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Schweizer Pass: Diskriminierung von Frauen hallt bis heute nach

Französisch-schweizerisches Paar mit dem roten Pass
Die Kinder von Christiane Humbert-Grossrieder (Schweiz-französische Doppelbürgerin) haben das Schweizer Bürgerrecht nicht. Die Kinder ihrer Brüder hingegen schon. Jacques Humbert / Montage: Helen James, swissinfo.ch

Trotz zig Gesetzesrevisionen haben Nachkommen von Schweizer Frauen im Ausland teilweise bis heute keine Chance auf den Schweizer Pass – Kinder von Schweizer Vätern hingegen erhielten über Jahre automatisch das Bürgerrecht. Wie kommt es zu dieser Ungerechtigkeit?

Geht es um das Schweizer Bürgerrecht, werden Frauen seit jeher diskriminiert. Eigentlich hätten diese Ungerechtigkeiten vor knapp 30 Jahren formal beseitigt werden sollen, doch in der Realität wirken die Regelungen, die jahrzehntelang gegolten haben, noch immer nach.

Eine, die dies bis heute zu spüren bekommt, ist Christiane Humbert-Grossrieder. Sie ist 1948 als zweites von vier Kindern von Schweizer Eltern in Frankreich geboren. Ihre Mutter war Deutschschweizerin, ihr Vater Westschweizer.

Humbert-Grossrieder ist in Les Tannards – unweit der Schweizer Grenze – mit ihren drei Brüdern aufgewachsen. Als sie volljährig wurde, hat sich die junge Auslandschweizerin auf dem Schweizer Konsulat in Besançon registriert und behielt so ihr Schweizer Bürgerrecht.

Zwei ihrer Brüder haben im Erwachsenenalter je eine Französin geheiratet, Humbert-Grossrieder 1974 einen Franzosen: Jacques Humbert. Ein paar Jahre später fand das Ehepaar heraus, dass Christiane ihre Schweizer Nationalität verloren hatte.

«Wir hätten vor der Heirat deklarieren müssen, dass sie die Schweizer Nationalität behalten will», erzählt Jacques Humbert am Telefon. Dieser Umstand galt von 1953 bis zur Gesetzesrevision 1992 – erst dann hatte das Schweizer Bürgerrecht die Gleichberechtigung von Mann und Frau vorgesehen.

Hochzeitsbild aus dem Jahr 1974
Sie hätten bei ihrer Heirat 1974 bestätigen müssen, dass Christiane Humbert-Grossrieder ihr Schweizer Bürgerrecht behalten will. Jacques Humbert

Bevorzugung von ausländischen Frauen

«Diese Revision stand im Zusammenhang mit der UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau«, sagt Bürgerrechtsspezialistin Barbara von Rütte. Bis dahin sei die geltende Praxis nicht nur eine Benachteiligung von Schweizer Frauen gewesen, sondern auch eine Bevorzugung von ausländischen Frauen. «Diese haben bei der Heirat mit einem Schweizer automatisch das Bürgerrecht erhalten», sagt von Rütte.

Noch ungerechter war die Situation bis 1952, als noch die sogenannte Heiratsregel galt. Damals verloren tausende von Schweizerinnen automatisch den Pass, wenn sie einen Ausländer heirateten – dies mit zum Teil dramatischen Folgen.

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«Uns hat vor der Heirat niemand auf diese Deklarationspflicht aufmerksam gemacht», sagt Jacques Humbert. Als das Paar den Bürgerrechts-Verlust feststellte, wollte es dies schnellstmöglich rückgängig machen. «Aber das war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.»

Erst 2003 sollte das Gesetz Christiane Humbert-Grossrieder erlauben, dass sie wiedereingebürgert werden kann. Was das Ehepaar schon damals ärgerte: Die Heirat von Humberts-Grossrieders Brüder mit französischen Staatsangehörigen hatte keinerlei Konsequenzen auf deren Schweizer Bürgerrecht. Im Gegenteil: Ihre Frauen haben – wie erwähnt – den roten Pass automatisch erhalten und den französischen behalten können.

