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Autonomes Fahren: Die Zukunft ist bereits Realität

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In der Freiburger Gemeinde Marly fährt ein selbstfahrender Shuttlebus durch die Strassen eines Industriegebietes. Keystone

Reisen im Stadtverkehr mit einem selbstfahrenden Auto oder Bus: Das ist keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität. In Singapur wird ab 2018 ein unbemannter Taxidienst angeboten. Auch in der Schweiz wird diese Art von Mobilität an einigen Standorten erprobt. In der Gemeinde Marly beispielsweise fährt ein Shuttlebus durch die Strassen eines Industriegebietes.

Eine Tankstelle, eine verkehrsreiche Strasse, ein Restaurant und ein Dorfladen. Das ist das Bild, das man von Marly hat, eine anonyme Gemeinde, etwa zehn Busminuten vom Zentrum Freiburgs entfernt. Nichts deutet darauf hin, dass gerade hier die Zukunft geplant wird. Und doch sieht man etwas Zukunftsträchtiges auf sich zurollen: Es handelt sich um den selbstfahrenden Shuttle-Bus, der seit September 2017 zwischen dem Innovationszentrum der Gemeinde MarlyExterner Link und der Haltestelle Epinettes verkehrt.

Der Elektrobus fährt mit einer Geschwindigkeit von rund 10 Stundenkilometern auf einer 1300 Meter langen Strecke und kann bis zu 11 Passagiere transportieren. Empfangen werden die Passagiere von der Co-Pilotin, die bei Problemen eingreifen kann. «Es mag am Regen, Nebel oder der Feuchtigkeit liegen, aber heute will der Shuttle-Bus offenbar nicht alleine fahren», sagt Catherine Ambrosio.

Und so nimmt Ambrosio nach mehreren Versuchen, den Autopiloten wieder in Betrieb zu nehmen, den Joystick in die Hand, wie bei einer Spielkonsole, und führt den Bus über eine von Bäumen gesäumte Landstrasse und über mehrere Kreuzungen.

Die Software des Fahrzeugs gerät durch Vegetationsänderungen oder den am Strassenrand liegen gebliebenen Schnee in Schwierigkeiten. In der Tat erkennt das Shuttle seine Position nicht mehr, weil die Umgebung, die von seinen sechs Sensoren abgetastet wird, nicht mehr der zuvor kartographierten entspricht und an der es sich für die automatische Führung orientiert.

Dies sind die Kinderkrankheiten eines Pilotprojekts, das von den Freiburgischen Verkehrsbetrieben (TPF)Externer Link in Zusammenarbeit mit dem Innovationszentrum, der Gemeinde Marly und dem Kanton Freiburg lanciert wurde. «Das Ziel unseres Unternehmens ist es, ein System zu entwickeln, das uns ermöglicht, unsere Kunden auch in abgelegenen und schwer zugänglichen Gegenden bis an die Haustür zu bringen», sagt Laura Andres, Verantwortliche bei den TPF für das Projekt.

Die beiden autonomen Shuttles haben bisher durchschnittlich 20 Personen pro Tag transportiert. Seit Anfang Dezember sind sie in die Fahrpläne des öffentlichen Personen-Nahverkehrs integriert. Nach Ansicht der Verantwortlichen ist dies eine Premiere in Europa.

Grad 4: Hohe Automatisierung: Das Fahrzeug ist in der Lage, alle Situationen, die für das gewählte Programm charakteristisch sind (zum Beispiel den Verkehr auf der Autobahn), automatisch zu bewältigen. Vor der Deaktivierung wird dem Fahrer empfohlen, das Steuer zu übernehmen, und wenn er dies nicht tut, versetzt sich das Fahrzeug in eine weniger gefährliche Situation (beispielsweise Anhalten auf der Notfahrspur). 

Grad 5: Vollautomatisierung: Dieser Modus erfordert keinen Fahrer: Das System ist völlig autonom, unabhängig vom Strassentyp, Geschwindigkeit oder Umweltbedingungen.

(Quelle: Bundesamt für Strassen ASTRA)

Pilotloser Taxidienst

Während selbstfahrende Autos in der Schweiz nach wie vor Science-Fiction zu sein scheinen, sind sie anderswo bereits Realität. In einigen wichtigen Städten wird zurzeit das Potenzial der autonomen Mobilität getestet. Ein Experte auf diesem Gebiet ist Emilio Frazzoli, Professor an der ETH Zürich.

Mit seinem Start-up «NuTonomy»Externer Link, das er 2013 gegründet hat, will er dieses Jahr einen selbstfahrenden Taxidienst in Singapur lancieren. «Unsere Autos dürfen in einem Quartier der Stadt fahren. Die Kunden können mit einer App auf dem Smartphone ein Taxi rufen. Auf dem Fahrersitz hat es immer eine Person, die im Bedarfsfall eingreifen kann», sagt der Flugfahrt-Ingenieur.

