weiteres Argument lautet, dass die Schweizer Konsumenten qualitätsbewusster sind als solche in anderen Ländern. Obwohl die Schweizer inzwischen auch Gefallen an der Jagd nach Schnäppchen gefunden haben, sind sie nach wie vor bereit, für bessere Qualität tiefer ins Portemonnaie zu greifen.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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