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Schweizer Berichterstatter prangert Vertuschung an

Das Grab von Anwalt Sergei Magnitski in Moskau, der in Untersuchungshaft verstorben ist. Keystone

Die russischen Behörden werden in einem Europarats-Bericht des Schweizer Parlamentariers Andreas Gross beschuldigt, die Verfolgung und den Tod des Whistleblowers Sergei Magnitski zu vertuschen. Dieser hatte einen massiven Steuerbetrug aufgedeckt.

Im ersten umfassenden, unabhängigen Bericht zum Fall Magnitski kommt Andreas Gross zum Schluss: «Korrupten Beamten darf nicht erlaubt werden, Staatseigentum zu plündern, während sie ungestraft jene brutal zum Schweigen bringen, die ihnen im Weg stehen.»

Die Vertuschung von Magnitskis Tod in Untersuchungshaft im November 2009 und jene Verbrechen, die er aufzudecken versuchte, sollten neu aufgerollt und die wahren Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden, so Gross.

Der im November 2012 für diesen Fall gewählte Berichterstatter Gross präsentierte die Resultate seiner sechsmonatigen Untersuchungen der Vorfälle um den Tod des Anwalts am 25. Juni vor dem Europarats-Komitee für Recht und Menschenrechte.

Magnitskis ehemaliger Kunde Bill Browder, der eine weltweite Kampagne für Gerechtigkeit für den toten Anwalt führt und selber in Russland vor rechtlichen Schritten steht, begrüsste den Bericht.

«Dieser Bericht ist eine detaillierte und objektive Analyse, welche die Position der russischen Regierung zu fast allem zerstört, was sie über den Mord an Sergei Magnitski gesagt hat – Zeile um Zeile», sagte Browder gegenüber swissinfo.ch.

Während er 2007 für eine US-Anwaltskanzlei in Moskau arbeitete, entdeckte Sergei Magnitski den grössten Steuerrückzahlungs-Betrug in der russischen Geschichte (230 Mio. Dollar).

Darunter befanden sich Gelder von Firmen, die seinem Kunden Bill Browder gehörten, damals mit seiner Hermitage Capital Management einer der erfolgreichsten ausländischen Investoren in Russland.

Wegen seiner Bemühungen wurde der 37-jährige Anwalt fälschlicherweise inhaftiert und während 13 Monaten in Untersuchungshaft gelassen. Dort wurde er schlecht behandelt und ihm wurde medizinische Hilfe verweigert. Er starb mutmasslich an Schlägen, die er in seiner Zelle erhalten haben soll.

Änderungen in seiner Todesurkunde, die Weigerung, der Familie eine unabhängige Autopsie zu erlauben und grosse Ungereimtheiten betreffend seinen Tod sind laut Gross «starke Hinweise für eine offizielle Vertuschung».

Gross verurteilt die «verspäteten, schwerfälligen und widersprüchlichen» Untersuchungen der russischen Behörden betreffend Magnitskis Tod in Untersuchungshaft mit starken Worten.

Von den beiden Ärzten, die wegen Sorgfaltspflichtverletzung angeklagt worden waren, wurde der Fall gegen eine Ärztin fallengelassen, der andere Arzt wurde freigesprochen.

«Gigantischer Raub»

2007 hatte Magnitski den grössten Steuerrückerstattungs-Betrug in der russischen Geschichte im Umfang von 230 Millionen US-Dollar aufgedeckt. Es ging dabei auch um den Betrug an Firmen seines Kunden Browder, der zuvor mit seiner Hermitage Capital Management einer der erfolgreichsten Investoren in Russland gewesen war.

«Sergei Magnitski hatte einen gigantischen Raub aufgedeckt, dessen Opfer Russland selber war. Er starb, weil er sich weigerte, dem Druck von korrupten Beamten der mittleren Ebene nachzugeben, die dadurch mit ihren Verbrechen davonzukommen hofften», schreibt Gross in seinem Bericht mit dem Titel «Keine Straffreiheit für die Mörder von Sergei Magnitski».

«Doch warum versucht der russische Staat, und das auf so hoher Ebene, derart kräftig, dieses Verbrechen zu vertuschen?», fragt der Schweizer Nationalrat und Präsident der Sozialdemokratischen Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.

Nach einer Diskussion in Strassburg entschied das Europarats-Komitee, den Entwurf des Berichts freizugeben und lud interessierte Kreise – darunter die russischen Behörden – dazu ein, diesen zu kommentieren. Dies mit dem Ziel, den auf dem Bericht basierenden Beschluss am 4. September gutzuheissen.

«Wir würden gerne eine (russische) Antwort hören, die uns näher an die Wahrheit bringt, nicht eine, die versucht, diese zu verstecken», so Gross gegenüber swissinfo.ch.

Die russische Regierung hat wiederholt Vorwürfe des Fehlverhaltens im Zusammenhang mit dem Fall zurückgewiesen. Alexei Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, erklärte gemäss der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, die russische Seite sei nicht zufrieden mit dem Bericht.

Für Puschkow ist der Bericht «das Resultat der politischen Überzeugungen, die im Westen zu diesem Thema vorherrschen» und beinhaltet eine Anzahl «faktischer Ungenauigkeiten».

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Fall Magnitski wirft Schatten in die Schweiz

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Faktensuche

Doch Gross hatte die von der russischen Regierung angebotenen Erklärungen als «nicht überzeugend» und «zweifelhaft» abgelehnt, nachdem er auf Faktensuche in Russland, Zypern, der Schweiz und Grossbritannien gewesen war und Interviews mit Schlüsselfiguren geführt hatte. Russland hatte Beamte entlastet und Magnitski selber nach seinem Tod jener Verbrechen beschuldigt, die er aufgedeckt hatte.

Ein Teil der Geldspur, die Magnitski entdeckt hatte, führte in die Schweiz. Im Januar 2013 teilte die Schweizer Bundesanwaltschaft mit, dass sie zusätzliche Konten gesperrt habe, die mit Geldwäscherei-Untersuchungen gegen «unbekannte Personen» im Zusammenhang mit dem Magnitski-Korruptionsfall stehen.

Am 26. Juni hat das Bundesstrafgericht grünes Licht für die Übermittlung von Bankdaten an Russland in der Magnitski-Affäre gegeben. Eine dagegen erhobene Beschwerde einer betroffenen Firma, die Mängel im russischen Verfahren geltend gemacht hatte, hat das Gericht abgewiesen.

Was den Tod Magnitskis in Untersuchungshaft betrifft, ist die russische Position für Berichterstatter Gross inakzeptabel, «namentlich die Behauptung, dass Magnitskis Tod bloss die tragische Konsequenz daraus gewesen sei, dass er unfähig gewesen sei, die normale Härte der Haftbedingungen auszuhalten».

Gross hatte den russischen Behörden eine detaillierte Liste eingereicht, auf der er medizinische und Gefängnisangestellte namentlich aufgeführt hatte, die in einer russischen Untersuchung genannt worden waren und mit denen er gerne gesprochen hätte. Doch «diese Treffen fanden nie statt, trotz mehreren Versuchen von meiner Seite».

Das Bundesstrafgericht hat in der Magnitski-Affäre grünes Licht für die Übermittlung von Bankdaten an Russland gegeben. Die Informationen betreffen das Konto eines Unternehmens, das mit dem letztes Jahr in London verstorbenen Alexander Perepilichnyy in Verbindung stand.

Perepilichnyy galt als einer der Schlüsselzeugen in der Magnitski-Affäre und war im November 2012 in London beim Joggen tot zusammengebrochen.

Die Bundesanwaltschaft (BA) hatte im vergangenen Februar die Übermittlung entsprechender Kontendaten an die russische Generalstaatsanwaltschaft bewilligt.

Das Bundesstrafgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde einer betroffenen Firma nun abgewiesen. Sie hatte erfolglos Mängel im russischen Verfahren geltend gemacht.

(Quelle: SDA)

Betrug aufgedeckt

Magnitski steht gegenwärtig im Zentrum einer beispiellosen posthumen Untersuchung, in der behauptet wird, er sei der Drahtzieher jenes Steuerbetrugs gewesen, den er selber aufgedeckt hat. Diese Vorwürfe, die auch gegen Browder in absentia erhoben wurden, sind laut Gross «rechtlich gegenstandslos».

Der Bericht zitiert Beweise dafür, dass die gleichen Personen und Beamten während langer Zeit den russischen Staat bestohlen haben, vor und nach dem 230-Millionen-Raub.

«Ein sehr starkes Argument dagegen, den 230-Millionen-Steuerrückzahlungs-Betrug Magnitski anzuhängen, ist die Tatsache, dass ähnliche Steuerrückzahlungs-Betrügereien begangen wurden, bevor und nachdem Magnitski inhaftiert war, und sogar nach seinem Tod», heisst es im Bericht.

Gross kommt zum Schluss: «Ich bin persönlich überzeugt, dass dieses Verbrechen nicht von Magnitski als Haupttäter, Helfer oder Anstifter begangen wurde, sondern von einer Gruppe Krimineller, zu der jene Personen gehören, die er beschuldigt hatte, bevor diese ihn in Gewahrsam genommen hatten, wo er verstarb.»

Straffreiheit

Der Bericht bezeichnet es als «inakzeptabel», dass jene, die verantwortlich für den Tod Magnitskis und den massiven Betrug seien, den dieser aufgedeckt hatte, immer noch straffrei herumlaufen. Laut Gross ist das Ziel seines Berichts, «in Zukunft für einen besseren Schutz von Individuen gegen gesetzloses Verhalten von Staatsbeamten beizutragen».

Der Fall zeigt weiterhin internationale Auswirkungen. Mit dem «Magnitski-Act» haben die USA das Einfrieren von Vermögenswerten und ein Visumsverbot für 18 Russen verhängt, die 2009 mutmasslich mit der unrechtmässigen Verhaftung, Folter und dem Tod des Anti-Korruptions-Anwalts zu tun hatten. Als Antwort hat der Kreml die Adoption russischer Kinder durch US-Bürger verboten.

Für Browder sind die Details des russischen Verhaltens in der Magnitski-Affäre derart belastend, «dass sie verschiedenen EU-Mitgliedstaaten frische Impulse liefern werden, Magnitski-Sanktionen vorwärtszutreiben».

Doch für Gross sind Sanktionen gegen Einzelpersonen nicht die beste Vorgehensweise. «Sanktionen sind die primitivste Antwort, die wir nach militärischen Aktionen haben», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

«Dieser Zugang ist zu einfach. Wir wollen den Alltag der Russinnen und Russen verbessern, sicherstellen, dass einbezahlte Steuern für notwendige Dienstleistungen eingesetzt und nicht gestohlen werden. Die Idee ist nicht nur, die Schuldigen zu bestrafen, sondern diese Art von Betrug in Zukunft zu verhindern.»

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