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Krienser Buchsta­ben für Moskau

Roman Scherers Buchstaben kannten keine Sprachgrenzen. Seine Typografien eroberten Anfang des 20. Jahrhunderts die ganze Welt.
Roman Scherers Buchstaben kannten keine Sprachgrenzen. Seine Typografien eroberten Anfang des 20. Jahrhunderts die ganze Welt. Letterform Archive

Die hochspezialisierte Fabrik von Roman Scherer aus Kriens stellte Holztypen für die ganze Welt her – unter anderem auch für die kommunistische Monopolzeitung "Prawda" in Moskau.

Kriens ist der Industrieort hinter Luzern. Eingeklemmt zwischen Sonnenberg und Pilatus fliesst dort der Krienbach, der schon früh Gewerbe und Industrie nach Kriens gebracht hat.

Um 1890 kam Roman Scherer dorthin, weil er mehr Platz für seine Unternehmung brauchte. Denn im Krienser Quartier Kupferhammer war sich die Umgebung das Hämmern und Sägen von Werken gewohnt, das war somit der richtige Ort für Scherers Fabrik mit direktem Gleisanschluss.

Die Rangieranlage beim Kupferhammer in Kriens
Die Rangieranlage beim Kupferhammer in Kriens: Direkt dahinter lag die Holztypenfabrik Scherer. Bild von circa 1920. Ortsarchiv Kriens, Museum Bellpark

Dieser Roman Scherer war ein Bauernsohn aus Meggen (Kanton Luzern). Er war 1848 zur Welt gekommen und durfte die Kantonsschule besuchen. Doch studieren lag dann doch nicht drin.

Typografiepionier Roman Scherer.
Typografiepionier Roman Scherer. portraitarchiv.ch

Nach der Kantonsschule durchlief Roman Scherer zuerst eine kaufmännische Lehre beim Stahlwerk von Moos in Emmenbrücke. Danach arbeitete er auf Banken im Tessin und in Frankreich.

Zurück in Luzern, wirkte Scherer zuerst bei einer Bank und übernahm dann in jungen Jahren die Leitung der «Pays’schen Fabrik«, die in Luzern Möbel und Gewehrschäfte aus Holz herstellte.

1877 machte sich der inzwischen 29-Jährige selbständig: Er konnte Maschinen aus einer konkursiten Firma im Kanton Wallis übernehmen. Scherer stellte Buchstaben für die Drucktechnik her – aus lokalem Obstholz, das im Luzernischen ausreichend zur Verfügung stand.

Seinen Kleinbetrieb siedelte er auf der Reussinsel in Luzern an. Solche Lettern wurden im Druckprozess für Plakate, Schlagzeilen und Titel eingesetzt.

Einblick in die Produktion der Holztypenfabrik.
Einblick in die Produktion der Holztypenfabrik: 1913 wurden die Buchstaben von Hand hergestellt. Ortsarchiv Kriens, Museum Bellpark

Das Geschäft brummte, auch weil Scherer schon bald auf eine internationale Kundschaft setzte. Deshalb kam er um 1890 nach Kriens, zog eine richtige Fabrik hoch und beschäftigte dort bis zu hundert Personen.

Solche Buchstaben aus Holz für die Druckereien herzustellen, war ein stark spezialisiertes Nischengeschäft. Nur für die Region oder nur für die Schweiz zu produzieren, hätte sich nie ausbezahlt.

Deshalb setzte die Holztypenfabrik von Roman Scherer stark auf Expansion: Er fand Abnehmer in der ganzen Schweiz, aber eben auch in Frankreich, Spanien, Italien, den Balkanstaaten, in Russland, Japan und China. Um 1900 stellte die Krienser Fabrik bereits 50’000 Buchstaben pro Jahr her!

Die Reform-Schrift von Roman Scherer
Die Reform-Schrift von Roman Scherer wurde schnell zur Titelschrift der russischen Tageszeitung Prawda. Foto: Philipp Messner

Um in Russland Kundschaft zu finden, produzierte Scherer für den russischen Markt speziell kyrillische Schriften – mit grossem Erfolg. So ging die Gestaltung des Schriftzugs der russischen Tageszeitung Prawda, dem Zentralorgan der KPdSU, auf eine Holzschrift von Roman Scherer zurück.

Seine Typenreihe «Serie 5015», genannt «Reform», bildete die Grundlage für den Schriftzug «Prawda» auf dem Zeitungskopf. So leistete die Krienser Holztypenfabrik einen kleinen Beitrag zur kommunistischen Aufrüstung Russlands!

Oder zur kommunistischen Wahrheit, denn das Wort Prawda heisst nichts anderes als Wahrheit. Allerdings entwickelte Scherer diese Typografie bereits 1905, während die Prawda erst ab 1912 als eine der auflagenstärksten Zeitungen der Welt den Kommunismus beschwor.

Die erste Ausgabe der Zeitung Prawda vom Mai 1912.
Die erste Ausgabe der Zeitung Prawda vom Mai 1912. Wikimedia

Die Krönung seiner industriellen Laufbahn erlebte der «Buchstabenkönig» Roman Scherer an der Weltausstellung für Buchgewerbe und Grafik 1914 in Leipzig: Der Schweizer wurde dort mit dem Goldenen Preis ausgezeichnet.

Damals erweiterte Scherers Fabrik ihr Sortiment um Plakatschriften aus Hartgussaluminium. Acht Jahre nach dem Preis in Leipzig starb Scherer im Alter von 74 Jahren, doch seine Firma bestand weiter bis 1966.

Todesanzeigen in der Zeitung Der Bund vom 21. Februar 1922.
Todesanzeigen in der Zeitung Der Bund vom 21. Februar 1922. e-newspaperarchives

Die Typenbücher von Roman Scherer sind heute in der grafischen Branche noch immer gesucht, weil die typografische Gestaltung der Krienser Firma sehr genau, aber auch sehr fantasievoll war.

So hat der Basler Historiker Philipp Messner, der zu Scherers Werk ausgezeichnete Forschungsarbeit geleistet hat, Scherers Typenbücher in der Basler PapiermühleExterner Link und in der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern aufgespürt.

Zudem haben Scherers Schriften auch in die bekannte Typografiesammlung von Luc Devroye der McGill University im kanadischen Montreal Einzug gehalten. Oder 1972 erschien ein Nachdruck von Scherers Art Nouveau und Art Deco-Schriften in Amerika.

Und seine Arbeiten sind auch im Letterform Archive in San Francisco dokumentiert. So dürften die Schriften aus Kriens mittlerweile viel bekannter sein als der Ort ihrer Produktion.

Dieser Film des Letterform Archive aus San Francisco zu einem Katalog von 1920 gibt einen guten Einblick in die Typowelt von Roman Scherer.Externer Link

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