E-Voting setzt sich gegen Angst vor Piraterie durch
Das Hacker-Gespenst kann E-Voting nicht stoppen: Der Nationalrat lehnte zwei Vorstösse ab, welche die Entwicklung der elektronischen Stimmabgabe einschränken wollten. Für die Auslandschweizer-Organisation eine gute Nachricht.
Sicher, schwierig zu manipulieren, modern: Der Bundesrat ist von den Vorzügen der elektronischen Stimmabgabe überzeugt und will sie weiter verbreiten.
Basierend auf dem SchlussberichtExterner Link einer Expertengruppe, welche die elektronische Stimmabgabe für zuverlässig hält, beabsichtigt die Regierung, sie zum «dritten ordentlichen Stimmkanal» zu machen (zusätzlich zur Abstimmung an der Urne und per Brief). Zu diesem Zweck wird im Herbst dieses Jahres ein Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte in die Vernehmlassung geschickt.
Gegenwind weht jedoch durchs Parlament, beeinflusst durch die Facebook-Affäre oder den Verdacht der russischen Einmischung in die Wahl von US-Präsident Donald Trump. Die Gegner der elektronischen Abstimmung griffen mit zwei Vorstössen an, die der Nationalrat (grosse Kammer) am Dienstag behandelte. Politiker von rechts bis links versuchten vergeblich, das Vorhaben der Regierung einzudämmen, indem sie auf die Gefahren des E-Votings hinwiesen.
«Unsere Sicherheit und Souveränität sind zu wichtig, um sie Technikern anzuvertrauen.» Jean-Luc Addor, SVP-Abgeordneter
Moratorium oder Prüfkriterien
Mit 98 zu 80 Stimmen bei 16 Enthaltungen lehnte der Nationalrat eine Forderung von Franz Grüter (SVP/LU) ab, Versuche zur elektronischen Stimmabgabe während mindestens vier Jahren auszusetzen. Auslandschweizer und -schweizerinnen wären von diesem Moratorium zwar theoretisch ausgeschlossen gewesen. Nach Angaben der Auslandschweizer-Organisation (ASO) hätte dies jedoch das Ende der elektronischen Stimmabgabe bedeutet, da kein Kanton für seine im Ausland lebenden Wähler so bedeutende Investitionen getätigt hätte.
Links wurde die Offensive gegen die elektronische Stimmabgabe von Balthasar Glättli (Grüne/ZH) angeführt. Sein TextExterner Link zielte darauf ab, sicherzustellen, dass alle wesentlichen Schritte zur Durchführung von Online-Abstimmungen und -Wahlen «ohne besondere technische Kenntnisse» öffentlich überprüfbar sind. Sein Vorstoss wurde ebenfalls abgelehnt, mit 99 zu 80 Stimmen bei 15 Enthaltungen.
Die Gegner des E-Votings wiesen während der Debatte insbesondere darauf hin, dass sich bereits andere Länder wie Frankreich und Deutschland, aber auch Norwegen und Finnland gegen die Einführung der elektronischen Stimmabgabe ausgesprochen haben. Der SVP-Abgeordnete Jean-Luc Addor unterstrich die Gefahr der Piraterie und erinnerte an die Cyber-Angriffe gegen den Schweizer Luftfahrt- und Verteidigungskonzern Ruag vom Januar 2016. Klar sei die elektronische Stimmabgabe modern, sagte er. Es handle sich hier aber nicht einfach um eine Sache der Computerfreaks sondern es gehe um den Kern des demokratischen Systems der Schweiz. «Unsere Sicherheit und Souveränität sind zu wichtig, um sie Technikern anzuvertrauen», argumentierte er.
«Wir sind jedoch keine Computerspezialisten. Wir vertrauen der Bundeskanzlei, dass sie die Zuverlässigkeit des Systems gewährleistet.» Ariane Rustichelli, ASO-Direktorin
Der Kampf geht online weiter
Beide Vorschläge waren von der vorbereitenden Kommission des Nationalrats abgelehnt worden und hatten wenig Chancen, im Parlament durchzukommen. Allerdings haben die Gegner der elektronischen Stimmabgabe noch nicht ihr letztes Wort gesprochen. Grüter hatte bereits vor der Debatte angekündigt, er werde eine Volksinitiative für ein E-Voting-Verbot lancieren, falls das Parlament seinen Text ablehnt. Er startete kürzlich eine Online-KonsultationExterner Link, um einen entsprechenden Text vorzubereiten.
Die ASO wertet den Entscheid der Abgeordneten vom Dienstag als positives Signal fürs E-Voting. «Auch für uns sind Sicherheitsfragen grundlegend. Wir sind jedoch keine Computerspezialisten. Wir vertrauen der Bundeskanzlei, dass sie die Zuverlässigkeit des Systems gewährleistet», sagt ASO-Direktorin Ariane Rustichelli. Sie erinnert daran, dass viele Vertreter der Fünften Schweiz ihr Stimmrecht weiterhin nicht ausüben können, weil sie die Unterlagen nicht rechtzeitig erhalten. Sollte es zu einer Abstimmung über ein Verbot der elektronischen Stimmabgabe kommen, fürchtet Rustichelli, dass das Vorhaben nach einer emotionalen Debatte begraben würde.
Noch ist der Kampf für die Anhänger der Online-Abstimmung also nicht gewonnen. Sie werden weiter aufrüsten. Die ASO lancierte im vergangenen August eine Internet-Petition, in der sie fordert, dass die elektronische Stimmabgabe bis 2021 allen Auslandschweizern zugänglich gemacht werden soll. Ziel: Bis zum 28. November mindestens 10’000 Unterschriften sammeln. «Wir haben bereits mehr als 6000 gesammelt», freut sich Ariane Rustichelli.
Neun Kantone im Zeitalter der Online-Abstimmung
Anlässlich der Abstimmungen vom 23. September werden neun Kantone ein elektronisches System anbieten. Fünf (Freiburg, Basel-Stadt, St. Gallen, Neuenburg und Genf) stellen es sowohl den in ihrem Kanton ansässigen Wählern als auch den Schweizer Wählern im Ausland zur Verfügung. Vier (Bern, Luzern, Aargau und Thurgau) werden diese Möglichkeit nur den Auslandschweizern bieten.
Im Einsatz sind zwei zertifizierte Systeme. Das eine wurde von einem spanischen Unternehmen im Auftrag der Schweizerischen PostExterner Link und das andere vom Kanton GenfExterner Link entwickelt. Beide konkurrieren um zusätzliche Aufträge von Kantonen, die sich noch nicht entschieden haben.
E-Voting ist sehr beliebt. Im Jahr 2016 ergab eine vom Centre for the Study of Democracy veröffentlichte UmfrageExterner Link, dass mehr als zwei von drei Befragten die elektronische Stimmabgabe für alle Bürger und Bürgerinnen zugänglich machen möchten.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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