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«Ruag International muss so agil werden wie ein Startup»

Noé Flum / Ruag International

Der Schweizer Rüstungskonzern Ruag hat sich in den letzten Jahren zu einem veritablen globalen Technologiekonzern entwickelt. Nun will der neue Direktor André Wall die Unternehmenskultur des Konzerns verändern, der nach wie vor dem Bund gehört. Ein Interview.

Produktionsstätten in 14 Ländern, 6000 Mitarbeitende, von denen rund zwei Drittel im Ausland tätig sind, Aktivitäten in der Luft- und Raumfahrt sowie in der zivilen Pilotenausbildung: Ruag International, das grösste Rüstungsunternehmen der Schweiz, hat seine Aktivitäten in den letzten zwei Jahrzehnten stark diversifiziert.

Gerry Nitsch / Ruag International

Ruag International befindet sich trotz der kürzlich erfolgten Abspaltung von der Ruag MRO Schweiz – die hauptsächlich die Schweizer Armee beliefert – noch immer im Besitz der Schweizer Regierung. Der Wunsch des Bundesrats, einen wesentlichen Teil der Unternehmensaktivitäten zu veräussern, stösst im Parlament auf Widerstand.

Doch dies hat die Ambitionen von André Wall nicht gebremst: Der neue deutsche Direktor von Ruag International will die Transformation des Unternehmens fortsetzen und neue Märkte in Asien erobern.

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Ruag – wer ist der gehackte Schweizer Rüstungskonzern?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht 1998 in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt, hat sich die RuagExterner Link in den letzten zehn Jahren vom Waffenhersteller zu einem veritablen internationalen Technologiekonzern entwickelt. Dieser zählt rund 8000 Mitarbeitende, die sich über neun Länder verteilen. Über 55% des Umsatzes, 1,75 Mrd. Franken, resultieren aus dem zivilen Geschäftsbereich. Seit 2008 hat sich der ehemalige Bundesbetrieb eine…

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swissinfo.ch: In dem von Ihnen geleiteten Unternehmen wurden kürzlich «ernstzunehmende Sicherheitslücken»Externer Link festgestellt. Wie und wann gedenken Sie, diese Probleme zu lösen?

André Wall: Ich möchte klarstellen, dass wir keine Beweise dafür gefunden haben, dass dieser Hackerangriff tatsächlich stattgefunden hat. Im Lauf der Überprüfungen haben wir jedoch einige Schwachstellen entdeckt und sofort Massnahmen ergriffen.

Zudem erstellten wir einen Sieben-Punkte-Plan, der kurz-, mittel- und langfristige Massnahmen beinhaltet. Darüber hinaus werde ich weiterhin von externen Experten unterstützt.

Sie wollen, dass Ruag International agiler wird und näher an die Kundschaft rückt. War das denn früher nicht der Fall?

Da ich von aussen dazu stiess, bringe ich unweigerlich eine frische Perspektive in die Ruag International und ihre etablierten Prozesse ein. Ich habe vor allem festgestellt, dass sich unsere Märkte immer schneller verändern, insbesondere im Raumfahrtsektor, wo ständig neue Raketen lanciert werden.

Zudem tragen Unternehmer wie Elon Musk dazu bei, die Branche zu revolutionieren. In diesem Zusammenhang ist es eine meiner Prioritäten, unsere Unternehmenskultur zu verändern.

In welche Richtung wollen Sie die interne Kultur verändern?

Obwohl wir ein etabliertes Staatsunternehmen sind, müssen wir so agil werden wie ein Startup und also auch schnell auf Erwartungen unserer Kundschaft reagieren. Wir haben übrigens gerade unsere Vierjahres-Ziele durch 100-Tages-Ziele ersetzt.

Generell müssen wir unsere Prozesse vereinfachen, unsere Mitarbeitenden stärker einbinden und eine bessere Zusammenarbeit zwischen unseren verschiedenen Einheiten auf der ganzen Welt fördern.

Ferner sollen unsere Manager künftig auf der Grundlage ihrer Fähigkeit befördert werden, Grossprojekte zu realisieren, und nicht nach anderen, eher traditionellen Kriterien.

Als bundeseigenes Unternehmen haben Sie es mit vielen Interessengruppen zu tun. Wie bleibt man in diesem Kontext agil?

Ja, stimmt, wir haben es nicht nur mit dem Bundesrat und unserem eigenen Verwaltungsrat zu tun, sondern auch mit dem Schweizer Parlament, dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) sowie der BGRB Holding [temporäre Holding-Gesellschaft, die für die Restrukturierung der Ruag zuständig ist].

Das ist eine komplexe Konstellation, aber ich habe auch schon viel kompliziertere Situationen erlebt. Als Chief Technical Officer bei Iberia hatte ich zum Beispiel regelmässig mit sieben Gewerkschaften zu tun…

Oder als ich CEO der SR Technics Group war, stellte unser Eigentümer [Mubadala, der Staatsfonds der Vereinigten Arabischen Emirate] viele Anforderungen.

Der Deutsche, geboren 1964, blickt zurück auf über 25 Jahre internationale Erfahrung in der Luftfahrtbranche.

