Öffentlicher Sektor der Schweiz anfällig für Korruption und Lobbying
Im Korruptionswahrnehmungs-Index von Transparency International belegt die Schweiz zum zweiten Mal in Folge den siebten Platz. Doch die Gesamtbewertung der Schweiz ist so tief wie noch nie: Vetterliwirtschaft und undurchsichtiges politisches Lobbying gehören zu den Problemfeldern im öffentlichen Sektor der Schweiz, so der Bericht.
«Im Vergleich zu anderen Ländern steht die Schweiz gut da», sagt Martin Hilti, Direktor von Transparency Schweiz, gegenüber SWI swissinfo.ch. «Sie gehört zu den zehn besten Ländern. Das ist die gute Nachricht. Aber es ist sehr wichtig, dieses Ergebnis in Kontext zu setzen: Wir haben in der Schweiz unsere eigenen Probleme mit Korruption.»
Das Ranking misst und vergleicht das wahrgenommene Ausmass der Korruption im öffentlichen Sektor weltweit. Die internationale Nichtregierungsorganisation stellte fest, dass die Schweiz zu den europäischen Ländern gehört, die auf einer Skala von null (sehr korrupt) bis 100 (sehr sauber) auf historisch niedrige Werte kommen.
In der Ausgabe 2022 erreichte die Schweiz 82 Punkte. Letztes Jahr waren es noch 84. Der Trend zeigt einen allmählichen Rückgang in der Rangliste. Im Jahr 2016 hatte die Schweiz noch 86 Punkte erreicht.
An der Spitze der Rangliste steht Dänemark. Finnland und Neuseeland belegen gemeinsam den zweiten Platz. Die schlechtesten Noten erhielten erneut die von Konflikten heimgesuchten Länder Südsudan, Syrien und Somalia.
Insgesamt erreichten zwei Drittel der 180 untersuchten Länder und Gebiete nicht einmal die 50-Punkte-Marke von maximal 100 Punkten. Je höher die Punktzahl, desto weniger anfällig ist ein Land für Korruption. Die Platzierung beruht auf der Einschätzung von Fachpersonen und Geschäftsleuten.
«Selbst Länder, die auf dem Index ganz oben stehen, stagnieren, weil sie es versäumt haben, Mängel im Rahmen der politischen Integrität zu beheben», warnt Transparency International in seiner Pressemitteilung für Europa. Die Schweiz zeige «Anzeichen für eine Verschlechterung». Denn es gebe Bedenken über schwache Integritäts- und Lobbying-Vorschriften.
«Weitverbreitete Vetterliwirtschaft»
Hilti sieht mehrere Gründe, warum die Schweiz im Kampf gegen die Korruption im öffentlichen Sektor hinterherhinkt. Um den Trend umzukehren, müsse das Land der «weit verbreiteten» Vetterliwirtschaft ein Ende setzen, den Umgang mit Interessenkonflikten verbessern und den Lobbyismus besser regulieren.
«Uns fehlt es an Transparenz – etwa, dass die Öffentlichkeit erfährt, welche Lobbyistin oder welcher Lobbyist wann und bei wem für welche Interessen lobbyiert», sagt er. «Es fehlt eine Regulierung, die sicherstellt, dass bestimmte Interessen einen mehr oder weniger gleichberechtigten Zugang zur Politik haben.»
Das saubere Image der Schweiz wurde durch verschiedene Korruptionsskandale getrübt, die für Schlagzeilen sorgten und die Aufmerksamkeit der Gerichte auf sich zogen.
Dazu gehören die juristischen Auseinandersetzungen des Genfer Politikers Pierre Maudet wegen der Annahme unzulässiger finanzieller Vergünstigungen im Zusammenhang mit einer Abu-Dhabi-Reise 2015 und ein Skandal um IT-Verträge im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Auch die lukrativen Lobbying-Mandate des neu gewählten Bundesrats Albert Rösti sorgten für Aufsehen.
Hitli fordert auch mehr Transparenz bei der Finanzierung des politischen Betriebs auf kantonaler und kommunaler Ebene. Er stellt fest, dass die meisten Kantone und Gemeinden in diesem Bereich noch keine Gesetze erlassen haben.
Da die Schweiz ein kleines Land ist, werden Interessenkonflikte in den Gemeinden manchmal nicht erkannt. Zum Beispiel wenn lokale Politikerinnen und Politiker Skipässe zu einem vergünstigten Tarif erhalten.
Und er macht problematische Aktivitäten von Anwältinnen und Anwälten dafür verantwortlich, dass die Schweiz es versäumt hat, Schlupflöcher zu schliessen und ihre Gesetze zur Bekämpfung der Geldwäsche gründlicher zu überarbeiten. Darunter fällt etwa die Gründung von Briefkasten- und Offshore-Gesellschaften. Die obengenannte Berufsgruppe ist unter Schweizer Abgeordneten gut vertreten.
«Wir haben in der Schweiz harte Arbeit zu leisten», sagt Hilti. «Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen: Ok, alles ist gut.»
Schweizer Banken in Frage gestellt
Bei einer Podiumsdiskussion über Korruption auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) im Januar zeichnete die Schweizer Staatssekretärin Livia Leu ein anderes Bild: Sie zeigte sich stolz auf das beständige Top-Ten-Ranking der Schweiz.
Sie hob die internationalen Bemühungen des Landes zur Korruptionsbekämpfung im In- und Ausland hervor. Darunter nannte sie auch die Umsetzung der Russland-Sanktionen, und sagte, dass die Schweizer Banken in diesem Bereich «übererfüllt» hätten.
«James-Bond-Bösewichte haben keine Bankkonten mehr in der Schweiz, weil wir in den letzten Jahrzehnten ein robustes System zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufgebaut haben», sagte Leu.
«Wir glauben, dass ein gesunder Finanzplatz für die Schweizer Wirtschaft wichtig ist. Und das gilt auch für die finanzielle Integrität. Der Finanzsektor macht rund zehn Prozent unseres Bruttoinland-Produkts aus.»
Transparency International stellte fest, dass Banken, obwohl sie «im Allgemeinen besser reguliert» sind, in fast allen grösseren Geldwäsche-Enthüllungen eine prominente Rolle gespielt haben.
Die Organisation weist etwa auf fragwürdige Praktiken bei der Schweizer Grossbank Credit Suisse hin. Diese wurde in der Untersuchung der «Suisse Secrets» beschuldigt, öffentliche Gelder aus Venezuela herausgeschleust zu haben und dubiose Kunden wie einen Magnaten zu haben, der den Aufstand in Libyen im Jahr 2021 unterstützte.
«Die Schweizer Behörden müssen mehr dafür tun, dass Versäumnisse im Bankensektor sofort erkennt und sanktioniert werden», so der Bericht. «Zudem hindert das Bankgeheimnis Schweizer Journalistinnen und Journalisten weiterhin daran, Fälle von Korruption und Geldwäsche, in die Schweizer Banken verwickelt sind, zu untersuchen und darüber zu berichten.»
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch