Aus Angst: Schweizer:innen investieren in private Stromgeneratoren
Gasmangel und Stromlücke? Die offizielle Schweiz hat noch wenig dagegen unternommen. Also rüsten die Haushalte selbst auf.
In der Schweiz gibt es einen Run auf Stromgeneratoren. «Wir haben diesen Juli neunmal so viele Power Stations und gut viermal so viele Stromgeneratoren verkauft wie 2021 im selben Monat», sagt Alex Hämmerli, Sprecher des Online-Grosshändlers Digitec Galaxus, gegenüber swissinfo.ch.
Nicht nur der Marktführer im Schweizer Onlinehandel, sondern auch seine grossen und kleinen Konkurrent:innen spüren ein grosses Interesse an Notstromsystemen.
Kerzen und Brennholz kaufen
Die Vorbereitung auf den Krisenfall hat in der Schweiz eine lange Tradition. So gibt es etwa mehr Bunkerplätze als Einwohner:innen und der jährliche Test der Notfallsirenen überrascht nur Neuzugezogene. Der Slogan «Kluger Rat, Notvorrat» ist älter als ein halbes Jahrhundert und sensibilisiert die Bevölkerung seit Generationen.
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Da überrascht es nicht, dass nun Hersteller und Händler einen Ansturm auf Power Stations und Stromgeneratoren erleben. Werner Luginbühl, Präsident der Schweizer Elektrizitätskommission, ist so etwas wie der oberste Stromverantwortliche des Landes. Anfang August riet er in der «NZZ am Sonntag» zum Kauf von Kerzen und Brennholz.
Kerzen stehen ohnehin bereits auf der Packliste des offiziellen Notvorrats für jeden Haushalt, Batterien ebenfalls. Stromgeneratoren nicht. «Es gibt keine Empfehlungen zum Kauf von Notstromaggregatoren», heisst es auf Anfrage beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS.
Aufruf an Unternehmen in Deutschland
Diesen Sommer sind einige Journalist:innen aus Deutschland in die Schweiz gereist, um über die vielen Bunker und die Vorsorgementalität zu berichten. In Bezug auf die individuelle Notstromversorgung macht Deutschland aber mehr.
Bereits 2015 veröffentlichte das deutsche Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe BBK den Infofilm «Was tun bei Stromausfall – Strom selbst erzeugenExterner Link«, der Einzelpersonen und Nachbarschaften dazu aufruft, sich über Notstromgeneratoren oder komplette Notstromsysteme zu informieren.
Der Film erfreut sich auf Youtube bis heute einer gewissen Beliebtheit, und die Inhalte seien in den Grundzügen bis heute gültig, teilt ein Sprecher des deutschen BKK auf Anfrage von swissinfo.ch mit: «Wir raten einem jeden, sich generell im Rahmen der privaten Notfallvorsorge mit dem Thema auseinanderzusetzen und je nach persönlichem Bedarf aber auch den individuellen Möglichkeiten vorzusorgen.»
Auch gab es in Deutschland, anders als in der Schweiz, einen Aufruf an private Unternehmen, nicht nur Sparszenarien zu definieren, sondern auch aufzurüsten.
Patrick Graichen, Staatssekretär im deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, hat Anfang Juli alle privaten Unternehmen zum Kauf von Notstromaggregaten aufgerufen. 72 Stunden Überbrückungszeit sind die Zielsetzung im Fall der Fälle.
Reichtum schützt vor langem Blackout nicht
Nicht nur Geräte für ein paar hundert oder tausend Franken, sondern auch solche professionellen Notstromsysteme sind momentan bei wohlhabenden Privaten in der Schweiz gefragt. «SRFExterner Link» berichtet, die Halbjahresmiete eines Notstromsystems, mit dem eine Villa versorgt ist, kostet bei einem Schweizer Anbieter 100’000 Franken.
Doch, nur weil jemand das Geld hat, bekommt er ein solches System momentan noch lange nicht: Die Nachfrage liegt gemäss «SRF» über dem Angebot – lokal und international.
Privathaushalte kommen auf der Prioritätenliste zuletzt. Vorsorgewillige in der Schweiz können sich also, egal wie ihre Finanzen aussehen, kurzfristig keine Energieautonomie leisten.
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Power Stations aus der Steckdose
Mit den Geräten, die sie tatsächlich kaufen können, lässt sich kein wochenlanger Stromausfall überbrücken. Vor allem Power Stations – übergrosse Batterien, die oft an der Steckdose geladen werden – verkaufte Digitec Galaxus im Juli rege: drei Mal mehr Power Stations als Stromgeneratoren. Mit einer Power Station lässt sich ein ganzer Haushalt aber nur sehr kurz versorgen.
Bei Benzin betriebenen Generatoren gibt es hingegen Probleme mit den Brandschutz-Vorschriften: Pro Kellerraum dürfen in der Schweiz nicht mehr als 25 Liter BenzinExterner Link in Kanistern und nicht mehr als 100 Liter im Schutzschrank gelagert werden. Pro Betriebsstunde verbrauchen Stromgeneratoren 1 bis 3 Liter Benzin. Irgendwann bliebe also auch den ganz Vorsichtigen bloss noch das Kerzenlicht.
Aber ein wochenlanger Stromausfall im Winter schien den meisten Expert:innen zu keinem Zeitpunkt realistisch – die Gefahr einer Strommangellage bewerteten die Behörden hingegen bis Mitte August als sehr real.
Eine Mangellage würde aber noch kein BlackoutExterner Link bedeuten: Die Schweizer Behörden setzen auf Sparappelle, reichen diese nicht, wird erst der Betrieb gewisser Geräte verboten. Als zweitletztes Mittel müssen Grossunternehmen mit einem Maximalkontingent an Strom auskommen. Das – stundenweise – Abschalten des Stromnetzes für die Haushalte ist die höchste Stufe im Krisenplan.
Die Wechselwirkung zwischen Strom- und Gasmangel
Die Versorgungslage der Schweiz ist laut dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung gegenwärtig gesichert. Doch im Bezug auf den Winter droht auch ein Engpass beim Erdgas. Bundesrätin Simonetta Sommaruga verkündete bereits Anfang Juli, dass sie mit einem Mangel rechnet.
Bis Mitte August bereitete Behörden und Stromproduzenten die Wechselwirkung zwischen Elektrizität und Heizung Kopfschmerzen: Setzen im Winter viele Menschen auf mobile Elektroheizungen, weil sie trotz Gasmangel kuschelige Wärme wollen, verschärft sich die Lage bei der Elektrizität. Und es ist gut möglich, dass viele der neu gekauften, an der Steckdose geladenen Power Stations von ihren Besitzer:innen dazu bestimmt sind, eine solche Elektroheizung zu betreiben.
Der Sprecher des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE sagte am 11. August: «Im Hinblick auf die kritische Winterversorgung gilt aktuell mehr denn je: Jede Kilowattstunde zählt – vor allem auch jede eingesparte.»
Sieben Tage später atmen Elektrizitätsunternehmen und BehördenExterner Link auf. Der Bundesrat will Verträge mit Firmen abschliessen, die kurzfristige Engpässe im Stromnetz mit «ReservekraftwerkenExterner Link» ausgleichen können. Zudem verhandelt er über den Einsatz von professionellen Notstromaggregaten, mit denen private Unternehmen vorgesorgt haben.
Der Artikel vom 12. August 2022 wurde am 18. August um die neusten Entwicklungen ergänzt.
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