Deutscher Bauer: «Ich will nichts anderes machen»
Noch schlechter als den Schweizer Produzenten geht es den Berufskollegen in Deutschland mit dem Milchpreis. 20,75 Cent bekommt Daniel Schachts Betrieb in Baruth bei Berlin noch für einen Liter Milch. Ein Drittel weniger als noch im Februar 2015. Aufgeben kommt dennoch nicht in Frage. Ein Besuch in Brandenburg.
Es ist Ende Mai und der 31 Jahre alte diplomierte Landwirt wartet mit Spannung auf eine E-Mail von seinem Abnehmer, der Molkerei Sachsenmilch in Dresden. Das Schreiben wird ihm mitteilen, wie viel Cent die Molkerei im Juni pro Liter Milch zahlen wird. 20,75 Cent waren es im Mai, drei Cent weniger als im April. Fünf Cent weniger als im März. Gut möglich, dass der Preis weiter sinkt.
Rund 7000 Liter Milch holt der Tanker der Sachsenmilch jeden Tag in Baruth, 50 Kilometer südlich von Berlin ab. Bei drei Cent Abschlag sinken Daniel Schachts Einnahmen um 210 Euro täglich, das sind mehr als 6000 Euro im Monat. Tun dagegen kann er nichts. «Ich habe keinerlei Einfluss auf die Preise», sagt er. Den Abnehmer zu wechseln ist keine Option. Andere Molkereien zahlen derzeit auch nicht mehr. Ein benachbarter Betrieb bekommt nur noch 19 Cent pro Liter. Zudem sind die Milchbetriebe durch langfristige Verträge an einzelne Molkereien gebunden.
Der junge Baruther ist Landwirt mit Leib und Seele, wie sein Vater und sein Grossvater zuvor. Seine Heimat, das Bundesland Brandenburg, umschliesst die Hauptstadt Berlin. Das Gebiet gehörte bis zur Wiedervereinigung zur DDR. Als diese Anfang der 1950er-Jahre die Landwirtschaft verstaatlichte und die bis dato privaten Betriebe in grosse «Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften», sogenannte LPGs, zusammenfasste, brachte auch Schachts Grossvater seinen Hof ein. Nach der Wiedervereinigung und der Auflösung der LPG im Jahr erhielt er 1990 seine Anteile zurück. Sein Enkel Daniel besitzt heute 17 Prozent an dem heute genossenschaftlich geführten Milchbetrieb, der aus der LPG entstand. Er ist zugleich dessen Geschäftsführer.
Als Bauer geboren
Mit der von Städtern erträumten ländlichen Idylle hat der Betrieb wenig gemein. Dieser ist seit den 1950er-Jahren eine Produktionsstätte, kein Bilderbuch-Bauernhof, auf dem die Familie lebt und die Kinder spielen. In einer grossen luftigen Halle aus Beton stehen 320 Milchkühe und stecken die Köpfe tief in das Futter. Der Landwirt weiss, dass er in den Augen mancher als Massentierhalter verschrien ist. Menschen, die nie einen Stall von innen gesehen haben und dennoch zu wissen meinen, dass es Tieren unter diesen Konditionen nicht gut gehen kann. Nein, das hier ist kein Streichelzoo, aber brutale Massentierhaltung sieht sicher anders aus. «Ich vermenschliche meine Tiere nicht, aber es mir wichtig, dass es ihnen hier gut geht», sagt der junge Landwirt in Jeans und T-Shirt.
Keine Frage, Daniel Schachts Herz hängt an «seinem» Betrieb: Einige Kilometer weiter betreibt sein Vater noch seinen eigenen Hof. «Ohne Milchvieh, der ist schlauer», lacht der Sohn. Von der Landwirtschaft kann keine Generation die Finger lassen. «Als Bauer muss man geboren sein», sagt er.
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Milchbauern im Verdrängungskampf
Ein täglicher Kampf
Das alles hat auch mit dem Milchpreis und der derzeitigen Misere der Bauern zu tun. Denn ohne diese Verbundenheit und die Freude an der Arbeit mit den Tieren wäre kaum zu erklären, warum Daniel Schacht und viele andere deutsche Milchbauern nicht schon lange die Melkmaschine an den Nagel gehängt haben. Es ist ein täglicher Kampf.
