Müssen 33% der Schweizer Hotels schliessen?
Beim Schweizer Hotelier-Verein wird befürchtet, dass über tausend Hotels die nächsten zehn Jahre nicht überleben könnten. swissinfo.ch wirft einen Blick auf den Zustand der Hotellerie und auf die Herausforderungen, denen sie sich stellen muss.
«Ein Hotel zu betreiben, in dem man schlafen, essen und trinken kann, reicht heute nicht mehr», sagt Guglielmo Brentel, Präsident des Schweizer Hotelier-Vereins (hotelleriesuisse) gegenüber swissinfo.ch.
«Es gibt andere Gründe, warum Menschen reisen. Man muss darüber Bescheid wissen und die Dienstleitungen anbieten, die sie erwarten.»
Brentel, selbst Inhaber eines mittelgrossen Hotels in Graubünden, weist darauf hin, dass in 40% der 5500 Hotels in der Schweiz 80% der Übernachtungen stattfinden. Die anderen 60% teilen sich den restlichen Fünftel.
«Wenn man die Belegung anschaut, kann man sich vorstellen, dass die Hälfte davon, also rund ein Drittel, nicht in der Lage sein wird, in Zukunft mitzuhalten.»
Zu diesem Problem pflegt er eine darwinsche Sicht: «Ob sie verschwinden, liegt nicht an uns. Wir sind keine Sterbehilfe-Organisation! Der Markt wird entscheiden.»
Er gesteht jedoch ein, bei der natürlichen Selektion sei die Situation für die kleineren, familiengeführten Hotels besonders schwierig.
«Das Problem liegt in den strukturellen Defiziten, fehlender Positionierung, schwacher Marketing-Macht und den Kosten. Es gibt immer jemanden, der billiger ist als die Schweiz», sagt er.
«Kleinere Hotels können mit grösseren nicht via Preis konkurrieren. Aber wenn sie sagen, ´ich bin klein, aber ich kenne die Region und mein Produkt – ich kann meinem Gast ein besonderes Erlebnis bieten´, werden sie ihren Markt finden.»
B&B&B?
Pia Nussbaumer besitzt mit ihrem Mann das Zwei-Sterne-Hotel ‹Hobby› in Vitznau, mit Blick auf den Vierwaldstättersee. Ein historisches Schweizer Hotel (siehe Link), das seinen Namen nicht wegen einer amateurmässigen Führung der Besitzer erhalten hat, sondern wegen der Vielzahl der kreativen Kurse, die es im Angebot führt – von Schmuckdesign bis Eisenplastik.
«Als Zwei-Sterne-Hotel muss man eine Nische finden», sagt Nussbauer gegenüber swissinfo.ch. «Unsere Nische: Im Frühling und Herbst bieten wir Kunst- und Kunsthandwerkkurse an, weil wir nicht nur vom Ferien-Tourismus leben können. Unser Angebot ist für Gäste, die, wie ich es nenne, ´kreative Wellness´ suchen.»
Sie fügt hinzu: «Gerade heute kam ein Fünf-Sterne-Hotel, das ein Management-Seminar für ein führendes Pharma-Unternehmen veranstaltet, mit seinen Kunden für zwei Stunden zu uns, für einen Collage-Malkurs.»
So muss man Bed & Breakfast einen weiteren Buchstaben hinzufügen, zum Beispiel «B» für Biken. «Ihr B & B kann hervorragend sein», sagte Brentel, «aber die Leute werden nicht explizit zu Ihnen reisen, nur weil sie ein Bett und Frühstück anbieten. Der Punkt ist, nicht bloss eine Unterkunft, sondern auch ein Erlebnis zu bieten.»
Nussbaumer meint, während Bergregionen zum Beispiel froh über solch einfache Hotels sein könnten, könnte der «Weniger-ist-Mehr»-Ansatz anderswo zu einem «zweischneidigen Schwert» werden.
«Im Juli und August gibt es genügend Leute, die eine günstige Unterkunft suchen. Diese verlangen auch nicht besondere Extras. Aber von diesen zwei Monaten kann man nicht leben, man sollte im Prinzip mit 12 Monaten rechnen.»
Trotz einem Asien-Boom in Schweizer Hotels bleiben als Hauptgästegruppe die Schweizer, die laut Brentel sehr kritisch sind in Bezug auf Qualität und Preisschwankungen.
«Seit Jahren sind sich die Schweizer im Inland stabile Prise gewöhnt, während im Ausland der Preis eines Hotelzimmers sehr stark von Nachfrage und Angebot abhängt. In Deutschland zum Beispiel kann man während einer Messe oder Ausstellung bis zu vier Mal mehr für ein Zimmer zahlen als normal. In der Schweiz wird das nicht akzeptiert.»
Dagegen ist Brentel der Ansicht, nun bestehe der Raum, dass Luxushotel ihre Preise erhöhen könnten, nachdem sie diese in der Finanzkrise senken mussten.
«Im Ausland sagen Hotels, ´der Raum kostet 1000 Euro, nimm es oder lass es´. Wir haben eine andere Mentalität. Ich glaube, wir haben nicht den Mut, unsere Preise zu erhöhen. Wenn Sie die Preise der Fünf-Stern-Zimmer international vergleichen, befinden wir uns im Durchschnitt. Ich denke, wir könnten ein bisschen mehr verlangen – vor allem für Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels.»
Schweizer Qualität
Christopher Cox, Vize-Marketingleiter der Luxus-Hotelgrupope Victoria-Jungfrau Collection, stimmt dem zu.
«Ich denke, der Gegenwert für das Geld ist definitiv höher als in anderen europäischen Märkten. Wenn Sie die Schweiz mit England vergleichen, mit Russland oder Italien, sind die Preise in einem Fünf-Sterne-Hotel hier weit mehr als nur zumutbar. Aber ich würde sie auch nicht als zu günstig bezeichnen.»
Die Victoria-Jungfrau Collection besitzt in der Schweiz vier Fünf-Sterne-Hotels: Das Victoria-Jungfrau in Interlaken, das Bellevue Palace in Bern, das Palace in Luzern und das Eden au Lac in Zürich.
Laut Cox ist der inländische Markt immer noch der grösste. Aber in allen Hotels der Gruppe, speziell in Interlaken und Luzern, habe in diesem Jahr ein Steigerung im Geschäft mit Kunden aus Indien und dem Mittleren Osten stattgefunden.
Aber die grösste Herausforderung sei die Aufrechterhaltung des Business-Meeting-Segments, fügt er hinzu und weist weiter darauf hin, dass viele Unternehmen ihren Angestellten nicht mehr erlaubten, auf Geschäftsreisen in Fünf-Sterne Hotels zu übernachten.
Im Allgemeinen, findet er, befinde sich die Schweizer Luxus-Hotellerie jedoch bei guter Gesundheit.
«Es geht um Qualität, und die Schweizer Qualität ist verglichen mit anderen Ländern, sehr hoch. Und dies wird auch wahrgenommen. Ich denke, die Schweiz hat immer noch den Vorteil, dass die Luxus-Hotel-Industrie in Europa hier begonnen hat.»
Authentischer
Eine der grössten Herausforderungen für Nussbaumer ist die Überwindung des Stigmas, nur zwei Sterne zu haben.
«Wir überlegen uns, zu investieren, um ein Drei-Sterne-Hotel zu werden. Zwei Sterne sind für Schweizer Gäste genug, aber ausländische Gäste oder Reiseveranstalter suchen mindestens drei. Zudem wäre es auch einfacher, Personal einzustellen, wenn man drei Sterne besässe», sagt sie.