Der 47-jährige Italiener, der in Rom aufgewachsen ist, lebte lange Zeit in den USA. Im Jahr 2016 verliess er das renommierte Massachusetts Institute of Technology, um sich anfangs 2017 in Zürich niederzulassen.

In einer grossen Halle des InnovationsparksExterner Link auf dem Gelände des Flughafens Dübendorf hat er zusammen mit seinen Studierenden die Möglichkeit, zu experimentieren und neue Technologien zu perfektionieren.

Im dicht besiedelten und verkehrsüberlasteten Singapur will er beweisen, dass es möglich ist, die Nutzung von Autos um 60% zu reduzieren. «Ein unbemanntes Auto, das innerhalb von drei Minuten verfügbar ist und nach meiner Fahrt gleich zum nächsten Kunden fährt, ist der Schlüssel zum Erfolg des Carsharings», sagt der ETH-Professor.

«Es ist ein Dienst mit unzähligen Vorteilen», so Frazzoli weiter. «Er kombiniert den Komfort des Individualverkehrs mit der Nachhaltigkeit des öffentlichen Verkehrs. Statt Personen herumzufahren, können Taxifahrer sich nützlicheren Aktivitäten widmen. Zudem müssen die Leute nicht mehr Zehntausende von Franken für den Kauf eines Autos ausgeben, das dann 95% der Zeit in der Garage steht.»

Die Autos von «NuTunomy» fahren völlig autonom. Ihr Automatisierungsgrad liegt bei 4 oder 5 (siehe Box). «Das Auto erwartet nicht, dass der Fahrer im Notfall eingreift», erklärt der Ingenieur.

Der gordische Knoten

Das eigentliche Problem im Stadtverkehr – der gordische Knoten, wie Frazzoli es ausdrückt – ist die Koexistenz von Roboterautos und vom Menschen gefahrenen Autos.

«In verschiedenen Tests wurden unbemannte Autos von anderen Autos angefahren, weil sich erstere nicht erwartungsgemäss verhielten. Sie bremsen plötzlich ab oder halten an, wenn sie beispielsweise einen Fussgänger am Strassenrand bemerken», sagt der ETH-Professor. «Die grösste Herausforderung für die Entwickler dieser Technologie liegt darin, die Autos so zu bauen, dass sie nicht nur sicher sind, sondern gleichzeitig den Erwartungen des menschlichen Verkehrs entsprechen.»

In der Schweiz hat das Parlament soeben zwei MotionenExterner Link zugestimmt, die von der Fraktion der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen) sowie dem Tessiner Fabio Regazzi der Christlichdemokratischen Volkspartei, (CVP) eingereicht wurden.

Beide fordern Änderungen und Aktualisierungen der Strassenverkehrs-Gesetzgebung. Der Bundesrat wird voraussichtlich 2018 ein Vernehmlassungsverfahren zum Gesetzesentwurf einleiten. Die entsprechende Botschaft wird wahrscheinlich im nächsten Jahr dem Parlament vorgelegt.

Pilotprojekt in der Schweiz

Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) hat in den letzten Jahren eine Reihe von Bewilligungen für Tests mit selbstfahrenden Fahrzeugen erteilt.

Im Mai 2015 testete das Telekommunikationsunternehmen Swisscom in Zürich ein Auto, das allein fährt. Seit Juni 2016 verkehren im historischen Teil von Sitten zwei autonome Busse der PostAuto Schweiz AG. Im September 2016 führte die Schweizerische Post zudem Tests mit Robotern für die Paketzustellung in den Gemeinden Bern, Köniz und Biberist durch. Im September des folgenden Jahres setzte die Post in Zusammenarbeit mit Jelmoli drei Roboter in der Zürcher Innenstadt ein.

Die Schweizerischen Bundesbahnen wollen in Zukunft zwei selbstfahrende Reisebusse in der Stadt Zug einsetzen. Sie werden zwischen Bahnhof und Technologiezentrum  zirkulieren und in das bestehende Verkehrs- und Mobilitätssystem integriert.

In Cossonay, im Kanton Waadt, starten die Verkehrsbetriebe der Region Morges (Transports de la Région Morges Bière Cossonay, MBC) ebenfalls ein Pilotprojekt mit zwei unabhängigen Shuttles.

Auch die Verkehrsbetriebe Schaffhausen beabsichtigen, einen selbstgesteuerten Shuttle-Service anzubieten. Die Shuttles bringen Touristen von der Innenstadt Neuhausens zum Rheinfall.

(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)

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