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Schweizer Waffen auch für Bürgerkriegs-Länder

Kanonenrohr eines Panzers in der Wartungshalle
Wartungsarbeiten am Lauf eines Leopard-Panzers in den Werkstätten des Schweizer Rüstungskonzerns Ruag. Keystone

Seit längerer Zeit forderte die Schweizer Waffenindustrie flexiblere Regeln für den Export von Kriegsmaterial. Jetzt hat das Parlament die Rufe erhört: Künftig sollen Schweizer Waffen auch in Länder verkauft werden dürfen, in denen Bürgerkrieg herrscht. Der Entscheid fiel aufgrund des Arguments, die Produktionskapazitäten im Schweizer Rüstungsbereich aufrechtzuerhalten. Er führte jedoch zu zahlreichen Bedenken bei Menschenrechts-Organisationen wie auch im Parlament.

Letzen September wandten sich rund ein Dutzend Schweizer Waffenproduzenten an die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (Kantonskammer). Die Firmen forderten eine Aufweichung der Regeln für die Ausfuhr von Kriegsmaterial. Darunter befanden sich RuagExterner Link, General Dynamics European Land System – MowagExterner Link, RheinmetallExterner Link und ThalesExterner Link.

Konkret verlangten die Vertreter der Waffenindustrie, dass vor allem defensive Rüstungsgüter künftig auch in Staaten exportiert werden dürfen, in denen ein «interner bewaffneter Konflikt» herrsche, wie der Tages-AnzeigerExterner Link damals aufdeckte. Diese Möglichkeit wurde in der Verordnung über das KriegsmaterialExterner Link (KMV) bisher ausdrücklich ausgeschlossen.

Für die Unternehmen, die sich über einen drastischen Rückgang ihrer Exporte beklagten, ging es darum, ähnliche Bedingungen wie bei ihren europäischen Konkurrenten zu schaffen.

Das von der Industrie ins Feld geführte Argument der Erhaltung der produktiven Kapazitäten im Rüstungssektor stiess auch im Bundesrat (Landesregierung) auf offene Ohren. Besonders bei Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann: Mitte Juni hat die Regierung grundsätzlich beschlossen, den Export von Kriegsmaterial in Länder zu liberalisieren, in denen interne bewaffnete Konflikte im Gang sind.

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SRF: Beitrag in der Tagesschau vom 15.6.2018

Defensive Rüstungsgüter

Der Entscheid sollte allerdings kaum grosse Veränderungen nach sich ziehen, wie der Bundesrat in einer MitteilungExterner Link präzisierte. «Im Einzelfall soll neu eine Ausfuhrbewilligung erteilt werden können, wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt eingesetzt wird», schrieb die Regierung.

«Die Massnahme betrifft im Wesentlichen Waffen mit defensivem Charakter.»
Fabian Maienfisch, Seco

«Die Massnahme betrifft im Wesentlichen Waffen mit defensivem Charakter, zum Beispiel Flugabwehrkanonen», sagt Fabian Maienfisch, Sprecher des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). «Und in Länder wie Syrien oder Jemen, wo ein klassischer Bürgerkrieg herrscht, werden Waffen weiterhin nicht exportiert. Darüber hinaus werden Angriffswaffen wie Panzer, Granaten oder Sturmgewehre nicht in Länder mit bewaffneten Konflikten exportiert.»

Neben dem erleichterten Export in Länder, die in einen internen Konflikt verwickelt sind, entschied der Bundesrat auch, die Gültigkeitsdauer von Einzelbewilligungen von einem auf zwei Jahre zu erhöhen. Im Bedarfsfall sollen Bewilligungen aber auch suspendiert oder widerrufen werden können, schrieb er weiter.

Darüber hinaus solle die Verordnung dem Grundsatz der Aufrechterhaltung einer an die Bedürfnisse der Landesverteidigung angepassten Industriekapazität stärker Rechnung tragen, wie dies im Bundesgesetz über das KriegsmaterialExterner Link zum Ausdruck komme.

Es liegt nun am Seco, die konkreten Änderungen der Verordnung zu formulieren, in Zusammenarbeit mit den Eidgenössischen Departementen für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) sowie dem Bundesamt für Justiz (BJ). Wie lange dies dauern werde, sei noch nicht bekannt, sagt Maienfisch.

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Risken für Menschenrechte

Trotz der Zusicherungen der Regierung, der Umfang der Änderungen sei nur begrenzt und die Neutralität der Schweiz bleibe gewahrt, führte der Entscheid zu starker Kritik.

