«Ohne Lachen könnte man überleben, aber nicht gut leben»
Dimitri, der bekannteste Clown und Pantomime der Schweiz, wird diese Woche 80 Jahre alt. Seit 60 Jahren ist er auf der Bühne präsent – trat unzählige Male im In- und Ausland auf. Noch immer steckt sein breites Lächeln die Zuschauer an. swissinfo.ch traf ihn zu einem Gespräch über Lachen, Altern, Politik und offene Wünsche.
swissinfo.ch: Sie werden 80 Jahre alt, stehen aber immer noch 150 Mal pro Jahr auf der Bühne. Was ist das Rezept, um so fit zu sein?
Dimitri: Ich staune selbst, aber es ist weitgehend eine Glücksfrage. Ich habe das Glück, gesund zu sein und den schönsten Beruf der Welt zu haben. Aber natürlich muss ich mich in Form halten. Jeden Tag trainieren und viel auftreten. Ich trainiere noch täglich etwa drei Stunden.
swissinfo.ch: Sie sind als Clown nicht nur in der Schweiz, sondern auch international bekannt. Was bedeutet Ihnen Erfolg?
Erfolg ist eine Bestätigung, vor allem wenn er nachhaltig ist. Und er macht Freude, das gebe ich zu. Ich liebe den Applaus. Doch ich interpretiere den Erfolg nicht immer persönlich, ich nehme ihn für die ganze Gemeinschaft von Clowns, sozusagen für unsere Gattung. Und das meine ich ehrlich, und nicht, um mit Bescheidenheit zu bluffen.
swissinfo.ch: Ihr Beruf ist es, das Publikum zum Lachen zu bringen. Wie wichtig ist Lachen im Leben?
Ohne Lachen könnte man überleben, aber nicht gut leben. Humor und Liebe sind für mich eine Einheit, auch wenn es teuflischen oder schwarzen Humor gibt. Ich stehe selbst für einen lieben und positiven Humor.
swissinfo.ch: Was bringt Sie selbst zum Lachen?
Ich lache gerne über andere Komiker, egal, ob sie Worte benutzen oder nicht. Bei einem Wortkomiker denke ich etwa an meinen Freund Emil. Aber auch ein kleines Kätzchen, das tollpatschig spielt, kann mich zum Lachen bringen.
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swissinfo.ch: Sie gehören selbst nicht zu den Wortkomikern, sondern sind meistens stumm.
Das stimmt. Ich gehöre eigentlich zur Familie der Pantomimen, bin ein stummer Clown. Das galt ja auch schon für meinem Meister Marcel Marceau. Bei mir spielen aber die Musik und die Instrumente eine wichtige Rolle. Es ist nicht so leicht, den Clown zu erklären.
swissinfo.ch: 2010 verunfallten Sie auf der Bühne und brachen sich zwei Lendenwirbel. Im Publikum lachte man, weil man dachte, das gehört zur Nummer. Offenbar werden Clowns nicht ernst genommen.
Das war wirklich eine tragikomische Situation. Die Leute haben gelacht. Und ich rief «Ein Arzt, ein Arzt!“. Es waren dann tatsächlich drei Ärzte im Publikum. Selbst in dieser Situation setzte ich auf Humor und fragte: «Sind Sie wirklich ein Arzt?“ Schliesslich wurde ich mit der Ambulanz ins Spital gebracht.
swissinfo.ch: Hat dieser Unfall Ihre Einstellung zum Älterwerden verändert?
Ehrlich gesagt habe ich mich schon als junger Mensch viel mit solchen Fragen auseinandergesetzt. Zum Beispiel stellte ich mir vor, blind zu sein. Dann hätte ich nicht mehr malen können. Aber ich hätte weiterhin singen können oder Geschichten erzählen. Aber Achtung: Wenn man einem Mimen das Wort gibt, hört er nicht mehr auf zu sprechen!
swissinfo.ch: Dann kennen Sie auch Angst vor dem Tod nicht?
Leider habe ich diese Angst immer noch. Wobei diese Angst vor allem mit der Vorstellung von Krankheit, Leiden oder Siechtum verbunden ist, nicht mit dem Sterben an sich.
swissinfo.ch: Also keine Angst vor dem Jenseits?
Das nicht. Für mich ist es klar, dass es ein Jenseits gibt. Die Körper werden von Würmern gefressen. Aber ich bin überzeugt, dass wir in geistiger Form weiter existieren.
swissinfo.ch: Sie sind in Ascona als Kind von Deutschschweizern aufgewachsen, singen Tessiner Lieder, verkörpern aber auch die Deutschschweizer Kultur und sprechen beide Mundarten. Fühlen Sie sich als Tessiner oder als Deutschschweizer?
Ich fühle mich überall wohl und als Weltenbürger. Das Ascona meiner Kindheit war sehr international: Deutsche, Holländer, Amerikaner. Ich habe auch lange in einem Wohnwagen gewohnt, als ich mit dem Zirkus Knie unterwegs war. Ich liebe generell das Multikulturelle und daher mag ich die Schweiz so sehr. Auch Ausländer und ihre Kulturen empfinde ich als Bereicherung.
Zur Person
Dimitri wurde am 18. September 1935 als Sohn des Bildhauers und Architekten Werner Jakob Müller und der Handweberin und Kunsthandwerkerin Maja, geborene Tschirren, in Ascona TI geboren. Schon früh fasste er den Entschluss, Clown zu werden. Nach einer Töpferlehre in Zollikofen bei Bern bildete er sich unter anderen bei Marcel Marceau aus.
Ab 1959 trat er in Soloprogrammen auf. Stücke wie Porteur, Teatro und Ritratto wurden zu Klassikern seines Repertoires. Auf Tournee mit dem Zirkus Knie eroberte er die Herzen der Schweizer. Tourneen führten ihn durch Europa, Nord- und Südamerika, China, Japan und Australien.
1961 heiratete er Gunda Salgo. Das Paar hat fünf Kinder, von denen drei ebenfalls zu erfolgreichen Bühnenkünstlern geworden sind: Masha, Nina und David. In der Familienshow, mit der Dimitri auch am Broadway in New York auftrat, ist mittlerweile auch Enkel Samuel mit von der Partie.
Der Vorname Dimitri ist schon lange zum offiziellen Familiennamen geworden. Im Pass steht: Jakob Dimitri. Seit 1964 lebt er im oberen Centovalli TI. Dimitri erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kulturpreis der Stadt Winterthur (1969), den Hans Reinhart-Ring (1976), den SwissAward für Kultur (2009) und den SwissAward für sein Lebenswerk (2013).
swissinfo.ch: Oft leben Künstler in urbanen Räumen. Sie hingegen leben im wilden Centovalli. Ist dies ein guter Ort für künstlerische Inspiration?
Das Urbane kenne ich zur Genüge. Ich bin ja ständig auf Tournee und daher in Städten. Ich liebe aber diese wilde Natur und die Täler hier im Tessin: ich mag auch die Leute hier, die Bergler. Sie haben übrigens einen sehr eigenen Humor. Die Menschen tragen das Herz noch am rechten Fleck.
swissinfo.ch: Apropos Humor. Die Engländer sind für Ihren Humor bekannt. Wie steht es um den Humor der Schweizer?
Die Schweizer sind humorvoller und origineller als man glaubt. Sie haben das Berglerische, eine Mischung aus städtisch und bäuerisch. Das Wort Clown ist Englisch und heisst übersetzt Tollpatsch oder eben Bauer. Der grosse Grock, mein Idol, war ja sehr bäuerisch, volkstümlich, behäbig. Ein typischer Schweizer.
swissinfo.ch: «Clown sein kann man nicht lernen – diese Begabung muss man haben», sagten Sie einmal. Und doch haben Sie in Verscio eine Schule gegründet. Wie passt das zusammen?
Da muss ich gleich klarstellen: Es ist keine Clownschule, sondern eine Fachhochschule für Bewegungstheater. Dort gibt es viele Fächer – von der Pantomime bis zum Maskenspiel. Clownerie ist nur eines dieser Fächer. Ich stehe nach wie vor zu dem Satz, den ich gesagt habe. Beim Clown braucht es einfach die komische Begabung. Dies schliesst eine professionelle Ausbildung nicht aus.
swissinfo.ch: Man kann immer wieder sehen, dass Sie sich engagieren, vor allem in humanitären Fragen. Sind sie ein politischer Mensch?
Ich bin in meiner Kunst nicht politisch. Aber persönlich bin ich einfach von einer Menschlichkeit getragen. Ich leide mit den Menschen mit, etwa mit Flüchtlingen. Wie Antoine de Saint-Exupéry sagte: «Man sieht nur mit dem Herzen gut.» Das ist für mich ein Leitfaden.
swissinfo.ch: Sie sprachen die Flüchtlingsproblematik an, die momentan auch in Europa dramatische Formen angenommen hat. Vergeht Ihnen nicht manchmal das Lachen?
Doch, natürlich. Aber auch da versuche ich, die positiven Seiten zu sehen. Beispielsweise die grosse Hilfsbereitschaft, die sich nun in Deutschland gezeigt hat. Das gibt auch Hoffnung.
swissinfo.ch: Humor und Ironie sind ins Visier von Fundamentalisten geraten, wie der Anschlag auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo“ Anfang Jahr zeigte. Danach waren alle Charlie. Sie auch?
Ich habe in dieser Sache meine ganz persönliche Meinung, gerade weil ich ein Komiker bin. Für mich gilt die heilige Regel, dass man nie beleidigen soll. Das sollte man auch bei Karikaturen so handhaben. Und deswegen machte Charlie Hebdo meines Erachtens einen Fehler. Aber das Attentat war schrecklich und grausam. Ich leide mit den Familien.
swissinfo.ch: Zurück zu Ihrer Person. Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine starke Frau. Ist das auch in Ihrem Falle wahr?
Effektiv habe ich eine sehr starke Frau. Wir sind ein Team, auch wenn ich in der Öffentlichkeit bekannter bin als meine Frau Gunda. Sie ist auch Schauspielerin und Künstlerin. Sie ist die mir am nächsten stehende Person, vor allem aber sagt sie mir die Wahrheit. Das ist sehr wertvoll für mich.
swissinfo.ch: 2016 werden Sie 55 Jahre verheiratet sein.
Woher wissen Sie das? Aber es stimmt. Ich möchte sogar betonen, dass mir das Jahr 2016 noch wichtiger als das Jahr 2015. Denn ich bin ein 9-er Mensch. Ich bin an einem 18. geboren, also 2 x 9. Ich bin im September geboren. Zudem im Jahr 1935, dessen Quersumme wieder zwei Mal neun macht. Der 81.Geburtstag symbolisiert 9 Mal 9. Das ist doch unglaublich.
swissinfo.ch: Der Zirkus Knie schafft die Elefantennummer auf der Tournee ab. Wie finden Sie das?
Ich verstehe die Knies, aber ein wenig wehmütig bin ich schon, zumal ich einst eine Nummer mit einem Elefanten machen konnte. Vielleicht war ich sogar der erste Clown, der so etwas gemacht hat. Zum Glück bleiben uns die Tiere im Zoo erhalten. Elefanten sind ja meine Lieblingstiere.
swissinfo.ch: Ihr grösster Wunsch zum Geburtstag?
Ich habe immer viele Träume und Projekte. Ich bin ein Tagträumer. Es geht dabei stets um Dinge, die realisierbar sind, nicht um Fantasien – wie Fliegen zu können. Seit vielen Jahren schon träumte ich davon, einen komischen Film zu machen. Und dies wird sich nächstes Jahr konkretisieren. Mein Wunsch ist es, dass dies wirklich klappt: Ein Spielfilm von 90 Minuten, eine poetisch-komische und zugleich spannende Geschichte, ohne Worte.
2015 – das Jahr der Jubiläen
2015 feiert Dimitri nicht nur seinen 80. Geburtstag, sondern auch 60 Jahre Bühnenpräsenz. Zudem wird das Theater Dimitri in Verscio (7 km von Locarno) 45 Jahre alt. Die am gleichen Ort beheimatete Theaterschule Scuola Teatro Dimitri besteht seit 40 Jahren – sie ist mittlerweile eine Abteilung der Fachhochschule der italienischen Schweiz (Supsi) und nennt sich neu Accademia Teatro Dimitri.
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