Nur Kinder von Schweizer Vätern erhielten den Pass

Die Familie Humbert-Grossrieder vergrösserte sich. 1975 und 1980 kamen die beiden Kinder zur Welt – «und auch unsere Töchter hatten kein Anrecht auf den Schweizer Pass», sagt Jacques Humbert, der sich all die Jahre für den Bürgerrechtsverlust seiner Frau und seiner Nachkommen verantwortlich fühlte.

Auch wenn seine Ehefrau zum Zeitpunkt der Entbindung das Schweizer Bürgerrecht besessen hätte: Noch bis 1984 erwarb bei Geburt nur das Kind eines schweizerischen Vaters und einer ausländischen Mutter das Schweizer Bürgerrecht. Dem Kind einer Schweizer Mutter und eines ausländischen Vaters blieb dies vorenthalten.

Man kann nur Schätzungen anstellen, wie vielen Nachkommen von Schweizer Frauen dadurch der Zugang zum Schweizer Bürgerrecht verwehrt wurde. Während der übergangsrechtlichen Bestimmungen 1979 und 1985 hatten rund 140’000 Kinder von Schweizer Müttern die Anerkennung als Schweizer Bürger:in beantragt. Noch viel mehr müssen es sein, die von dieser Bestimmung gar nie profitieren konnten.

Die Jahre strichen ins Land, in denen die Familie Humbert-Grossrieder «nur» französische Staatsangehörige waren. Sie gab sich damit zufrieden, bis sie 2008 herausfand, dass das Gesetz 2003 geändert hatte und Christiane Humbert-Grossrieder die Wiedereinbürgerung beantragen konnte.

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Wiedereinbürgerung ohne Hintergedanken

«Es war eine emotionale Motivation, den Antrag zu stellen», sagt Humbert-Grossrieder. Es habe weder ein wirtschaftliches noch finanzielles Interesse bestanden, wieder Schweizerin zu werden.

Für die beiden war immer klar, dass sie als mittlerweile pensionierte Lehrpersonen ihren Lebensabend in Frankreich verbringen werden. 2009 erhielt Christiane Humbert-Grossrieder den roten Pass zurück – und macht seither wieder von ihrem Stimm- und Wahlrecht Gebrauch.

Weil ihre Kinder zum Zeitpunkt der Wiedereinbürgerung schon volljährig waren, übertrug sich das Bürgerrecht jedoch nicht auf sie.

«Wir empfanden es jahrelang als Ungerechtigkeit, dass die Nachkommen der männlichen Linie allesamt französisch-schweizerische Doppelbürger sind, die Nachkommen der weiblichen Linie aber nicht», sagt Jacques Humbert.

«Die Nachwirkungen zeigen, wie stark das Ius sanguinis – das Abstammungsprinzip – noch immer in der Schweizer Gesellschaft verankert ist», sagt Juristin von Rütte. Nachkommen der mütterlichen Linie seien bis heute massiv von den Folgen betroffen.

Sehr viele Staaten kennen wie die Schweiz das sogenannte Ius sanguinis, d.h. den Erwerb der Nationalität durch väterliche oder mütterliche Abstammung. Dazu gehören neben der Schweiz beispielsweise auch Deutschland und Österreich. 

Daneben gibt es Länder, die das Ius soli kennen, d.h. den Erwerb der Staatsangehörigkeit aufgrund der Geburt im entsprechenden Land. Dazu gehören die typischen Einwanderungsländer wie die USA, Südamerika, Kanada oder Australien, nicht jedoch die Schweiz. (Quelle: Staatssekretariat für Migration SEMExterner Link)

Das Bundesgericht hat kein Verständnis

Bemerkenswert sei, dass das Bundesgericht bei den paar Entscheidungen, die es zu beurteilen gegeben habe, «null Verständnis aufgebracht hat, um die Diskriminierung aus der Welt zu schaffen», sagt die Bürgerrechtsspezialistin.