«Dieser Entscheid erhöht das Risiko, dass aus der Schweiz exportierte Waffen in Kontexten eingesetzt werden, in denen die Menschenrechte schwer verletzt werden.»
Patrick Walder, Amnesty International Schweiz

«Es macht die Schweiz unglaubhaft als neutrales Land, das einerseits versucht, die verschiedenen Kriegsparteien zum Verhandeln an einen Tisch zu holen, und sich andererseits mit Waffenexporten in genau diese Länder bereichert», sagte Anna Naeff, Sprecherin der Gruppe für eine Schweiz ohne ArmeeExterner Link (GSoA), gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRFExterner Link.

«Die Schweiz müsste wenigstens die Mindeststandards des UNO-Vertrags über den WaffenhandelExterner Link einhalten. Das heisst, ein Verbot der Lieferung von Waffen, wenn die Gefahr besteht, dass diese für Kriegsverbrechen oder schwere Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten», sagt Patrick Walder, Koordinator der Waffen-Kampagne bei der Menschenrechts-Organisation Amnesty International SchweizExterner Link.

Zwar stehe die Änderung an sich nicht im Widerspruch zu diesen Prinzipien, gibt Walder zu. «Trotzdem erhöht dieser Entscheid das Risiko, dass aus der Schweiz exportierte Waffen in Kontexten eingesetzt werden, in denen die Menschenrechte schwer verletzt oder Kriegsverbrechen begangen werden. Das Risiko wird noch grösser, wenn Waffen in Länder wie Pakistan oder Saudi-Arabien exportiert werden, die systematisch Menschenrechte verletzen. Wie können wir überprüfen, dass dies nicht der Fall ist?»

Die Verordnung und die Praxis

Für Walder ist der Regierungsentscheid auch aus demokratiepolitischer Sicht fragwürdig: «2008 hatte der Bundesrat im Hinblick auf die Abstimmung über die Initiative zum Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterial seine Verordnung über die Ausfuhr von Kriegsmaterial verschärft. In der Folge schwächte er sie aber wieder ab.»

Tatsächlich hatte die Regierung die Kriegsmaterial-Verordnung 2008 sehr restriktiv umformuliert und Exporte in Länder verboten, die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sindExterner Link. Bereits im Jahr darauf hatten sich jedoch im Rahmen der Abstimmungskampagne über die Exportverbots-Initiative 70 Rechtsprofessoren in einem offenen Brief an den Bundesrat darüber beschwert, dass dieser Grundsatz in der Praxis grundsätzlich missachtet werde.

2014 wurde die Verordnung erneut abgeändert: Die neue Formulierung erlaubte auch den Export von Kriegsmaterial in Länder, welche die Menschenrechte ernsthaft und systematisch verletzen, «wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird».

Zwei Jahre später erlaubte der Bundesrat den Export von Ersatzteilen und Munition für Flugabwehrsysteme nach Saudi-ArabienExterner Link, trotz der Verwicklung des Landes in den Jemen-Konflikt. Das sorgte erneut für grosse Kontroversen.

Eine politische Frage

«Darüber hinaus», sagt Walder, «hörten im Rahmen der aktuellen Anpassung der Verordnung die Sicherheitspolitische Kommission und der Bundesrat diesmal nur auf die Argumente der Rüstungsindustrie. Wir wurden nicht gefragt.»

Die Art und Weise, wie die Regierung auf die Forderungen der Industrie reagierte, führte zudem auch bei einer Reihe von Mitte-Rechts-Parlamentariern zu Stirnrunzeln. Bereits im Mai reichte Martin Landolt, Präsident der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), eine MotionExterner Link ein, die verlangt, dass die Richtlinien für Waffenexporte künftig durch das Parlament und nicht durch den Bundesrat festgelegt werden sollen. Zudem sollen sie dem Referendum unterliegen. Die Exportkriterien sollen deshalb im Gesetz und nicht in der Verordnung festgehalten werden.

Gegenüber der Boulevardzeitung BlickExterner Link erwähnte Landolt zudem eine Petition gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer, die innerhalb weniger Wochen von 12’000 Personen unterzeichnet worden sei und im Mai der Bundeskanzlei übergeben wurde. Für Walder von Amnesty International Schweiz ist klar: «Der Bundesrat unterschätzt die öffentliche Meinung zu Waffenexporten.»

Kriegsgeschäfte-Initiative eingereicht

Am Donnerstag reichten die GSoA und die Jungen Grünen zusammen mit dem Bündnis für ein Verbot von Kriegsgeschäften 104’902 gültig beglaubigte Unterschriften für die Kriegsgeschäfte-Initiative bei der Bundeskanzlei ein.

Insgesamt seien beinahe 130’000 Unterschriften gesammelt worden, hiess es. Etwa 150 Personen seien bei der Übergabe auf dem Berner Bundesplatz dabeigewesen und hätten «ein starkes Zeichen gegen die Bereicherung an Kriegen» gesetzt. 

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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