Konzernverantwortungs-Initiative: gesiegt und doch gescheitert
Die Schweiz schreibt im Thema Social Responsibility keine Geschichte. Die Konzernverantwortungsinitiative hat die erforderliche Zustimmung von mehr als der Hälfte der Kantone klar verpasst, holt sich aber mit 50,7 Prozent Ja-Stimmen knapp das Volksmehr.
- Die Konzernverantwortungsinitiative scheitert am Ständemehr, damit tritt der vom Parlament verabschiedete indirekte Gegenvorschlag in Kraft.
- Bitter für die Initianten: Die Initiative schafft knapp das Volksmehr und schreibt damit Demokratiegeschichte.
- Eine Übersicht über Zustimmung in der Schweiz bietet unsere Grafik unten.
Das sind die Resultate
Mit der Auszählung der beiden letzten Kantone Basel Stadt und Zürich am Nachmittag ist das Resultat ganz zum Schluss noch gekippt: Eine knappe Mehrheit von 50,7 Prozent hat die Konzernverantwortungsinitiative gutgeheissen.
Die Vorlage scheitert dennoch, und zwar am Ständemehr. Rechtskräftig angenommen ist eine Initiative in der Schweiz erst, wenn ihr nebst dem Volksmehr auch die Hälfte der Kantone die Zustimmung gibt. In dieser Betrachtung unterliegen die Initianten klar mit 8,5 zu 14,5 Ständen.
Dass eine Initiative am Ständemehr scheitert, gab es in der Geschichte der Schweizer Demokratie erst einmal. Anno 1955 wurde die Volksinitiative zum Schutz der Mieter und Konsumenten mit einer Zweidrittelsmehrheit der Stände zurückgewiesen, vereinte auf sich aber 50,2 Prozent der Stimmen. Die Konzernverantwortungsinitiative ist nun die zweite Initiative dieser Art und schreibt so zumindest Demokratie-Geschichte.
Die Stimmbeteiligung erreichte trotz dem ausgesprochen emotionalen und für Schweizer Verhältnisse teuren Abstimmungskampf nicht die Marke von 50 Prozent, sondern lag mit etwas über 46 Prozent im Mittel der letzten Jahre.
Der Blick auf die Karte mit den Stimmenverhältnissen zeigt eine alte und eine jüngere Trennlinie in der Schweiz: den Röstigraben zwischen Deutsch- und Westschweiz sowie den Stadt-Land-Graben. So waren es typischerweise Westschweizer Kantone sowie durch städtische Metropolen geprägte Kantone (Bern, Basel, Zürich), die der Konzernverantwortungsinitiative zugestimmt haben. Am grössten war der Ja-Anteil im Jura mit 68,7 Prozent. Die Gegner haben ihre Hochburg in der Innerschweiz. Der Kanton Schwyz verwarf die Vorlage mit 68,4 Prozent Nein-Stimmen.
So fallen die Reaktionen aus
Mit dem Tessiner Alt-Ständerat Dick Marty war bemerkenswerterweise ein Freisinniger das Aushängeschild der Konzernverantwortungsinitiative. In einer eigenen Live-Sendung der Initianten am Sonntagnachmittag zeigte er sich enttäuscht über den Ausgang der Abstimmung. Er sagte aber programmatisch, dass der Kampf weitergehe. «Wenn der Sieg nicht heute kommt, dann mit Sicherheit morgen.»
Ähnlich kommentierte aus neutraler Warte der Politologe Claude Longchamp den Abstimmungskampf auf Blick TV. «Vielleicht haben die Initianten ihren Vorsprung überschätzt und sich zu sicher gefühlt. In den letzten Wochen haben beide Seiten rücksichtslos geschossen.» Er sei sich aber sicher, dass die Konzernverantwortung bald wieder auf der politischen Agenda stehe. Beim nächsten Skandal werde der Nationalrat Druck auf den Bundesrat machen.
Wie die Debatte um die Konzernverantwortung in den nächsten Tagen weitergehen wird, zeigte exemplarisch eine Nachmittagsrunde mit Exponentinnen und Exponenten beider Lager bei SRF. Ruedi Noser, Unternehmer und FDP-Ständerat des Kantons Zürich, sagte zum Abstimmungsresultat, in der Schweiz gebe es ein funktionierendes Konzept der direkten Demokratie, zu der auch der Minderheitenschutz gehöre. Er wandte sich damit gegen Angriffe auf das Ständemehr, wie etwa von der Präsidentin der Jungsozialisten Ronja Jansen via Twitter («Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte»).
