Rohingya-Camps: «Ohne Friedensgespräche wird sich nichts bewegen»
Weil es zu Spannungen und Neid zwischen den Rohingya und der einheimischen Bevölkerung in Bangladesch kam, richtet die schweizerische Entwicklungsorganisation Helvetas ihre Programme auf beide Bevölkerungsgruppen aus. Wir haben mit einem Mann vor Ort gesprochen.
Rund eine Million Rohingya lebt in Kutupalong, im weltweit grössten Flüchtlingscamp in Bangladesch. Die Rohingya sind 2017 aus dem Nachbarland Myanmar geflüchtet, wo sie als muslimische Minderheit diskriminiert und verfolgt wurden.
SWI swissinfo.ch hat mit Kamlesh Vyas gesprochen, der für Helvetas in Bangladesch vor Ort ist. Gemäss Protokoll muss das internationale Personal abends das Camp verlassen. Wir erreichen ihn deshalb nach Feierabend telefonisch in der nahe gelegenen Küstenstadt Cox’s Bazar.
swissinfo.ch: Kutupalong ist so gross wie eine Stadt. Wie funktioniert das im Alltag?
Kamlesh Vyas: Im Lager leben eine Million Menschen. Sie haben nichts zu tun, denn sie können sich nur beschränkt bewegen, dürfen keine Einkünfte erzielen und keiner festen Arbeit nachgehen. Sie dürfen nur einige Arbeiten innerhalb des Camps ausführen. Zum Beispiel die Unterkünfte und Infrastrukturen instandhalten, Strassen und Wege befestigen oder Bäume pflanzen, um das hügelige Gebiet vor Bodenerosion und Überschwemmungen zu schützen.
Helvetas führt Gartenbauprojekte und «Cash for Work»-Aktivitäten im Rahmen von Massnahmen zur Katastrophenvorsorge durch.
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Verbreitet sich Covid-19 unter diesen Bedingungen nicht rasant, wie ist die Situation aktuell?
Das Virus hat auch das Camp erreicht. Wegen der Pandemie durften wir das Camp zeitweise nicht betreten. Aber wir schulten einige Rohingya im Camp, damit sie gewisse Initiativen weiterführten, während die NGO-Teams nicht ins Camp durften. So war es bis Dezember 2020. Danach durften wir die Aktivitäten wieder aufnehmen. Wir bauten Isolations-Zelte auf.
Als die einheimische Bevölkerung in Bangladesch erste Impfdosen bekam, setzten wir uns dafür ein, dass die Rohingya mit ihnen geimpft werden. Seit zwei Monaten werden die ersten Rohingya geimpft, wobei die über 55-Jährigen priorisiert werden.
Auch unter den Rohingya gibt es Extremisten, so die Rebellengruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA). Wie gefährlich sind die militanten Rohingya in den Lagern?
Die Regierung in Bangladesch hat Bildungs- und Präventionsprogramme lanciert. Aber es leben über eine Million Menschen im Camp. Und wegen der Pandemie mussten die Programme ausgesetzt werden.
Jetzt setzt langsam wieder Normalität ein. Die Rohingya sind nicht glücklich, sie hätten gerne Bewegungsfreiheit, Bildung und Verdienstmöglichkeiten. Sie dürfen noch immer nichts verdienen, das sind natürlich keine guten Voraussetzungen.
Richtet Bangladesch sich auf eine langfristige Niederlassung der Rohingya aus?
Niemand hat eine klare Vorstellung davon, was passieren wird. Nicht nur die Regierung Bangladeschs, sondern auch die anderen Länder. Es gab internationale Gespräche, die aber durch die Pandemie gestoppt wurden.
Niemand weiss, wie sich die Dinge in Myanmar entwickeln werden. Die bangladeschische Regierung versucht, mit dem Militär und der Regierung in Myanmar zu sprechen, auch um die Frage der Rückkehr zu klären. Aber noch ist alles unklar.
Der Welternährungstag soll darauf aufmerksam machen, dass noch immer Millionen Menschen Hunger leiden. Am 16. Oktober 1945 gründete die Uno die Welternährungsorganisation FAO, um die weltweite Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
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Wie reagiert die Bevölkerung in Bangladesch auf die Flüchtlinge?
Die Bevölkerung empfing die Rohingya mit offenen Armen. Sie gab ihnen Essen und Holz. Die Einheimischen gingen davon aus, dass die Rohingya vorübergehend Schutz bräuchten und später wieder zurückgingen.
Doch die Rohingya gingen nicht zurück. Deshalb gibt es inzwischen einige Menschen – nicht alle natürlich, nur einige –, die der Meinung sind, die Rohingya nähmen ihnen etwas weg. Zum Beispiel, weil die Rohingya Wälder abgeholzt haben oder Land belegen. Das ist aber eher ein Problem der Überbevölkerung. Dazu kommt, dass die internationalen NGOs den Rohingya helfen, das führt ebenfalls zu Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen.
Ist das mit ein Grund, warum Helvetas inzwischen auch die lokale Bevölkerung in das Gartenbau-Projekt miteinbezieht?
Ja. Wir wollen Harmonie zwischen den beiden Gruppen herstellen. Die bangladeschische Regierung versucht das auch, aber Helvetas hat schon 2019 damit begonnen, die Hilfe sowohl den Rohingya als auch der lokalen Bevölkerung zukommen zu lassen und die Programme auf beide Communities auszurichten. Damit wollen wir sozialen Frieden zwischen den Gruppen herstellen.
Was denken Sie persönlich: Wie geht es nun weiter in Myanmar? Haben Minderheiten wie die Rohingya dort eine Zukunft?
Ich persönlich finde – und das ist jetzt wirklich meine private Meinung –, dass Länder wie Indien, Nepal, Katar, die USA, Australien oder auch die Schweiz als Friedensstifter zwischen Myanmar und Bangladesch vermitteln sollten. Ohne internationale Friedensgespräche wird sich nichts bewegen.
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