«Andererseits haben wir Gäste, die uns mögen, weil wir ein historisches Hotel sind. Die Hilton-Typ-Ketten, die alle gleich sind, langweilen sie. Sie finden es grossartig, in einem Haus mit einer persönlichen Note zu weilen, die zwar ein wenig einfacher ist, dafür viel authentischer.»
Für Nussbaumer spielt dieser kulturelle Aspekt eine grosse Rolle.
«Es ist schon eigenartig: Manche Gäste sagen, wir sollen nichts verändern, und andere sagen: Das ist wie ein Leben vor 100 Jahren, das ist schrecklich!. Ihnen antworte ich: Gut, wenn das der Fall ist, haben wir unser Ziel als historisches Hotel erreicht.»
Thomas Stephens, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)
Schweizer Hotels profitieren nicht vom gegenwärtig starken Franken (1 Euro = 1,33 Fr. Auch britische und amerikanische Besucher spüren die starke Schweizer Währung.
«Generell kommt niemand in die Schweiz, um hier einen günstigen Urlaub zu verbringen. Das ist nicht das Ziel. Wir können nicht günstiger sein, wir können nur besser sein. Wir können kommunizieren, dass es sich immer noch lohnt, in die Schweiz zu kommen, auch wenn es teurer ist», sagt Guglielmo Brentel.
Ende 2009 zahlte der Schweizer rund 1,5 Fr. für 1 Euro. Am 1. Juli dieses Jahres kostet er noch 1,3070 Fr. – ein Tiefststand.
Brentel meint: «Alles unter 1,40 Fr. ist ein Problem für uns. 1,60 wäre ein Fest, 1,50 fantastisch, 1,40 ok, und 1,30 bereitet uns Kopfschmerzen.»
Für Pia Nussbaumer ist das Geschäft weniger gut als im letzten Jahr, «aber das haben wir erwartet».
«Wir sind ein klassisches Urlaubshotel, das sich auf den europäischen Markt eingestellt hat. Wir spüren den Euro-Wechselkurs. Dadurch werden wir 10 bis 12% teurer. Und wir befinden uns in einem Sektor, wo dies einen grossen Unterschied macht.»
Christopher Cox sagt: Ich glaube, der starke Franken ist eine Herausforderung für jedes Hotel. Unsere Gruppe hat einige Veränderungen festgestellt, jedoch keine signifikanten.»
Die am 4. August vom Bundesamt für Statistik veröffentlichen Zahlen scheinen für die von der Finanzkrise besonders betroffenen Schweizer Hotellerie günstig zu sein. Die 17,5 Mio. Übernachtungen zwischen Januar und Juni liegen um 2,1% über dem Niveau der Vorjahresperiode.
Bei Gästen aus der Schweiz betrug der Anstieg 2,9%, bei den europäischen Gästen wurde ein Rückgang von 0,9% verzeichnet.
Dafür wächst die Zahl der asiatischen Gäste: 16% mehr als im ersten Halbjahr 2009. Und im Juni 2010 wurden 32% mehr Gäste aus Asien registriert als im Juni 2009. Die meisten kamen aus China, viele kamen auch aus Japan, Indien und den Golfstaaten.
Das Bundesamt für Statistik führt eine Beherbergungs-Statistik der letzten 75 Jahre. Hier einige der wichtigsten Veränderungen:
Die Zahl der Hotels nahm um 29% ab, von 7756 auf 5533. Die Zahl der Betten stieg dagegen um 35%.
Die Zahl der Übernachtungen vervielfachte sich um das Zweieinhalbfache: von 14,3 Mio. 1934 auf 35,6 Mio. im Jahr 2009.
Die Menschen logieren allerdings weniger lange im Hotel: 2009 durchschnittlich 2,3 Nächte gegenüber 4,2 Nächten im Jahr 1934.
Die Herkunft der Gäste hat sich verändert. 1934 waren es 57% Schweizer und 43% Ausländer. 2009 waren es 43% Schweizer und 57% Ausländer.
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