Mehr Gleichstellung im Gesetz: «Kleiner Schritt, der nicht ausreicht»
Wird das am Mittwoch in Kraft getretene, revidierte Gleichstellungsgesetz die Lohndiskriminierung von Frauen beseitigen? Die grossen Unternehmen im Land haben nun ein Jahr Zeit, um zu überprüfen, ob sie ihre Mitarbeitenden unterschiedlich nach Geschlecht entlöhnen. Das reicht nicht, sagt eine Expertin für Arbeitsrecht.
39 Jahre nach der Verankerung des Prinzips der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Verfassung und 24 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zu dessen Umsetzung bestehen die Ungleichheiten weiter. Laut dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und MannExterner Link verdient eine Frau in der Schweiz im Schnitt 1455 Franken weniger als ein Mann.
Rund 56% dieses Unterschieds lassen sich mit objektiven Faktoren erklären wie berufliche Position, Dienstalter oder Bildungsniveau. Doch 44% lassen sich nicht erklären und sind eine potenzielle Lohndiskriminierung.
Seit dem 1. Juli ermöglicht ein neues rechtliches Instrument, Diskriminierungen zu verfolgen. Unternehmen mit mindestens hundert Angestellten werden verpflichtet, bis Juni 2021 ihre Löhne unter die Lupe zu nehmen, um sicherzustellen, dass die Beschäftigten nicht unterschiedlich entlöhnt werden.
Das revidierte Gesetz könne nur Transparenz ermöglichen, wenn sich auch die Einstellungen änderten, meint Christine Sattiva Spring, eine auf Arbeitsrecht spezialisierte Juristin und Dozentin an der Universität Lausanne.
swissinfo.ch: Kann die Revision des GleichstellungsgesetzesExterner Link (GlG) die Lohnungleichheiten zwischen Frauen und Männern beseitigen?
Christine Sattiva Spring: Vermutlich nicht. Die Revision des GIG hat jedoch zwei interessante Auswirkungen. Erstens führt sie eine gewisse Transparenz ein. Die Angestellten können sich über die in ihrem Unternehmen geltenden Gehälter informieren. Das ermöglicht es auch dem Arbeitgeber, sich der Lohnunterschiede zwischen seinen Mitarbeitenden gewahr zu werden, die ihm oft nicht bewusst sind. Gewisse Personen wurden während schwierigen Zeiten angestellt, einige konnten besser verhandeln als andere.
Zweitens gibt es auch wesentliche generelle Lohnunterschiede, die aber noch gravierender sind zwischen Frauen und Männern.
Werden die Unternehmen angesichts fehlender Sanktionen im Gesetz überhaupt bereit sein, sich der Aufgabe zu stellen und Lohnungleichheiten auszuräumen?
Die Unternehmen sind mit Sicherheit keinen Sanktionen ausgesetzt. Weil Arbeitnehmende und Aktionäre aber über die Ergebnisse der Lohnanalyse informiert werden müssen, werden einige Leute feststellen, dass der Durchschnittslohn in ihrem Beruf viel höher ist als ihr eigener. Die Gewerkschaften könnten ihnen dann bei der Neuverhandlung von Lohnanpassungen helfen.
Hätte man Sanktionen vorsehen sollen?
Sanktionen sind immer ein kleiner Anreiz, aber sie müssen dann auch durchgesetzt werden. Einige Länder haben solche, aber setzen sie nicht wirklich durch. Ich bin nicht überzeugt, dass die Lösung unbedingt Zwangsmassnahmen beinhalten müsste.
Wahrscheinlich wäre die Schaffung eines Gremiums, das die Klagenden begleiten könnte und eine gewisse Sichtbarkeit hätte, nützlicher. Namentlich in Deutschland gibt es eine solche Institution.
Bis jetzt haben sich wenige Frauen auf das GIG berufen, um eine Diskriminierung anzuprangern. Warum?
Das GIG ist nur wenig bekannt. Auch die Gerichte nehmen selten darauf Bezug. Oft wissen sie nicht, wie das Gesetz genau funktioniert, besonders der Mechanismus zur Erleichterung der Beweislast.
Es reicht dabei aus, wenn die Klägerin die Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung nachweisen kann. Es liegt dann am Arbeitgeber, den formellen Nachweis zu erbringen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Wenn dieser Abschnitt tatsächlich angewandt würde, wäre die Lage sicher ganz anders.
Mehr
Ein Jahr nach dem Streik haben die Frauen gepunktet
Was empfehlen Sie als Anwältin einer Frau, die sich als Opfer von Lohndiskriminierung fühlt?
Bevor wir einen Prozess anstrengen, müssen wir sicher sein, dass wir solide Beweise haben. Wir wollen die Beschwerdeführerin, die gegen ihren Arbeitgeber vorgeht, nicht umsonst blossstellen. Oft kommen Leute erst zu uns, nachdem sie bereits entlassen wurden. Eine Person, die ihren Arbeitgeber in Gleichstellungsfragen anschuldigt, läuft jedoch Gefahr, stigmatisiert zu werden und Schwierigkeiten zu haben, einen anderen Arbeitsplatz zu finden.
Darüber hinaus ist das Verfahren im Arbeitsrecht schwierig, weil ein Arbeitgeber immer etwas findet, das er einer oder einem Arbeitnehmenden vorwerfen kann. Es gibt weder perfekte Mitarbeitende noch perfekte Chefs.
Manche Menschen können an einem Gerichtsverfahren gegen ihren Arbeitgeber psychisch zerbrechen. Bevor ich also ein Verfahren beginne, muss ich sicherstellen, dass die Person sich widersetzen kann und stark und kämpferisch genug ist, um vor Gericht zu gehen.
Warum ist dieses Gesetz auch 24 Jahre nach Inkrafttreten noch so wenig bekannt?
Wir befinden uns in einem Land, in dem die Freiheit des Arbeitgebers wichtig ist. Wir haben auch eine lange Tradition der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt. Zudem versuchte der Gesetzgeber oft, Frauen zu schützen, etwa mit dem Nachtarbeits-Verbot.
Und Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb sogar ein Gesetz vor, dass Frauen am Samstagnachmittag frei haben sollten, um den Haushalt und Besorgungen zu erledigen. Wir ziehen solche Traditionen lange weiter. Die Einstellungen müssen sich ändern, und das dauert am längsten.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch