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Milchbauern gehen einmal mehr auf Barrikaden

Protestaktion der Milchbauern in Bern gegen die tiefen Milchpreise. Keystone

Milchbauern in der Schweiz und der EU haben am Montag gegen die Lage auf dem Milchmarkt demonstriert. Hierzulande gäbe es genug Instrumente zur Regelung des Milchpreises, sagt Jacques Chavaz vom Bundesamt für Landwirtschaft.

Dutzende von Milchbauern der Bauerngewerkschaft Uniterre füllten am Montag in Bern ein Becken mit Milch und baten die Verantwortlichen der Branchenorganisation Milch, die «Suppe» auszulöffeln.

Auf Transparenten forderten sie einen Preis von einem Franken pro Liter Milch.

Obwohl es die Branchenorganisation Milch (BO Milch) seit über einem Jahr gebe, habe sie es bisher verpasst, die Überproduktion von Milch einzudämmen, heisst es in der Pressemitteilung von Uniterre. Dieser Überschuss habe zu einem «dramatischen Preiszerfall» geführt.

Die europäischen Milchproduzenten stünden am Rande des Abgrundes, hielt die Bäuerliche Interessengruppe Marktkampf (BIG-M) aus der Schweiz zum Aktionstag fest.

BIG-M und Uniterre fordern deshalb von der BO Milch «griffige Massnahmen», mit denen das Milchangebot gesenkt wird. Es brauche ein Regulierungssystem, mit dem Angebot und Nachfrage aneinander angepasst werden.

Seit der Milchmarkt 2008 freigegeben wurde, ist der Milchpreis für die Produzenten deutlich gesunken. Gleichzeitig stieg die Produktionsmenge klar an.

Die staatliche Milchkontingentierung war am 30. April 2009 nach drei Jahren Übergangszeit aufgehoben worden.

Den rund 26’000 Milchbauern in der Schweiz stehen heute vier Industriebetriebe gegenüber, die 80 Prozent der Milchmenge verarbeiten und damit den Markt auf der Käuferseite dominieren.

«Probleme intern regeln»

Die Schweizer Landwirte protestieren mit der Aktion in Bern einmal mehr gegen die aktuelle Lage auf dem Milchmarkt. In ganz Europa gingen Milchbauern gegen tiefe Milchpreise und das Überangebot am Markt auf die Barrikaden.

Wie reagiert der Bund auf die Kritik der Milchproduzenten? «Die Bauern demonstrieren nicht vor dem Bundeshaus, sondern vor der Branchenorganisation Milch. In diesem Sinn ist das Bewusstsein da, dass die Probleme eigentlich prioritär intern zu regeln sind», sagt Jacques Chavaz, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), das dem Wirtschaftsdepartement von Doris Leuthard untersteht, gegenüber swissinfo.ch.

«Nach unserer Lesart verfügt die Branchenorganisation Milch grundsätzlich über die Instrumente, um Einfluss auf die Entwicklung des Milchpreises zu nehmen», so Chavaz.

Auf dem Weltmarkt konkurrieren

Der Druck auf den Milchpreis dürfte indes in Zukunft noch zunehmen, strebt doch die Schweiz im Rahmen der WTO eine Marktliberalisierung an – obwohl die Bauern in der EU die aktuelle Milchpolitik als Fiasko sehen.

Die EU hält aber weiterhin am Ziel der Marktliberalisierung fest, das heisst, die Bauern sind gezwungen, für den Markt möglichst kostengünstig zu produzieren. Für Betriebe, die nicht auf dem Weltmarkt konkurrieren können, bedeutet dies unweigerlich das Aus.

Während die Bauern in Europa eine festgelegte Milchquote fordern, um den Preiszerfall zu verhindern und eine Drosselung der Milchmenge zu erreichen, passiert in der EU in der Praxis das Gegenteil: Die EU hebt die Quote alljährlich an.

Die Überproduktion wird bisher zwar noch gebüsst, doch damit soll im Jahr 2015 Schluss sein, wie in der EU 2003 beschlossen wurde.

«Liberalisierung in Schweiz?»

Macht es angesichts der Erfahrungen in der EU Sinn, die Milchproduktion auch in der Schweiz dem freien Markt zu überlassen?
«Wir haben keine vollständige Liberalisierung in der Schweiz, die Milchproduktion ist nicht vollständig den Marktkräften überlassen», sagt Chavaz.