Kostendeckend arbeitet die Genossenschaft schon seit längerem nicht mehr. Trotzdem geht es irgendwie. Noch gibt es Maschinenhallen aus dem LPG-Bestand, die er als Geschäftsführer zu Geld macht. Schacht stellt Investitionen zurück, verzögert Lohnerhöhungen, nimmt Kredite auf. An defekte Maschinen legt er selbst Hand an. Der Kundendienst kostet zu viel Geld. «Jede Rechnung, die hereinkommt, tut weh.»
Doch da ist immer noch ein Funken Hoffnung, dass der Milchpreis wieder steigen werde. «Vor einem Jahr hat man uns eine Trendwende für dieses Jahr versprochen», sagt er. Stattdessen ging der Preis weiter in den Keller. Auf Biomilch umzusteigen ist keine Option. Die Umstellung würde den Betrieb mindestens eine halbe Millionen Euro kosten.
Sein Unmut richtete sich in erster Linie gegen den Lebensmittel-Einzelhandel, der in Deutschland einen Preiskampf über die Milch in Gang gesetzt hat. Die grossen Ketten drücken die Preise bei den Molkereien und diese geben den Druck an die Milcherzeuger weiter. «Ein hässlicher Markt» sei das. Mit billiger Milch sollen die Kunden in die Filialen gelockt werden. «Dabei geht doch niemand wegen einer zwei Cent billigeren Milch zu Aldi oder Lidl.»
Weniger Milch rentiert sich nicht
Derweil richten sich die öffentlichen Appelle vornehmlich an die Bauern. Sie sollen weniger produzieren. Wenn das Angebot sinkt, könnten die Preise auf dem Markt wieder steigen, stellt man ihnen in Aussicht. Das klingt theoretisch sehr einleuchtend. Doch Milchbauern wie Daniel Schacht hilft das wenig. Vor zwei Jahren hat der Betrieb vier vollautomatische Melkmaschinen für rund eine halbe Millionen Euro angeschafft. Der Stall und die Maschinen sind auf 320 Kühe ausgerichtet. Wenn der Landwirt nun 50 Kühe verkauft, sinken die fixen Kosten kaum, die Kredite müssen weiter bedient werden. Zugleich fehlt ihm jeder Liter, den er weniger an die Molkerei abliefert, in der Bilanz. Und es müssten schon alle Milchbauern an einem Strang ziehen, um die gesamte Milchmenge spürbar zu senken. Wer will da schon der erste sein?
Den Baruther Betrieb zu verkleinern ist für Daniel Schacht daher keine Option. Für ihn wäre dies der Anfang vom Ende. Und das ist für ihn noch lange nicht in Sicht. Er ist eben mit Leib und Seele Landwirt. «Egal wie brutal der Markt gerade ist. Ich möchte nichts anderes machen.»
Milchwirtschaft in Deutschland
Rund 75’000 Milcherzeuger mit 4,3 Millionen Milchkühen gibt es derzeit noch in Deutschland. Vor 15 Jahren waren es noch doppelt so viel. Seit der Abschaffung der Milchquote im April 2015, die feste Abnahmepreise garantierte, fielen die Preise für Milch stetig. Etliche Höfe mussten bereits aufgeben.
Auf einem nationalen Milchgipfel Ende Mai in Berlin stellte Bundesagrarminister Christian Schmidt den Landwirten Hilfen in Höhe von 100 Millionen Euro in Aussicht. Zugleich forderte er sie auf, strukturelle Fragen anzugehen und das Angebot spürbar zu drosseln. Molkereien und Milchbauern sollen bisher verbotene Absprachen über die zu liefernde Milchmenge treffen. Eine Idee: Wer wenig produziert, könnte einen Bonus erhalten, bei steigender Produktion wäre ein Malus fällig. Derzeit übersteigt die Milchproduktion in der EU den Verbrauch um 15 Prozent.
Die sinkenden Preise in Deutschland sind auch Folge eines Preiskampfes der grossen Lebensmittelkette. Lidl, Aldi, Rewe und Edeka kontrollieren rund 85 Prozent des Lebensmittelmarktes. Sobald eine Kette den Milchpreis senkt, ziehen die Konkurrenten nach. Die grossen Molkereien werden gezwungen, günstiger zu liefern und geben diesen Druck an die Milchbetriebe weiter. Mittlerweile kostet ein Liter Milch zuweilen weniger als 50 Cent und damit weniger als Mineralwasser guter Qualität.
Zahlen und Fakten zur Milcherzeugung in DeutschlandExterner Link: Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
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