Klagengewitter über Schweizer Firmen in den USA
UBS, Credit Suisse, Zurich Financial Services, Novartis, ABB. In den letzten 24 Monaten sind Schweizer Firmen in den USA zur Zahlung von hunderten von Millionen Dollar verurteilt worden oder haben Vergleiche zur Bezahlung solcher Beträge abgeschlossen.
Im September wurde ABB zu 58,3 Millionen Dollar, der Chemieriese Novartis zur Zahlung von 422 Millionen verknurrt.
Im Oktober musste Zurich Financial Services nach einem Vergleich 455 Millionen Dollar zahlen, um eine Sammelklage abzuwenden.
Die Grossbank UBS ist bei weitem nicht die einzige Schweizer Firma, die in den USA Federn lassen musste.
Auch wenn die Grossbank mit einer Strafe von 780 Millionen Dollar wegen Mithilfe bei der Steuerhinterziehung eine Obergrenze erreicht hat, ist die Liste der in den Vereinigten Staaten verurteilten Schweizer Unternehmen in den letzten Monaten ellenlang geworden.
Und die Geldbussen – oder die Vergleiche, die Unternehmen zur Verhinderung eines Verfahrens eingegangen sind – sind extrem hoch: Seien es Kartellverfahren, Fragen der Korruption im Ausland, illegale Medikamentenwerbung oder die Umgehung von Handelsverboten – die Rechnungen, die in den USA präsentiert werden, liegen in der Höhe von Dutzenden oder gar hunderten von Millionen.
Gefährlicher Markt
«Die Schweizer Firmen stehen zwar nicht im Mittelpunkt einer Hexenjagd», versichert Peter Widmer, Anwalt bei Homburger, einer grossen Schweizer Anwaltskanzlei, die massgeblich an den Verhandlungen zur Übereinkunft zwischen den Schweizer Grossbanken und den USA betreffend nachrichtenlosen Vermögen beteiligt war.
«Auf rechtlicher Ebene aber ist der US-Markt für alle gefährlich», ergänzt er. Die USA seien ein Minenfeld, ob es sich nun um zivil- oder um strafrechtliche Streitigkeiten handle.
«Die US-Börsenaufsicht SEC hat eine enorme Macht», erklärt Jean-Marc Carnicé von BCCC, Rechtsanwalt mit Patenten in Genf und New York. «Ich kenne keine andere Marktaufsichts-Behörde mit einem annähernd so breiten Manövrierspielraum.»
Auch Einzelpersonen können in den USA ein Unternehmen belangen, namentlich mit der so genannten «Class Action» (Sammelklage), die es Beschwerdeführern erlaubt, ihre Kräfte zu vervielfachen.
Wenn nun Zurich Financial Services 455 Millionen wegen überhöhten Honoraren bezahlen muss, ist das, weil der Konzern einer Vereinbarung mit 13 Millionen Geschädigten zustimmen musste – von denen jeder schliesslich 35 Dollar erhalten wird.
Pharaonische Beträge
Im Schweizer Recht sind weder Sammelklagen noch solch pharaonisch hohe Strafbeträge vorgesehen. Einzige Ausnahme: Das Wettbewerbsrecht. Hier wurde der Telekom-Anbieter Swisscom zu 333 Mio. Franken verurteilt wegen Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung. Die Busse wurde bis heute nicht bezahlt.
«Die Schweizer Justiz ist nicht lax, wir haben einfach nicht die gleichen Instrumente», sagt Anwalt Carnicé. Es ist beispielsweise erst seit 2003 möglich, ein Unternehmen im Rahmen des Strafrechts anzuklagen. Und gemäss Artikel 102 des Strafgesetzbuches liegt die maximale Geldbusse bei 5 Millionen Franken.
Immer mehr Strafen
«Die US-Justiz kann es sich leisten, schwere Strafen zu verhängen, weil die Unternehmen keine andere Wahl haben, um auf dem amerikanischen Markt präsent sein zu können», so Carnicé. «Der schweizerische Markt hingegen ist nicht dermassen attraktiv. Würde die Schweiz Bussgelder von 500 Millionen aussprechen, würden die Firmen einfach anderswo hingehen.»