Es gebe hier nach wie vor staatliche Rahmenbedingungen und eine Unterstützung des Bundes im dreistelligen Millionenbereich. «Sture staatliche Systeme der Kontingentierung sind den heutigen Anforderungen nicht angepasst.»

Die Nachfrage in der Schweiz sei segmentiert: «Auf dem Käse- oder dem Milchmarkt gibt es unterschiedliche Marktentwicklungen. Es ist absolut notwendig für die Bauern und die Industrie, dass man relativ flexibel auf diese Entwicklungen reagieren kann», so Chavaz. Wenn die Preise nicht stimmten, dann würden Schweizer Konsumenten einfach im Ausland einkaufen.

«Das bedeutet natürlich auch, dass wir nicht ohne jegliche Rücksicht auf die Entwicklungen im Ausland im Schweizer Markt operieren können.»

Unterstützung der Familienbetriebe?

Wird die Schweiz also, wie von den vielen kleinen Milchbauern-Betrieben befürchtet, immer wie mehr unter Zugzwang der EU-Marktliberalisierung geraten? «Der Markt in der Schweiz ist nicht abgeschottet, aber dank der eigenständigen Agrarpolitik ist es in der Schweiz nach wie vor möglich, einen besseren Milchpreis in zu erzielen als in den umliegenden Ländern», betont Chavaz.

Befürchtungen, dass durch die Marktliberalisierung wie etwa in Ostdeutschland Milchwirtschaftsbetriebe von grossen Industriekonzernen und Banken übernommen werden könnten, hat er keine. «Die ganze Landwirtschaftspolitik in der Schweiz, inklusive die Milchwirtschaft, ist darauf ausgerichtet, dass die Familienbetriebe unterstützt werden.»

Tatsache ist: Die Zahl der Milchproduzenten nimmt seit einigen Jahren kontinuierlich ab – und die verbleibenden Betriebe werden tendenziell immer grösser.

swissinfo.ch

In Brüssel demonstrierten am Montag rund 500 Bauern aus verschiedenen EU- Ländern vor dem Ratsgebäude, in dem am Montag das Ratstreffen der EU- Landwirtschaftsminister stattfand.

Diese befassten sich mit verschiedenen Vorschlägen einer Expertengruppe, die letztes Jahr wegen der Milchkrise gegründet worden war.

Die Landwirte fordern einen
europaweit einheitlichen Milchpreis von 40 Cent. Insbesondere wenn
2015 die festgelegten Obergrenzen für die Milchproduktion (Quoten)
auslaufen, fürchten die Bauern einen Preisverfall.

Viele Milchbauern klagen über Einkommenseinbussen.

Im vergangenen Jahr haben 860 Bauernbetriebe ihre Tätigkeit eingestellt.

Insgesamt zählte die Schweiz 2009 noch rund 60’000, also 1,4% weniger Bauernbetriebe als im Vorjahr.

Der durchschnittliche Hof in der Schweiz umfasste 2009 rund 17,6 Hektaren, wie aus der landwirtschaftlichen Betriebszählung des Bundesamts für Statistik (BFS) hervorgeht.

Vor 10 Jahren lag der Schnitt noch bei 13,6 Hektaren.

Der Anteil grosser Höfe habe auch 2009 weiter zugenommen, teilte das BFS am Freitag mit.

Ein Drittel aller Betriebe war über 20 Hektaren gross, ein weiteres Drittel umfasste zwischen 10 und 20 Hektaren, das letzte Drittel war kleiner.

Die Bauernbetriebe in der Schweiz nutzten 2009 eine Fläche von insgesamt 1,1 Mio. Hektaren (-0,2 Prozent). Davon entfiel rund ein Zehntel auf Bio-Betriebe.

5782 Betriebe waren im biologischen Landbau tätig, im Vorjahr waren es rund 200 mehr. Seit 2005 ist die Zahl rückläufig.

In der Landwirtschaft ist der Strukturwandel somit in vollem Gang:1985 zählte die Schweiz noch fast 100’000 Bauernbetriebe.

Bauernkreise sprechen deshalb von einem Bauernsterben.

Vor allem die SVP wehrt sich gegen ein Freihandelsabkommen mit der EU, weil sie befürchtet, dass damit noch mehr Höfe verschwinden würden. Widerstand gegen das geplante Abkommen leisten auch die Grünen.

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