Ein Scheitern des Rahmenabkommens wäre auch für Süddeutschland fatal
Scheitert das Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz, wird das für die Grenzregionen fatale Folgen haben. Dieser Tatsache sollte der Bundesrat bei seinem letzten Rettungsbesuch in Brüssel Rechnung tragen, schreibt der deutsche Grünen-Abgeordnete Gerhard Zickenheiner.
Im Sommer 2019 befürwortete der Bundesrat den mit der EU ausgehandelten Vertrag als weitgehend im Interesse der Schweiz. Für die Klärung der offenen Fragen in drei verbleibenden Problembereichen mangelte es ihm allerdings an innenpolitischem Rückhalt.
Dann verhinderte der fehlende Verhandlungsspielraum eine abschliessende Einigung über den Rahmenvertrag mit der EU. Ein Versäumnis, für das der Bundesrat die Verantwortung trägt. Die absehbaren Konsequenzen für den Wirtschafts-, Forschungs- und Investitionsstandort Schweiz sowie die künftigen Handelsbeziehungen mit der EU geben Anlass zur Sorge.
«Die Menschen in der Grenzregion wären durch ein Scheitern des Rahmenabkommens direkt betroffen.»
Bundesrat muss seine Glaubwürdigkeit bewahren
Lehnt der Bundesrat das Abkommen mit der EU jetzt ab, lässt das Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Schweiz als Verhandlungspartnerin entstehen.
Die letzte Entscheidung über den Vertrag muss deshalb beim Schweizer Stimmvolk liegen. Schliesslich hat sich dieses in den vergangenen 20 Jahren bei europapolitischen Fragen immer wieder deutlich zum bilateralen Weg bekannt. Nur weil es der Regierung am politischen Willen fehlt, muss dies nicht auch auf die Stimmbevölkerung zutreffen.
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Die Sorgen der Grenzregionen ernstnehmen
Ohne Rahmenabkommen drohen die bilateralen Verträge zu erodieren. Die süddeutsche Grenzregion wird davon besonders betroffen sein.
Das Handelsvolumen der Schweiz mit Baden-Württemberg und Bayern zusammen ist grösser als das mit China. Jenes zwischen der Schweiz und Baden-Württemberg beläuft sich auf rund 30 Milliarden Euro. Deshalb braucht es auch für die Zukunft einen funktionierenden und ausbaufähigen Marktzugang.
«Weder wird EU-Recht automatisch übernommen, noch tritt die Schweiz mit einem Bekenntnis zum Rahmenabkommen der EU bei.»
Die Menschen in der Grenzregion wären durch ein Scheitern des Rahmenabkommens direkt betroffen. Sie würden die negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem im Einzelhandel, bei den Pendlerarbeitsplätzen und im Verkehr spüren.
Wie wichtig eine reibungslose grenzüberschreitende Kooperation ist, zeigt sich derzeit bei der Pandemiebewältigung. Es braucht daher geregelte Verhältnisse und eine Fortsetzung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen.
Eine Phase der Eiszeit kann für die Schweiz keine Option sein
Die Erfahrung bei anderen Handelsverträgen lässt erwarten, dass es bei einer Ablehnung des vorliegenden Textes, voraussichtlich weit über zehn Jahre bis zu einem neuen Vertrag dauern wird. Weder ist mit einer Aktualisierung bisheriger noch mit einem Abschluss neuer Verträge zu rechnen.
Das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU wird leiden. Eine Verschlechterung der Beziehungen zur EU kann indes nicht das Ziel der Schweiz sein. Die EU ist die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz und stellt den grössten Absatzmarkt für die exportorientierte Schweizer Industrie dar.
«Zu lange wurde die öffentliche Debatte von einer Gruppe Milliardäre dominiert, die aus eigennützigen Motiven gegen den Rahmenvertrag mobilisierten.»
Wünscht sich die Schweiz auch in Zukunft eine umfangreiche Teilnahme am EU-Binnenmarkt, muss sie sich an die Regeln halten, auf die sich die 27 EU-Mitgliedstaaten geeinigt haben.
Mit dem Rahmenabkommen können die bilateralen Beziehungen gefestigt und weiterentwickelt werden. Die innenpolitischen Aushandlungsprozesse und der Einbezug des Schweizer Stimmvolks bleiben garantiert.
Weder wird EU-Recht automatisch übernommen, noch tritt die Schweiz mit einem Bekenntnis zum Rahmenabkommen der EU bei. Solche Befürchtungen sind nichts Anderes als populistische Aufmerksamkeitshascherei.
Lippenbekenntnisse zu den Bilateralen reichen nicht
Zu lange wurde die öffentliche Debatte von einer Gruppe Milliardäre dominiert, die aus eigennützigen Motiven gegen den Rahmenvertrag mobilisierten. Dass es diesen Finanzspekulanten, die von deregulierten Märkten profitieren, weder um die nationale Souveränität noch um das Wohl der Schweizer Bevölkerung geht, ist augenscheinlich.
Gleichzeitig herrschte aufseiten der Befürworter lange Zeit eine gewisse Ratlosigkeit. Die zurückhaltende Informationspolitik des Bundesrats trug zu der jetzigen Situation bei und überliess den Gegnern viel zu viel Interpretationsraum.
Nach jahrelangen Verhandlungen auf technischer Ebene, steht der Bundesrat jetzt in der Pflicht, das politische Heft in die Hand zu nehmen und die bilateralen Verträge auf ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Fundament zu stellen.
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