Rohstoffbranche begrüsst Samthandschuhe
Die Schweizer Rohstoffbranche, die unter einem immer schlechteren Image leidet, hat kürzlich etwas aufschnaufen können: Der Bundesrat hat sich gegen schärfere Transparenzregeln ausgesprochen. Doch unter internationalem Druck auf Bankgeheimnis und Steuerpraktiken könnten die Vorteile in der Schweiz bald ein Ende haben.
Rohstoffhändler haben den Bericht des Bundesrats über die Rohstofffirmen, der letzten Monat veröffentlicht worden ist, mit Lob überschüttet. «Der Bericht sei «gut überlegt», «angemessen» und «ausgewogen», hiess es.
Besonders erfreut hatten die Händler lesen können, dass sich die Schweiz nicht an die harten Transparenzgesetze der USA und der Europäischen Union (EU) für Rohstoffunternehmen anlehnen will. Diese verpflichten Unternehmen, Zahlungen an ausländische Regierungen offenzulegen. Vielmehr setzt die Schweiz auf freiwillige, internationale Standards.
Der ansteigende Einfluss der Industrie war einer der Gründe, warum der Bericht der Regierung derart gespannt erwartet worden war. Der Sektor ist astronomisch gewachsen (Die Top-20-Händler haben ihre Umsätze laut einer Schätzung der Financial Times von 2,1 Mrd. Fr. im Jahr 2001 auf 33,5 Mrd. Fr. 2008 vervielfacht). Dies hat sowohl viel Geld wie auch reisserische Geschichten über Ausbeutung, Korruption und Umweltschäden angezogen.
Doch für Martin Fasser, Vorsitzender der «Zug Commodity Association», ist der Schweizer Entscheid weder gut noch schlecht. Bereits heute seien internationale Händler verpflichtet, den Behörden ihre Bücher offenzulegen, wie dies der «Dodd-Frank Act», ein US-Bundesgesetz, und die EU in ihren angekündigten Transparenzregeln forderten.
«Neue Transparenzbedingungen werden im grösseren Rahmen nicht generell als Spielverderber angesehen. Die Finanzinformationen sind bereits verfügbar, also wäre es kein grosses Ding, Zahlungen in den Erläuterungen des Geschäftsberichts offenzulegen», sagt Fasser.
«Ich habe weder von einer Firma gehört, die wegen dem Dodd-Frank-Gesetz oder der EU-Regelung in die Schweiz ziehen möchte, noch von einer, welche die Schweiz verlassen möchte, würden diese strengeren Transparenzregeln eingeführt», ergänzt er.
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Verschwörungstheorien
Für Emmanuel Fragnieres aber, der an der Genfer Verwaltungshochschule HEG einen Studiengang für Rohstoffhandel durchführt, ist die Geheimhaltung der Finanzen das Lebensblut der Industrie, das die komplexen Transaktionen beim Verschieben von Rohmaterialien in der ganzen Welt erleichtere.
Den richtigen Preis für ein Geschäft anzusetzen, sei ein schwieriger Balanceakt, der den Unterschied zwischen Gewinn und Verlust ausmachen könne. Solche Daten seien zentral, um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten zu behalten, und sie würden scharf bewacht.
Fragnieres glaubt, die Forderungen von USA und EU nach mehr Transparenz im Rohstoffhandel stünden im Zusammenhang mit einer laufenden, weltweiten «Attacke» gegen den Finanzplatz Schweiz.
Regulierungen sollten verbessert werden, um «Piraten» abzuschrecken, die nur an der Ausbeutung und nicht an fairem Handel interessiert seien, so Fragnieres. Doch der Ansatz von USA und EU sei viel zu dogmatisch.
«Die Schweiz ist ein Spielfeld von internationalen Rohstoffhändlern, doch sie haben in einem ‹Wildwest-Umfeld› operiert. Auch ein Sektor, der auf Verschwiegenheit setzt, braucht Regeln, doch diese müssen viel praktischer angewendet werden, als einfach neue Zwänge zu diktieren.»
Schweizer Städte wie Winterthur, Luzern und Lausanne haben im Handel mit Rohstoffen wie Baumwolle oder Kaffee eine lange Tradition, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht.
Nach den beiden Weltkriegen wurde die Schweiz zu einem beliebten Platz für viele internationale Unternehmen, die eine neutrale Basis für den Handel mit Rohstoffen suchten.
Heute arbeiten etwa 10’000 Personen in der Branche, die rund 3,5% der Wirtschaftsleistung der Schweiz generiert.
Singapur trat vergleichsweise spät in den Markt ein, als es 2001 sein «global traders programme» lancierte, um grosse Konzerne anzuziehen.
Doch die Industrie ist kometenhaft gewachsen und beschäftigt heute rund 12’000 Personen in 280 Unternehmen. Die besten Händler erarbeiteten 2011 zusammen einen Umsatz von rund 1000 Mrd. US-Dollar.
