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Peter Brabeck über das Loslassen der Macht

Peter Brabeck ist Pensionär, aber nicht im Ruhestand.
Peter Brabeck, bei Nestlé einst einer der mächtigsten Manager der Welt, ist heute Pensionär und geht trotzdem jeden Tag in sein Büro. Dieses Jahr kämpfte er offen gegen die Konzernverantwortungsinitiative. Zweifel, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen, kennt er nicht. © Keystone / Gaetan Bally

"Aufstiege" – unter diesem Titel hat der ehemalige Chef von Nestlé seine Biografie veröffentlicht: "Es ist schwieriger, ein kleines Unternehmen mit 30 Mitarbeitern zu führen als ein Unternehmen mit 340'000 Beschäftigten", sagt er, der seine Karriere als Eisverkäufer in Österreich begann.

Am Schweizer Nestlé-Hauptsitz in La Tour-de-Peilz, unweit von Montreux, hat der 76-jährige ehemalige Verwaltungsratspräsident sein Büro beibehalten, und auch einen Arbeitsrhythmus, der dem typischen Leben eines Rentners nicht gerade ähnlich sieht: «Ich komme jeden Tag von 8.30 bis 18.30 Uhr hierher, aber ich mische mich nicht in die Angelegenheiten meiner Nachfolger ein», sagt Peter Brabeck, der von 1992 an Mitglied der Konzernleitung, von 1997 bis 2008 CEO und bis 2017 Präsident des Verwaltungsrates des Weltkonzerns war.

swissinfo.ch: Sie haben sich gegen die Konzernverantwortungsinitiative stark gemacht, die schliesslich am Ständemehr gescheitert ist. Empfinden Sie Zufriedenheit?

Peter Brabeck: Ich freue mich sehr für die Schweiz, aber vor allem für die Menschen in den Entwicklungsländern. Die Initiative hätte grosse Unternehmen dazu gezwungen, sich aus Ländern zurückzuziehen, in denen die Situation schwierig ist. In der Elfenbeinküste zum Beispiel gibt es zwei grosse staatliche Unternehmen. Wenn man seinen Kakao von ihnen kauft, ist man vor Kritik geschützt, aber das hilft den Familien vor Ort nicht. Denn wenn ihre Kinder nicht zur Schule gehen, liegt das oft daran, dass sie keine Geburtsurkunde haben. Da müssen wir ansetzen. Ich hätte mir ausserdem gewünscht, dass die Initiative, wenn schon, dann auch das Handeln der NGOs einschliesst. Die Menschen projizieren ihre eigenen Ideen auf die Realität, statt umgekehrt.

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Eine knappe Mehrheit hat die Initiative angenommen. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Die Befürworter haben eine emotionale Kommunikation praktiziert. Ich bedanke mich bei der Deutschschweiz, die nüchtern reagiert hat. In der Westschweiz sind mehr Menschen der Meinung, dass ein multinationales Unternehmen zwangsläufig schlecht ist. Ich habe vor langer Zeit aufgehört, die Nachrichten zu schauen. Sie können die Meinung zu leicht durch Bilder manipulieren. Ich ziehe es vor, mir eine eigene Meinung zu bilden, insbesondere durch das Lesen verschiedener Zeitungen. Das Bild, das man mir selbst von mir als CEO vermittelt hat, entspricht nicht meiner Person. Das traumatischste Erlebnis in diesem Zusammenhang hatte ich, als die Stiftung Ethos eine Kampagne gegen mein Doppelmandat als CEO und Verwaltungsratspräsident führte: Damals rief mich meine Mutter an, um mir zu sagen, dass Leichentücher keine Taschen hätten.

Das hat Sie nicht aus der Bahn geworfen.

Die Medien berichteten damals, dass es mir beim Doppelmandat um eine Verdoppelung meines Gehalts ginge, was völlig falsch war. Dazu zeigte man Bilder eines grossartigen Hauses, das mir gehören sollte, dabei war ich nur Mieter einer Wohnung und niemals der Besitzer. Fake News in den Medien gab es schon vor Trump.

Fakt ist aber, Sie bezogen an der Nestlé-Spitze Millionengehälter und gehörten über Jahre zu den bestbezahlten Managern der Schweiz. Hatten Sie jemals Zweifel, ob Sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen?

Nein. Denn die Entscheidung für das Doppelmandat wurde vom Verwaltungsrat aufgrund der speziellen Situation der Firma getroffen und zeitlich begrenzt – und sie war, wie die nächsten Jahre zeigen sollten, die richtige.

Trotz negativer Erfahrungen haben Sie sich mit der Konzernverantwortungsinitiative nun erneut exponiert – fürchten Sie keine Konfrontation?

Vor seinem Gegner davonzulaufen, ist sinnlos. Ich habe in meiner Karriere zweimal die Konfrontation mit Jean Ziegler in Kauf genommen, der mich sehr heftig angegriffen hatte. Und am WEF in Davos bin ich auch nicht zurückgeschreckt, als ich mich inmitten von Transparenten von Globalisierungsgegnern wiederfand. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man auf die Kritiker hören und Probleme lösen muss, nicht durch Konfrontation, sondern durch Zusammenarbeit.

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Sie sind lange Zeit im Vorstand des Mineralölkonzerns Exxon Mobile gesessen, und Sie vertreten die Meinung, dass wir bis 2030 nicht ohne fossile Brennstoffe auskommen werden. Was macht Sie da so sicher?