Bevor er im November 2020 Chef von Ruag International wurde, war er Chief Technical Officer bei der spanischen Fluggesellschaft Iberia.

Davor war er Chef von SR Technics, Chief Operational Officervon Jet Aviation und Präsident von MTU Aero Engines. Ausserdem hatte er verschiedene Managementpositionen bei Rolls Royce Aero Engines und Toyota inne.

Wie sehen Ihre Beziehungen zu den verschiedenen Vertretern der Eidgenossenschaft konkret aus?

Grundsätzlich erhalten all diese Vertreter des Bundes die gleichen Informationen von uns, manchmal gleichzeitig, manchmal nacheinander. Im Allgemeinen treffen ihre Rückmeldungen recht schnell bei uns ein, und ich spüre einen starken generellen Willen, rasch voranzukommen. Zudem nehmen manchmal bestimmte Vertreter des Bundes an unseren internen Sitzungen teil.

Welche Synergien gibt es zwischen Ihren vier Geschäftsbereichen?

Diese vier Bereiche sind nicht stark miteinander verbunden. Unsere derzeitige Diversifizierung erfordert daher viel Aufmerksamkeit von der Geschäftsleitung.

Da wir es für sinnvoller halten, unsere Anstrengungen weiter zu fokussieren, werden wir MRO International sukzessive verkaufen. Zudem ist der Verkauf von Ammotec noch für dieses Jahr geplant.

Wie gehen Sie vor, um Käufer zu finden?

Wir sind in unseren Märkten ausreichend bekannt, so dass sich potenzielle Käufer von selbst melden. Um diese Transaktionen dennoch zu professionalisieren, haben wir eine Ausschreibung gestartet und eine Schweizer Grossbank beauftragt.

Noé Flum / Ruag International

Hat Ihr jetziger Eigentümer irgendwelche Verkaufsbedingungen gestellt?

Aus Reputationsgründen muss die Eidgenossenschaft die Transaktionen genehmigen, insbesondere im Fall von Ammotec. Die Liste der Länder, in die Ammotec Waffen liefern darf, wird durch das derzeit geltende Schweizer Gesetz definiert.

Es ist deshalb zu erwarten, dass der Geist dieses Gesetzes auch in Bezug auf die Nationalität eines Käufers von Ammotec zum Tragen kommen wird.

In einer Motion hat der Nationalrat den Bundesrat aufgefordert, den Verkauf von Ammotec aus Gründen der Versorgungssicherheit zu stoppen.

Ja, aber der Bundesrat hat klar bestätigt, dass wir mit dem Verkaufsprozess fortfahren müssen. Auf die militärische Versorgungssicherheit der Schweiz wird dieser Verkauf jedenfalls so gut wie keinen Einfluss haben.

Wie würde sich die neue Volksinitiative «gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer» auf die Aktivitäten von Ruag International auswirken?

Ruag International hat nur eine kleine Anzahl von militärischen Kunden, insbesondere die Schweizer Armee und daneben vor allem Streitkräfte anderer europäischer Länder. Daher dürften die Auswirkungen dieser Initiative eher gering sein.

Nach der Pandemie werden Sie Ihre Strategie neu ausrichten. Wie stehen die Chancen, dass Sie auch Ihren Bereich Flugzeugstrukturbau[Aerostructure] verkaufen werden?

Die Pandemie hatte eine katastrophale Auswirkung auf die Luftfahrtindustrie mit einem Nachfragerückgang von 40-50%, der über mehrere Jahre andauern dürfte. Erfreulicherweise spüren wir bereits eine gewisse Verbesserung im Vergleich zu 2020.

Was eine mögliche Veräusserung unseres Bereichs Flugzeugstrukturbau angeht, werden wir sehen, wie sich dieser Sektor entwickelt, und werden zu einem späteren Zeitpunkt einen Entscheid treffen.

Natürlich wäre es ein strategischer Fehler, dieser Bereich jetzt sofort zu verkaufen: Bei der derzeitigen Krise würden wir nur niedrige Angebote bekommen.

Noé Flum / Ruag InternationalRuag International

Ist die Aufteilung der ehemaligen Ruag in zwei Gruppen ganz abgeschlossen? Was waren die grössten Herausforderungen?

Die Aufteilung war nicht einfach. Seit Anfang 2020 sind die beiden Unternehmen organisatorisch getrennt. Zurzeit werden noch einige abschliessende Arbeiten im IT-Bereich durchgeführt.

Die Aufteilung sowie die bereits abgeschlossenen Verkäufe von Einheiten haben die Komplexität reduziert und uns ermöglicht, unsere IT-Systeme besser zu verwalten. Eine der grossen Herausforderung war es, die Verwirrung bei unserer Kundschaft zu bewältigen.

Um in Zukunft Verwechslungen zu vermeiden, werden wir zudem den Namen unserer Konzerngruppe im ersten Quartal 2022 offiziell ändern. Der neue Name wird «Beyond Gravity» lauten, und wir sind dabei, diese Änderung vorzubereiten.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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