Martin Landolt, Glarner Nationalrat und bisher Präsident der BDP, übte sich in derselben Runde in Konsenspolitik. In der Zielsetzung gebe es eine Einigkeit, konstatierte er, es brauche verantwortlich handelnde Konzerne. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hätten sich mit dem Gegenvorschlag nun einfach für die unverbindlichere Variante ausgesprochen, um dieses Ziel zu verfolgen.
Weniger konziliant gab sich Matthias Aebischer, SP-Nationalrat aus Bern, er verurteilte den Gegenvorschlag als wirkungslos, weil er für die Konzerne keine Haftung festschreibe. CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter hingegen wiederholte eines der Kernargumente der Gegner der Initiative: Der Gegenvorschlag sei international gut abgestimmt und eingebunden.
Gerade hier dürften die Befürworter der Initiative künftig anknüpfen. So liess sich Landolt nicht zweimal bitten und meinte, wenn sich der internationale Umgang mit fehlbaren Konzernen ändere, sei er nicht bereit, noch weiter zuzuwarten.
Das hätte die Vorlage gebracht
Ziel der 2016 eingereichten Initiative war es, für global tätige Unternehmen mit Sitz in der Schweiz weitreichende und international beispielhafte Sorgfaltspflichten festzuschreiben. Bei Verstössen gegen Menschenrechte oder Umweltstandards im Ausland, hätten sie dafür in der Schweiz verklagt und um Schadenersatz angegangen werden können. Und zwar auch dann, wenn die Vergehen oder Unterlassungen durch Tochterunternehmer oder Zulieferer verübt werden, die von den Konzernen de facto kontrolliert werden.
Als weitere Auflage sollten die Unternehmen für die gesamte Lieferkette eine Sorgfaltsprüfung vornehmen. Die Initianten zielten erklärtermassen nicht auf die zahlreichen Schweizer KMU, sondern auf einen kleinen Kreis von multinationalen Unternehmen wie den Rohstoffkonzern Glencore oder den Düngermittelproduzenten Syngenta.
Das Parlament hatte der Initiative nach jahrelangem Hin und Her zwischen National- und Ständerat einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt, der nun automatisch in Kraft treten wird. Er führt ebenfalls neue Pflichten zur Sorgfaltsprüfung ein, verzichtet aber auf Haftungsregeln. Von den Befürwortern wurde er deshalb als reine Alibi-Übung kritisiert. Der Bundesrat und eine Mehrheit der beiden Kammern hingegen hatten den Vorschlag als zielführend beschrieben. Hauptargument: Er orientiere sich an internationalen Standards, was die Gefahr minimiert, dass Sitzgesellschaften die Schweiz verlassen.
So stehen die Chancen von Initiativen in der Schweiz
Von den 217 Initiativen, die in der Schweiz seit 1891 an die Urne kamen (die beiden Initiativen vom 29. November 2020 noch nicht eingerechnet), wurden 22 von den Stimmberechtigten angenommen, was einer Zustimmungsrate von 10,5 Prozent entspricht. Zuletzt erfolgreich waren zwei Vorlagen der SVP: 2013 die Masseneinwanderungsinitiative und 2014 eine Initiative, die für Pädophile ein lebenslanges Berufsverbot im Umfeld von Kindern verlangte.
Die höchste Zustimmung in der Geschichte der Schweizer Volksinitiative auf Bundesebene fand 1993 das Ansinnen, den 1. August zum arbeitsfreien Tag zu erklären, ein Vorschlag, den fast 84 Prozent mit einem Ja bekräftigten.
Die Zahl der lancierten Initiativen war im ausgehenden Jahrzehnt auffallend hoch, wie Kritiker sagen, vor allem in auch Wahljahren. Seit längerem wird deshalb in der Schweiz über neue Auflagen diskutiert wird. Zur Lancierung einer Initiative sind 100 000 Unterschriften von Stimmberechtigten nötig.
Vor allem linke Kreise kritisieren auch, dass in der Schweiz gelegentlich Initiativen zur Abstimmung zugelassen werden, die gegen verfassungsmässige Grundrechte verstossen. Populärstes Beispiel ist die erfolgreiche Minarett-Initiative der SVP, die den Bau neuer Minarette in der Verfassung ausschliesst und damit im Konflikt gegen die Religionsfreiheit steht.
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