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Alain Berset: «Die politische Kultur der Schweiz hat sich verändert»

Auf dem Höhepunkt der Covid-Krise, Oktober 2021: Ein scharf bewachter Alain Berset begegnet der Bevölkerung. Keystone / Peter Schneider

Bundespräsident Alain Berset ist der erste Schweizer Politiker, der lange Zeit und rund um die Uhr Personenschutz benötigte. Für die politische Kultur der Schweiz stellt das eine Zäsur dar.

In der Schweiz gehört es zum öffentlichen Selbstverständnis, dass sich Mitglieder der Landesregierung im Alltag wie normale Bürger:innen bewegen können, im öffentlichen Verkehr genauso wie beim Wanderausflug mit der Familie. Diese zivile Normalität wird jedoch zunehmend herausgefordert.

Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset, der als Innenminister auch durch die Covid-Krise lenkte, war in dieser Zeit massiven Bedrohungen ausgesetzt. Sein Domizil, sein Ferienhaus und seine Familie mussten nach Drohungen rund um die Uhr überwacht werden. Berset redet von «brutalsten Androhungen.» Es habe da einen Moment gegeben, in dem er sich fragte: «Kann ich so meinen Job noch gut machen?»

swissinfo.ch: Herr Bundespräsident, hat sich die politische Kultur in Ihrer Zeit im Bundesrat verändert?

Alain Berset: Ja, es hat sich sehr viel verändert, und wir müssen die politische Kultur wirklich pflegen. Wir haben unsichere Zeiten erlebt. Wir haben international eine Entwicklung im Populismus gesehen. Sie begann 2016. Dann die Covid-Krise, das war wirklich eine brutale Zäsur für uns alle.

Auch für Sie?

Ja, auch für mich. Es war die schlimmste Krise, die das Land seit dem zweiten Weltkrieg erlebt hat. Danach die Energie-Krise, dann die Herausforderung mit dem Ende der Credit-Suisse: Es gibt einen riesigen Erklärungsbedarf in der heutigen Gesellschaft, weil die Welt sich so stark beschleunigt hat.

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Mit Ihnen geht ein ausgewiesener Kommunikator. Wie wichtig ist der Dialog in der Politik?

Es gibt so viele Veränderungen, diese schaffen auch Verunsicherung. Deswegen sind Erklärungen so zentral. Die Covid-Krise, aber auch alle anderen Herausforderungen haben gezeigt, wie wichtig es ist, Debatten zu führen. Es geht nicht nur um die Entscheide im Bundesrat, sondern auch darum, diese gut erklären zu können. Dies bleibt über die Covid-Krise hinaus eine Herausforderung – und ein Bedürfnis der Bevölkerung.

Unbeschwert nach der Covid-Krise: Bundespräsident Berset in Winterthur im April 2023, immer noch diskret bewacht. © Keystone / Ennio Leanza

War diese veränderte Kultur mit ein Grund, dass Sie den Hut nehmen?

Im Gegenteil, ich mag Situationen, die kompliziert sind, bei denen man das Beste geben muss. Das war bei der Covid-Krise der Fall. Es war extrem anspruchsvoll, aber interessant.

Mein Entscheid, nicht erneut anzutreten, ist einfacher: Am Ende werden es drei volle Legislaturen und zwei vollendete Präsidialjahre sein. Zudem sind wir in der Schweiz seit Sonntag mit der dritten Abstimmung über das Covid-Gesetz am Ende der Bewältigung dieser Krise. Damit endet ein Zyklus, der im Februar 2020 mit der Covid-Krise begonnen hat.

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