Und Washington zieht die Schraube zusehends an: «In den vergangenen zwei Jahren haben wir eine zunehmende Anzahl von sehr hohen Strafen beobachtet», sagt Harry First, Rechtsprofessor an der Universität New York und Spezialist für Wirtschaftsdelikte. «Dies ist die Frucht einer Tendenz, die bereits seit den 1990er-Jahren spürbar ist: Die Gerichte interessieren sich mehr und mehr für die Wirtschaftskriminalität.»
Exorbitante Gebühren
ABB hat vor kurzem eine Busse in der Höhe von 58,3 Millionen Dollar bezahlen müssen. Der Technologie-Konzern wurde beschuldigt, in Mexiko und Irak Schmiergelder gezahlt zu haben, um an Aufträge zu kommen. Das Geschäftsgebaren des Unternehmens fiel in den USA unter den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), das US-Gesetz gegen Bestechung von Beamten im Ausland.
Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) werden nicht geschont: So befindet sich die amerikanisch-freiburgische Firma Maxwell (elektrische Geräte, 101 Mio. Dollar Umsatz im Jahr 2009) derzeit in einem Verfahren wegen mutmasslicher Korruption in China. Das Unternehmen erwartet, etwa 6,35 Mio. Dollar zahlen zu müssen.
«Der FCPA ist seit 1977 in Kraft. Aber während langer Zeit wurde das Gesetz nicht genügend durchgesetzt», erklärt First. «Man darf nicht vergessen, dass es eine politische Komponente gibt, die mitbestimmt, mit welchem Eifer die Fälle behandelt werden.»
Im Fall ABB unterzeichnete das Unternehmen einen Vergleich noch vor dem Ende des Verfahrens. In den USA sind solche «Settlements» oder «Gentlemen’s Agreements» weitverbreitet. Wie im berühmten Fall der Steueraffäre zwischen der UBS und den USA, wegen der in der Schweiz während Monaten der Atem angehalten wurde.
Denn in den USA sind die Gerichtskosten enorm und Verfahren können sich gefährlich lange hinziehen. Zurich Financial muss allein seinen Anwälten Honorare im Umfang von 90 Millionen Dollar zahlen. In einem Fall, der letzten Monat bereinigt wurde – und den die Justiz 2003 eröffnet hatte.
«Der Ausgang ist immer ungewiss, auch wenn die Unternehmen davon überzeugt sind, im Recht zu sein», sagt Anwalt Peter Widmer.
Die Versuchung ist daher gross, Vergleiche abzuschliessen. Auch wenn bei solchen Abmachungen immer auch ein Schuldbekenntnis mitschwingt.
Zahlungen von Schweizer Firmen in den USA, in Dollar
Am 18 Februar 2009 schliessen die USA und die Schweizer Grossbank UBS einen Vertrag ab, um den grössten Fall von Steuerhinterziehung in der Schweizer Geschichte ad acta zu legen. Die Bank bezahlt 780 Mio.
Am 16. Dezember 2009 muss die Grossbank Credit Suisse die höchste je ausgesprochene Busse wegen Verletzung der US-Sanktionen gegen Iran bezahlen: 536 Mio.
Am 7. Oktober 2010 schliesst die Zurich Financial Services wegen überhöhter Kommissionsgebühren einen Vergleich mit Versicherten ihrer US-Tochter Farmers ab. Er kostet sie 455 Mio.
Am 30. September 2010 teilt der Pharmakonzern Novartis mit, er habe sich mit einem Gericht wegen dem Verstoss von Vermarktungs-Richtlinien betreffend das Epilepsie-Medikament Trileptal geeinigt. Der Konzern bezahlt 422 Mio.
Am 24. März 2009 entscheidet das Bundesgericht in New York: Wegen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Finanzprodukten muss Credit Suisse der Firma STMicroelectronics eine Millionen-Entschädigung ausrichten. Kostenpunkt: 354 Mio.
Am 19. Mai 2010 muss Novartis die laut der Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg höchste je in einem Diskriminierungsfall ausgesprochene Strafe berappen: Weil Frauen tiefere Saläre erhalten haben, zahlt der Konzern an 5600 Angestellte insgesamt 250 Mio.
Am 29. September 2010 schliesst der Konzern ABB wegen Korruption in Irak und Mexiko einen Vergleich ab: Er bezahlt 58,3 Mio.
Am 30. September 2010 werden die Schweizer Logistikunternehmen Kühne + Nagel und Panalpina wegen Verstössen gegen das US-Kartellrecht zu Bussen von 9,9 und 12 Mio. Dollar verurteilt. Ergibt zusammen 22 Mio.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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