Kleinbauern besorgt über Saatgut-Monopole
Obwohl die Vielfalt der Arten und des Saatguts für die Ernährung zentral ist, nimmt sie stetig ab. Der Artenschwund wirkt sich auf die Arbeit der Bauern, aber auch auf den Speisezettel aus. Das will eine "Saatgut-Karawane" aufzeigen, die derzeit durch die Schweiz zieht.
«Wir beobachten einen massiven Artenschwund und wollen die Vielfalt des Saatguts erhalten. Sie ist wichtig für die Pflanzengesundheit. Wir sind gegen Patente auf Saatgut und gegen Gentechnologie, weil dies die Vielfalt schmälert», sagt Hans Rüssli vom Schweizerischen Bauernverband (SBV).
Dies sei der gemeinsame Nenner der «Saatgut-Karawane», die keiner Ideologie verpflichtet sei, betont SBV-Sprecher Rüssli.
Getragen wird die «Karawane» von den Schweizer Organisationen wie Bio-Suisse, IP-Suisse oder Swissaid, die zu der 10-tägigen Tour auch Saatgut-Fachleute aus Afrika, Asien und Lateinamerika eingeladen haben. Von Genf über Schaffhausen bis in die Südostschweiz haben sie auf die Risiken des Artenverlusts aufmerksam gemacht.
Tatsächlich sind 90 Prozent der Sortenvielfalt bereits von den Äckern verschwunden. Gerade noch 15 Pflanzen- und 8 Tierarten liefern weltweit 90 Prozent aller Nahrung.
«Nur eine breite Vielfalt auf den Feldern kann die Ernährung sichern», betonen die Bauernorganisationen aus Nord und Süd. «Deshalb geht Saatgut uns alle etwas an.»
Zwei Drittel im Besitz der Konzerne
«Ein zentrales Problem ist, dass zwei Drittel des Saatguts weltweit zehn Firmen gehören», sagt Swissaid-Geschäftsleiterin Caroline Morel. Den Bauern und Züchtern ginge der freie Zugang zu Saatgut verloren, was auch negative Auswirkungen auf die Nahrung habe.
«95 Prozent der Mais-Pflanzen in der Schweiz sind Maishybride», gibt auch Rüssli vom Bauernverband zu bedenken. Diese Samen sind steril und müssen jedes Jahr wieder gekauft werden.
Teure Saatgut-Hybride
Im Unterschied zur Schweiz könnten sich Kleinproduzenten im Weltsüden die Hybride aus industrieller Produktion nicht leisten, stellt Morel fest.
Weltweit gebe es bloss fünf grosse Züchter von Süssmais, und diese stellten ihre Sorten unter Patentschutz. Erfahrungen zeigten jedoch, dass Saatgut-Patente zu mehr Marktkonzentration, höheren Preisen und wachsenden Abhängigkeiten für Landwirte führten.
Ein weiterer Unterschied ist laut Morel, dass gentechnisch verändertes Saatgut im Weltsüden eingeführt werden kann, weil es in vielen Ländern keine gesetzlichen Regelungen gibt.
Dies bestätigt Jorge Iran Vasquez aus Nicaragua. Die Zivilgesellschaft setze sich indes seit Jahren für einen gesetzlichen Rahmen ein, um ihr lokales Saatgut zu schützen.
Über negative Erfahrungen mit der Gentechnologie berichtet der indische Agronom Gangula Ramanjaneyulu: 90 Prozent des Baumwoll-Saatgutes in Indien sei gentechnologisch verändert («Bt-Baumwolle») und zu 95 Prozent in den Händen des Konzerns Monsanto.
Eine gute Nachricht sei hingegen, dass die nationale Koalition gegen Gentechnologie in Indien zu einem Moratorium für die Einführung von Bt-Auberginen beigetragen habe.
Einzigartiger Bio-Mais
Ein positives Beispiel ist für Biosuisse-Bäuerin Manuela Ganz die Schweizer Pionierarbeit beim Bio-Mais. Bei einem Karawanen-Halt im zürcherischen Rheinau beim Bio-Saatgutunternehmen Sativa lobte sie, dass hier «das einzige Zuckermais-Saatgut in Europa» gezüchtet werde.
Dieser Mais sei den hiesigen Böden und klimatischen Bedingungen angepasst. Solches Saatgut zu besitzen, werde künftig immer wichtiger, meint auch Fanceni Henriques Baldé, die Ernährungsprojekte in Guinea-Bissau leitet.
Wie die Vielfalt erhalten werden kann, war Thema der verschiedenen Karawane-Stationen. In Freiburg etwa stand die Sortenentwicklung und Saatgutproduktion der Firma Delley DSP im Zentrum, im bündnerischen Alvaneu die Getreidevielfalt des Vereins Alpine Kulturpflanzen und im Tessin Pro Specie Rara.
«Nur wenn die verschiedenen Sorten auch bei uns in der Einkaufstasche und auf unseren Tellern landen, werden sie weiterhin produziert werden», betont Morel. Zur Rettung der Vielfalt seien wir alle gefragt. Die Devise laute: «Lokal, saisonal und wenn möglich bio und fair einkaufen».
Viera Malach, swissinfo.ch und InfoSüd
Ernährungssouveränität ist «das Recht jeder Nation, ihre eigene Kapazität zu erhalten und zu entwickeln, um Nahrungsmittel zu produzieren, die wichtig für die nationale und kommunale Ernährungssicherheit sind und kulturelle Vielfalt und die Vielfalt von Produktionsmethoden respektieren.»
Diese Definition von Via Campesina, einer internationalen Bewegung von Kleinbauern- und Landarbeiterorganisationen, hat auch der Bauernverband SBV in seiner Position übernommen.
Ernährungssouveränität sei ein politisches Konzept, das danach fragt, woher die Nahrungsmittel kommen, wer sie produziert und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden.
Die Saatgut-Karawane endet am Freitag auf dem Bundesplatz in Bern mit einem «Festival der Vielfalt».
Vor Augen geführt wird die Vielfalt mit der Ausstellung «Äcker der Welt». Die Vielfalt auf dem Teller erlebbar machen kulinarische Spezialitäten aus vier Kontinenten.
Das von Swissaid organisierte Festival wird von Musik, Ansprachen und Gesprächsrunden begleitet.
Teilnehmende sind die Spitzen von Swissaid, des Schweizerischen Bauernverbands, von Bio Suisse und IP-Suisse sowie die internationalen Gäste der Karawane.
Bundesrat und Umweltminister Moritz Leuenberger spricht über die Bedeutung der Biodiversität.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch