Qualitäts-Information hat ihren Preis
Die Schweizer Medienlandschaft steckt im Umbruch. Vor dem Hintergrund von Stellenabbau bei regionalen und lokalen Zeitungen kommt ein hochkarätiges Forscherteam zum Schluss, dass seriöser Journalismus und Berichterstattung in seichte Gewässer abdriften.
Das Urteil der Autoren des Jahrbuchs 2012 zur Qualität der Schweizer Medien ist wenig schmeichelhaft.
Das Team vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich vertritt die Ansicht, die Berichterstattung sei in den letzten zehn Jahren oberflächlicher geworden.
Heute werde weniger Hintergrund publiziert, welcher der Öffentlichkeit helfe, die Bedeutung eines politischen Entscheids oder eines sozialen Themas einzuordnen.
Die Forscher definieren Medienqualität mit Eckwerten wie Vielfalt und Sachlichkeit, Relevanz, Nachrichtenwert, inklusive einordnendem Kontext, Transparenz sowie der Einhaltung professioneller Standards bei der Beschaffung von Informationen.
Der Soziologieprofessor Kurt Imhof, Haupt-Autor des Jahrbuchs, warnt vor den Konsequenzen für die Demokratie, wenn das Gewicht der qualitativ weniger guten (die Autoren verwenden den Ausdruck «qualitätsniedrig») Mainstream-Medien gegenüber qualitativ besseren Medien einer Elite weiter zunimmt.
«Gratiszeitungen und kostenlose Online-Medien-Plattformen nutzen oft eine episodische, personalisierte redaktionelle Berichterstattung mit moralisierenden Untertönen», erklärt Imhof gegenüber swissinfo.ch.
Der populistische Trend bei den Medien sei einhergegangen mit den stärker gewordenen populistischen Rechtspartien in verschiedenen europäischen Ländern, sagt Imhof.
Gewinnmaximierung und Privatisierung
Der Trend ist nach Ansicht der Forschungsgruppe um Imhof aber auch ein Resultat der rein ertragsorientierten Geschäftspolitik der wichtigsten Schweizer Verlage sowie der Öffnung des damals nur öffentlich-rechtlich betriebenen Rundfunksektors für private Radio- und Fernsehstationen in den 1980er-Jahren.
Mark Eisenegger, Co-Autor des Jahrbuchs, appelliert an die Verleger, ihre soziale Verantwortung ernst zu nehmen und ihre «dogmatische Einstellung aufzugeben, dass es keinen Markt für ambitiösere Formen des Journalismus gibt, der komplexe Themen vertieft aufarbeitet».
«Solange wir die Demokratie als Grundstein unserer Gesellschaft betrachten, muss auch der Charakter der Medien als Dienst für das Gemeinwohl der Öffentlichkeit ernstgenommen werden», ergänzt Imhof.
Leserschaft im ganzen Land
Der führende Verlag Tamedia, zu dem rund 40 Zeitungen gehören, darunter 13 Tageszeitungen, sowie 20 Online-Plattformen, weist die Qualitätseinschätzung von Imhof zurück.
Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer erklärt, die Auswahl der Forscher berücksichtige die wachsende Zahl von Medien nicht ausreichend, die den Konsumenten heute zur Verfügung stünden.
«Qualität muss auch den Charakter eines Medienprodukts in Betracht ziehen», erklärt Zimmer zur Verteidigung der populären Gratiszeitung 20 Minuten und der dazugehörenden Online-Plattform aus dem Tamedia-Konzern.
Er glaubt, dass es auch Raum gibt für Medienprodukte, die Leserinnen und Lesern nicht unbedingt viel vertiefte Information bieten.
Zimmer unterstreicht, 20 Minuten sei zudem die erste landesweite Nachrichten-Publikation in den drei Schweizer Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch. Und sie erreiche rund zwei Millionen Leser und etwa 500’000 weitere über ihre Online-Plattformen.
Der Soziologe Imhof spielt jedoch den wirtschaftlichen Erfolg herunter. «Umfragen haben ergeben, dass sich die junge Generation von heute nicht stärker für die Politik interessiert – trotz kostenlosem Zugang zu gewissen Medien.» Im besten Fall könne dies dazu beitragen, dass sie nicht zu Analphabeten würden, scherzt er.
Sinkende Werbeeinnahmen
Die Debatte um die Qualität der Medien ging in den letzten Wochen einher mit der Ankündigung von Stellenabbau bei regionalen und lokalen Zeitungen.
Der traditionelle Printsektor leidet seit einiger Zeit unter einem Einbruch der Werbeeinahmen, was zum Teil zurückgeht auf Online-Plattformen und Fernsehen, die sich ihren Teil vom Kuchen abschneiden.
Die Werbeeinnahmen der traditionellen Medien hätten in den letzten zehn Jahren einen Einbruch um einen Drittel auf heute noch rund 2 Mio. Franken erlitten, berichtete die Zeitung Le Matin Dimanche vor ein paar Wochen.
Und die privaten Verlage liegen im Konflikt mit der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) – der Muttergesellschaft von swissinfo.ch – über den Einsatz von Werbung auf den Internet-Seiten der öffentlich-rechtlichen Anstalt.
Im September beschloss die Regierung (Bundesrat), dass die SRG SSR auf ihren Online-Seiten vorerst keine Werbung aufschalten darf. Das Thema ist wohl aber kaum vom Tisch, mit weiteren Kontroversen ist zu rechnen.
Kürzungen und Qualität
Bei der Präsentation des Jahrbuchs über die Qualität der Medien betonte Co-Autor Eisenegger im Oktober den wachsenden finanziellen Druck auf den Journalismus.
Seine warnenden Worte wurden seither unterstrichen durch neue Ankündigungen von Stellenabbau bei verschiedenen Zeitungen, darunter die renommierte Tageszeitung Le Temps in Genf. Imhof hat wenig Zweifel, dass die Qualität eines Medienprodukts zwangsläufig leiden wird; weniger Leute könnten nicht die gleiche Leistung erbringen.
Weitere Gründe für den Qualitätsrückgang sieht Imhof im Trend, dass Geschäftsleitungen heute lieber Allrounder anstellen als spezialisierte Journalisten, sowie im Zusammenlegen von Print und Online in gemeinsamen Redaktionen.
Imhof fordert daher neue Finanzierungs-Modelle für Medienunternehmen, zum Beispiel mit nicht profitorientierten Stiftungen oder der Einführung einer Werbesteuer.
Tamedia-Sprecher Zimmer räumt ein, dass es zwischen Ressourcen und Qualität einen Zusammenhang gibt. «Mehr Ressourcen bedeuten aber nicht automatisch bessere Qualität», fügt er hinzu.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) ist das grösste Medienunternehmen des Landes.
Die SRG wird durch öffentliche Gebühren finanziert und betreibt Fernseh- und Radioprogramme sowie Online-Seiten in allen vier offiziellen Landessprachen. swissinfo.ch ist eine Unternehmens-Einheit der SRG SSR.
Tamedia und Ringier sind zwei der führenden privaten Verlage. Tamedia konzentriert sich auf Print- und Online-Medien in der Schweiz, während Ringier auch im Radio- und Fernsehsektor engagiert sowie im Ausland aktiv ist.
Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Vielfalt des Landes sind die meisten Zeitungen lokale oder regionale Tageszeitungen, weshalb die Schweiz in Europa für lange Zeit eine Ausnahmestellung mit einem hoch entwickelten Mediensektor hatte.
Die Neue Zürcher Zeitung NZZ (Verkaufszahlen Mitte 2012: 129’627) und Le Temps (41’531) gelten als die renommiertesten Tageszeitungen der jeweiligen Sprachregion.
Die erste Boulevard-Zeitung der Schweiz, der Blick, wurde 1959 vor allem für die Deutschschweiz lanciert. Zehn Jahre später brachte der Ringier-Verlag auch eine Sonntagszeitung auf den Markt.
Die Gratiszeitungen 20 Minuten/20Minutes/20 Minuti des Tamedia-Verlags in den drei grossen Sprachregionen haben kombiniert die höchste Auflage in der Schweiz.
Blick verkaufte nach jüngsten Angaben noch 191’064 Exemplare, während die Ausgaben von 20 Minuten auf eine Auflage von insgesamt 732’148 kamen. Für detaillierte Angaben zu den Auflagen der Schweizer Zeitungen siehe Link der WEMF (AG für Medienwerbeforschung).
Die Untersuchung zur Qualität der Medien, die dritte ihrer Art, wird vom Forschungsbereich für Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich durchgeführt. Leiter des Forschungsbereichs ist der Soziologe Kurt Imhof.
Für das Jahrbuch werden 46 Titel (mit einer gewissen minimalen Reichweite) aus den Sektoren Presse, Radio, Fernsehen und Online und den drei grossen Sprachregionen der Schweiz untersucht.
Neben der Bewertung von Nachrichtenprogrammen und Themen, mit denen sich die Medien befassten, legte die Forschungsgruppe 2012 einen Fokus auf spezifische Themen, darunter die Berichterstattung über die eidgenössischen Wahlen, Medienkritik, Berichterstattung über Kriminalität sowie Online-Nachrichten.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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