Das Zugticket online kaufen, Bilder an Freunde verschicken, mit den Enkelkindern kommunizieren: Internet gehört zum Leben der Mehrheit der Schweizer Senioren und Seniorinnen. Ihnen die Tür zur digitalen Welt zu öffnen ist eine der Prioritäten von Pro Senectute, die sich seit 100 Jahren für das Wohlbefinden älterer Menschen einsetzt.
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Als Journalistin mit Sitz in Bern interessiere ich mich besonders für gesellschaftliche Themen, aber auch für Politik und soziale Medien. Zuvor hatte ich für regionale Medien gearbeitet, auf den Redaktionen des Journal du Jura und von Radio Jura Bernois.
Jean-Marie hat seine beiden Tablet-Computer und das Smartphone ordentlich vor sich hingelegt. Daneben liegen ein Heft und ein Stift. Von Zeit zu Zeit notiert er ein paar Tipps der Dozentin.
Mit drei anderen Personen nimmt der Pensionär an einem Kurs über Geräte mit Touchscreen in Lausanne im Kanton Waadt teil. Organisiert hat die Schulung die Stiftung Pro Senectute. Jean-Marie gehört zur wachsenden Zahl älterer Menschen, die Internet nutzen. Laut der für Pro Senectute von der Universität Zürich realisierten Studie «Digitale SeniorenExterner Link» surften 2015 rund 56% aller Senioren und Seniorinnen im Internet. 2009 waren es noch 38%.
«Ich habe am technologischen Institut von Massachusetts studiert und hatte dort die Möglichkeit, die ersten Computer zu nutzen», erzählt Jean-Marie während der Vorstellungsrunde im Klassenraum. Ingenieur, Banker, Grafiker, Lehrerin: Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind repräsentativ für die neue Online-Generation der über 65-Jährigen. Die Studie beschreibt sie als «Personen mit einer guten Ausbildung, einem hohen Einkommen und die selbständig zu Hause wohnen».
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Einst half Geld, heute braucht die Seele Hilfe
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Gegründet wurde Pro Senectute im Herbst 1917Externer Link, während des Ersten Weltkriegs. Ziel war es, den armen Betagten zu helfen. Die Stiftung setzte sich unter anderem für die Einführung einer Rente ein: 1948 wurde die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) geschaffen. Ab den 1950er-Jahren liessen die finanziellen Schwierigkeiten der älteren Menschen in der Schweiz nach. Nun…
«Ohne Technologie ist man heute gehandicapt», stellt Marie-Luce während der Kaffeepause fest. «Es gibt Informationen, an die man ohne Internet kaum kommt.» Mit über 70 Jahren hat die ehemalige Lehrerin sich deshalb entschieden, ein Smartphone und ein Tablet zu kaufen. Letzteres, weil es «ein bisschen grösser ist».
«Wenn man nichts weiss, nervt man schnell ein bisschen», sagt Marie-Luce. «Und wenn ich nichts verstehe, klicke ich überall ein bisschen und mache manchmal Dummheiten.» Deshalb habe sie sich für den Kurs von Pro Senectute eingeschrieben.
Die Seniorin braucht Internet zum Schreiben von Emails, zum Hören von Konferenzen in Englisch und um sich zu informieren. Zahlungen online erledigen macht ihr aber Angst. «Dafür werde ich Internet wohl nie brauchen. Ich habe kein Vertrauen in die Sicherheit», sagt sie. Um ihre Aussage zu unterstreichen, erwähnt Marie-Luce den weltweiten Cyber-Angriff «Wanna Cry», der am 12. Mai 300’000 Computer in 150 Ländern lahmlegte.
«Noch fürchten sich die meisten Senioren vor den sozialen Medien und vor Online-Einkäufen sowie -Bankgeschäften», stellt Dozentin Lisa Roggero fest. Zu ihren Aufgaben gehört es, den älteren Menschen einerseits diese Angst zu nehmen, ihnen aber andererseits auch die elementaren Regeln zu vermitteln, die es mit Blick auf Sicherheit im Internet zu beachten gilt.
Internet zur sozialen Vernetzung
Internet erlaubt es den älteren Menschen auch, mit ihrem sozialen Umfeld in Kontakt zu bleiben. «Wenn man nicht mehr arbeitet, braucht man den Austausch mit den anderen», stellt der 76-jährige Maurice fest. In den ersten zehn Jahren nach seiner Pensionierung hatte der ehemalige Banker bewusst komplett auf die Informatik verzichtet und ohne Computer gelebt. «Doch musste ich feststellen, dass es heute fast nicht mehr möglich ist, ohne auszukommen. Ich fange deshalb wieder an, diesmal mit einem Tablet und einem Smartphone.»
Ältere Menschen, die Internet nutzen, fühlten sich besser in der Gesellschaft integriert, hält die Studie «Digitale Senioren» fest. «Um nicht isoliert zu sein, wird es immer wichtiger, digitale Geräte bedienen zu können», sagt auch Judith Bucher, Sprecherin von Pro Senectute. Deshalb gehört die Digitalisierung zu den Prioritäten der Stiftung. Deren Kurse zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien besuchen schweizweit rund 8500 Teilnehmende.
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Doch auch Internet sei kein Wundermittel gegen Isolation und soziale Probleme, stellt die Studie klar. Es sei deshalb wichtig, den Entscheid einer älteren Person zu respektieren, Internet nicht zu nutzen und die altbewährten Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten vorzuziehen. «Es werden nie alle über 65-Jährigen im Internet surfen.» Deshalb gelte es auch, diese Gruppe Menschen weiter zu unterstützen, insbesondere mit Blick auf Online-Zahlungen, sagt Bucher. Hierfür bietet Pro Senectute spezielle Dienstleistungen an. Freiwillige besuchen beispielsweise ältere Menschen zu Hause und helfen ihnen beim Erledigen ihrer Korrespondenz und Zahlungen.
Am Ende des Kurses verlassen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Raum mit einem Lächeln. Sie tauschen sich über das neu Gelernte aus. «Der Kurs ist auch eine Gelegenheit, andere Menschen kennenzulernen», sagt Dozentin Béguelin. Dominique zeigt uns Bilder ihrer Enkelkinder, die sie von ihrer Tochter zugeschickt erhielt. «Dank des Smartphones habe ich meine Tochter, die in Berlin lebt, wieder gefunden», sagt sie.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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Abstinente Senioren riskieren die soziale Isolation
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Obschon auch die ältere Generation in der Schweiz das Internet immer öfter nutzt, bleibt ein beträchtlicher Teil der Senioren offline. Laut Experten gehen sie dabei das Risiko ein, sich von wichtigen Informationsquellen und sozialen Kontakten abzuschotten.
Die Anzahl Senioren, die das Internet benutzen, hat in den vergangenen fünf Jahren laut einer Studie des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich um 47% zugenommen.
Das heisst, dass mittlerweile 56% der über 65-jährigen vom Internet Gebrauch macht. 2010 waren es noch knapp 40%. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung nutzen 88% das Internet.
"Heutzutage ist das Internet so stark im Alltag angekommen, dass auch Senioren davon profitieren wollen", sagte Béatrice Fink von Pro Senectute." Es gibt auch eine Gruppe von Senioren, die bereits in ihrem Berufsleben mit Computern gearbeitet hat. Neue Geräte, wie Tablets erleichtern zudem den Senioren den Zugang zum Internet. Unserer Meinung nach ist das der Grund, wieso der Gebrauch dieser Geräte in den kommenden Jahren zunehmen wird", sagte Fink gegenüber swissinfo.
Innerhalb der Gruppe der über 65-jährigen gibt es grosse Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Senioren.
E-Mail und die Suche von Informationen, vor allem zu den Themen Reisen, Behörden und Gesundheit, werden von der älteren Generation am meisten genutzt. Die sozialen Medien sind in dieser Bevölkerungsgruppe weniger verbreitet. Auch das Online-Shopping ist vor allem wegen Sicherheitsbedenken in dieser Altersgruppe wenig beliebt.
Zwei Gruppen von Abstinenten
44% der Senioren nutzen das Internet nicht. Laut Hans Rudolf Schelling, dem Direktor des Zentrums für Gerontologie, können diese in zwei Gruppen unterteilt werden: "Es gibt Leute, die zwar an Technologie interessiert sind, sich aber vor den Kosten fürchten oder denken, es sei kompliziert. Sie brauchen Unterstützung, praktische Hilfe und den Ansporn ihres sozialen Umfeldes, um den Schritt ins Internet zu machen. Die andere Gruppe ist nicht interessiert am Internet und sieht für sich darin keinen Nutzen."
Internationaler Vergleich
Die Schweiz befindet sich innerhalb Europas in der Spitzengruppe, was die Internet-Nutzung durch Senioren betrifft.
"Sie kommt hinter den nördlichen Ländern wie Schweden, Norwegen, Finnland, den Niederlanden und Dänemark, positioniert sich jedoch vor den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Italien", sagt Studienleiter Schelling.
Laut der Studie will nur ein kleiner Teil der Abstinenten (15%) das Internet in Zukunft nutzen. Der Hauptgrund: die Grosskinder.
Risiko der Abstinenz
"Es besteht ein Risiko, dass es für Leute ohne Internet-Anschluss zusehends schwieriger wird, an offizielle Informationen oder Gesundheitspräventions-Programme heranzukommen", warnt Fink.
Deshalb organisiert Pro Senectute Kurse für den Einstieg ins Internet. Ein populäres Thema in diesem Bereich ist ein Kurs der SBB zum Online-Billet Kauf.
Der Verein Computerias offeriert Kurse für Senioren mit Senioren als Ausbildner. swissinfo.ch hat einen solchen Kurs in einer katholischen Kirche in der Stadt Zürich besucht und traf auf eine Gruppe von hinter Laptops sitzenden Seniorinnen
Darunter waren solche, die in ihrem Berufsleben mit Computern zu tun hatten und nun lernen wollen, wie man beispielsweise über das Internet telefoniert. Eine andere sagte, "mein Mann ist der Computer-Experte."
Technologische Entwicklung
Die 67-jährige Kursleiterin Dorothee Landolt, eine ehemalige Programmiererin, meinte, die technologische Entwicklung habe grossen Anteil an der steigenden Verbreitung des Internets. "Früher waren Computer viel teurer, das hielt die Leute davon ab. Nur Leute, die wirklich einen wollten, hatten einen Computer. Heute hat jeder einen. Websites sind benutzerfreundlicher geworden und die Betreiber haben gemerkt, dass jeder sie verstehen muss, weil sie sonst ihre Produkte nicht verkaufen können. Man muss also kein Computerexperte mehr sein, um sie zu nutzen."
Die Studie geht davon aus, dass die Internet-Nutzung unter den Senioren künftig zunehmen und sich damit der digitale Graben zwischen den Generationen weiter abnehmen wird. Dennoch wird es wegen den sich ständig erneuernden Technologien weiterhin Unterschiede geben.
Die Studie weist aber auch darauf hin, dass es für ältere Menschen weiterhin möglich sein müsse, ohne das Internet zu funktionieren. "Für Menschen, die nicht in der Lage oder nicht bereit sind, das Internet zu nutzen, braucht es andere Möglichkeiten. Bankschalter beispielsweise muss es weiterhin geben."
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