Bedrohung aus Singapur
Samir Zreikat, der die Rohstoff-Beratungsfirma Dealigents leitet, ist ebenfalls der Meinung, die Forderung nach mehr Transparenz habe mit dem Angriff auf das Schweizer Bankgeheimnis zu tun. Er befürchtet, dass die Schweizer Top-Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Finanzspezialisten dem Geld folgen könnten, das von ausländischen Kunden aus der Schweiz transferiert werde.
«Weil reiche Kunden ihre Gelder von Schweizer Banken in andere Staaten verschieben, hege ich keinen Zweifel daran, dass einige Dienstleistungs-Gesellschaften ihnen folgen werden. Dies wird die Attraktivität der Schweiz wie auch das Niveau der hiesigen Fachkompetenz schmälern», ist er überzeugt.
Singapur ist einer jener Orte, die davon profitieren könnten. Der Inselstaat hat bereits einen beeindruckenden Rohstoffsektor aufgebaut – angezogen zum Teil durch die Nähe zu China, doch auch durch ein tiefes Steuerniveau.
Rund 280 Unternehmen profitieren vom entspannten regulatorischen Umfeld in Singapur. Laut offiziellen Quellen beschäftigen sie 12’000 Personen direkt vor Ort (etwas mehr als die Branche in der Schweiz).
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Kein Massenexodus
Unternehmen, die in Singapur angesiedelt sind, wird ein Steuersatz von 5% in Rechnung gestellt. In der Schweiz beträgt dieser um die 10%. Der Druck der EU auf die kantonalen Steuerregeln für internationale Unternehmen könnte in nächster Zukunft dazu führen, dass der Steuersatz auf etwa 13% angehoben werden könnte.
Letztes Jahr sorgte der internationale Rohstoffhändler Trafigura für Schockwellen in der Schweizer Branche, als er seine Hauptbuchungszentrale für den Handel nach Singapur verlegte. Die Firma beharrte allerdings auf der Feststellung, der Umzug habe aus geostrategischen und nicht aus steuerlichen Gründen stattgefunden.
Fasser macht sich zwar auch Sorgen um die Bedrohung, die Singapur darstelle, doch glaubt er, dass sich verändernde Steuersätze eher das künftige Wachstum der Branche treffen als einen Exodus aus der Schweiz provozieren werden.
Der «Dodd-Frank Act», ein US-Bundesgesetz von 2010, beinhaltet eine Reihe von Regeln für einige Sektoren der Finanzbranche.
So sollen an der US-Börse zugelassene Bergbau-Unternehmen Zahlungen an ausländische Regierungen, die im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten in diesen Ländern stehen und über 100’000 US-Dollar betragen, ausweisen müssen.
Dazu können Steuern, Boni, Tantiemen und Lizenzgebühren gehören.
Das Dodd-Frank-Gesetz verschärft auch die Regeln im Derivatehandel – ein Instrument, das Rohstoffhändler oft nutzen.
Die Europäische Union steht kurz davor, ähnliche Transparenz-Richtlinien herauszugeben, nachdem sie den genauen Wortlaut des neuen Gesetzes letzten Monat ausgearbeitet hat.
Das neue Gesetz, das voraussichtlich dieses Jahr noch in Kraft treten wird, soll Unternehmen dazu zwingen, Zahlungen von über 100’000 Euro an ausländische Regierungen auszuweisen. Dazu gehören, anders als im «Dodd-Frank Act», auch Holzunternehmen.
«Die Rohstoffbranche ist in der Schweiz nicht mehr so willkommen wie früher, und die Steuerregelungen in anderen Staaten sind konkurrenzfähiger geworden. Für ausländische Firmen, die expandieren wollen, gibt es weniger Gründe als noch vor 15 Jahren, in die Schweiz zu kommen.»
Gennadi Timtschenko, der Mitgründer des Ölhandels-Giganten Gunvor, warnte die Schweiz davor, der EU in Sachen Steuerregimes zu stark entgegenzukommen. Timtschenko lebt gegenwärtig in Genf, wo auch viele andere Rohstoffhändler ihre Zelte aufgeschlagen haben.
«Wenn ich nicht hier wäre, dann wäre Gunvor vermutlich auch nicht hier «, sagte er gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung. «Wir fühlen uns wohl in Genf, aber falls die Regierung die Rahmenbedingungen stark ändert, dann werden wir neue Berechnungen anstellen», sagte er im Interview.
«Wir könnten jederzeit nach Singapur umziehen. Wir haben bereits ein Büro dort. Singapur ist auch ein sicherer und stabiler Standort. Das Klima ist vielleicht etwas anders, aber man kann sich daran gewöhnen», so Timtschenko in der NZZ.
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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