Den Klimawandel gibt es, aber er ist nicht neu. Gletscher werden geboren und sterben, aber sind die Aktivitäten des Menschen dafür voll verantwortlich? Der CO2-Ausstoss ist zweifelsohne ein Beschleuniger des Klimawandels und wir müssen erneuerbare Energiequellen finden. Fossile Brennstoffe sind tatsächlich grosse CO2-Emittenten, aber wir dürfen nicht alle Umweltprobleme allein auf dieses Thema reduzieren.

Auf diese Weise verursachen wir andere Schäden, die ebenso schwerwiegend oder vielleicht sogar noch schwerwiegender sind, wie beim Wasser. Um einen Liter Bioethanol herzustellen, braucht es 4600 Liter Wasser, für einen Liter Biodiesel 9100 Liter. Die Lösung ist manchmal schlimmer als das Problem.

Die Elektrifizierung des gesamten Verkehrs ist für mich ein weiterer Irrweg. Ein Elektroauto muss je nach Modell bis zu 160000 Kilometer zurücklegen, um einen kleineren Kohlenstoff-Fussabdruck zu haben als ein brennstoffbetriebenes Auto – wenn denn der Strom ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen stammt. Und in diese Rechnung ist der allfällige Austausch der Batterie noch nicht eingeschlossen. Wir müssen eher darüber nachdenken, wie wir weniger Energie verbrauchen können, zum Beispiel mit einem viel leichteren Auto. Es gibt Pläne für einen Motor, der 1,3 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht, aber der politische Druck gegen fossile Brennstoffe hat ihn in der Schublade verschwinden lassen. 

Reden wir über Ihre Zeit an der Nestle-Spitze. Sie waren für 334’000 Mitarbeiter in 190 Ländern zuständig, wie geht das überhaupt?

Das ist wahrscheinlich einfacher, als ein Unternehmen mit 30 Mitarbeitern zu leiten. Man muss eine Vision des Unternehmens haben, die Mitarbeiter motivieren, ihnen die Instrumente für die Umsetzung und Freiheiten geben. Man muss kommunizieren, immer wieder kommunizieren. Es stimmt, in einem multinationalen Unternehmen wie Nestlé ist jederzeit etwas los, aber es gibt auch eine Verwaltung, die den CEO entlastet.

Sie pflegen zu sagen, Scheitern gehöre zur Karriere. Was ist Ihr grösster Misserfolg?

Bevor man einen Sieg einfährt, muss man einige Misserfolge erleiden. Sie sind Teil der Ausbildung. Das ist ein Prinzip, das ich bei Nestlé angewandt habe: Bevor ich jemanden engagierte oder beförderte, wollte ich mindestens von einer Sache wissen, bei welcher der Kandidat versagt hatte. Und ich wollte wissen, was er daraus gelernt hatte.

Wo haben Sie persönlich versagt – und dazu gelernt?

Vor allem bei der Einführung von Milch in Kartonpackungen im Jahr 1977, die nicht so erfolgreich war, wie ich gehofft hatte. Wir hatten ein Problem mit den Verpackungen, aber die Marge war zu gering, um die Kosten für Forschung und Entwicklung zu rechtfertigen. 1987 war ich davon überzeugt, dass Nestlé mitten auf dem Teller stehen sollte und nicht nur rundherum mit Suppe, Schokolade, Kaffee und Milch. In Venezuela habe ich dann zum ersten Mal eine Pasta-Firma gekauft. Aber ich hatte dem Mehrwert nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Nudeln bestehen hauptsächlich aus Wasser und Weizen. Gegen grosse Produzenten, die das fünffache Volumen einkaufen, hatten wir da keine Chance.

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Jetzt haben Sie viele Ihrer Erlebnisse in eine Autobiographie verpackt. Ist das ein Weg, um nicht loszulassen? 

Ganz ehrlich: Nein. Ich betrachte Nestlé heute nur noch aus der Sicht eines Aktionärs. Aber ich habe viele andere Aktivitäten. Ich habe zum Beispiel ein Buch über Ernährung geschrieben, das auf Deutsch, Spanisch, Italienisch, Englisch und Japanisch veröffentlicht wurde. In meiner jüngst erschienenen Autobiographie erkläre ich, dass ein Bergsteiger nicht gewonnen hat, wenn er den Gipfel erreicht. Ein Sieg ist es, gesund und munter im Tal anzukommen. Im Berufsleben ist es dasselbe.

Ist es schwierig, das Loslassen der Macht?

Es ist nichts, das man improvisieren kann. Ich habe mich zwei Jahre lang auf meine Demission vorbereitet, und ein erstes Buch geschrieben, das mir Vorträge in der ganzen Welt einbrachte. Das war 2016 nach meiner Krebserkrankung. Ich habe in Bereiche investiert, die mich interessierten. Eine langjährige Führungsfunktion aufzugeben, bedeutet, 100 Prozent von dem aufgeben, was man vorher getan hat. Man muss einen objektiven Blick auf das Unternehmen werfen, das man geleitet hat. Der neue CEO ändert Dinge, das muss so sein. Ich bleibe Nestlé gegenüber verpflichtet, aber Sie werden mich nie sehen, wie ich zum Telefon greife, um dazu meine Meinung zu äussern.

Marc Leutenegger

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