Bei der Beurteilung der Kriterien müsste nach von Rütte ein milderer Massstab angewendet werden, doch das sei nie passiert. Dabei spricht von Rütte etwa den Bundesgerichtsfall einer ausgewiesenen BelgierinExterner Link an, die eigentlich Schweizerin war, durch die Heirat aber das Schweizer Bürgerrecht und später wegen Sozialhilfebezugs ihre Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz verlor.

Das Gericht schrieb damals im Urteil, dass die Beschwerdeführerin einmal Schweizerin gewesen sei, spiele in diesem Verfahren überhaupt keine Rolle.

Solange Auslandschweizer:innen heute ihre Kinder fristgerecht (sprich bis zum 25. Altersjahr) dem Konsulat melden, ist es sehr einfach, das Schweizer Bürgerrecht weiterzugeben. Wird die Frist verpasst, könnten sie zwar noch 10 Jahre lang ein Gesuch um Wiedereinbürgerung stellen. Danach ist dies nur noch möglich, wenn man sich für ein Leben in der Schweiz entscheidet und mindestens drei Jahre hier lebt.

Für die Nachkommen von Christiane und Jacques Humbert-Grossrieder sind mittlerweile alle Fristen abgelaufen. Auch ein Leben in der Schweiz kommt für sie nicht in Frage. «Unsere Töchter sind beide Lehrerinnen und haben nicht vor, je in der Schweiz zu arbeiten», sagt Jacques Humbert. «Praktisch wäre es für sie jedoch trotzdem gewesen.»

  • Bis 1952: galt die sogenannte Heiratsregel. Schweizerinnen, die einen Ausländer heirateten, verloren automatisch das Schweizer Bürgerrecht.
  • Bis 1978: Schweizerin, die einen Ausländer heiratet, verliert das Schweizer Bürgerrecht, es sei denn sie unterzeichnet eine Erklärung, dass sie es behalten will.
    Eine Ausländerin, die einen Schweizer Bürger heiratet, erhält automatisch das Schweizer Bürgerrecht.
    Eine mit einem Ausländer verheiratete Schweizerin kann das Schweizer Bürgerrechts nicht auf die Kinder übertragen.
  • 1978: Mit einem Ausländer verheiratete Schweizerin kann das Schweizer Bürgerrecht nur auf ihre Kinder übertragen, wenn die Mutter gebürtige Schweizerin ist (Schweizerinnen durch Einbürgerung und Heirat ausgeschlossen) und wenn sich der Wohnsitz der Eltern bei der Geburt des Kindes in der Schweiz befindet.
  • 1985: Die Kinder von einer Schweizer Mutter, die einen Ausländer geheiratet hat, erwerben das Schweizer Bürgerrecht der Mutter bei der Geburt. Zwischen Schweizerinnen durch Einbürgerung und Schweizerinnen durch Abstammung sowie in der Schweiz und im Ausland geborenen Kindern wird nicht mehr unterschieden.
  • 1992: Abschaffung der Erklärungsregel. Die Heirat einer Schweizerin mit einem Ausländer hat kein Bürgerrechtsverlust mehr zur Folge. Eine Ausländerin, die einen Schweizer heiratet, erwirbt nicht mehr automatisch das Schweizer Bürgerrecht.
  • 1997: Alle Kinder mit schweizerischer Mutter, auch jene mit Wohnsitz im Ausland, haben ohne Altersgrenze die Möglichkeit der erleichterten Einbürgerung, wenn sie eng mit der Schweiz verbunden sind. Ausgenommen bleiben die Kinder von Schweizerinnen durch Heirat.
  • 2003: Jegliche Unterscheidung zwischen Schweizerinnen durch Abstammung, Einbürgerung oder Adoption und Schweizerinnen durch Heirat wird aufgehoben. Eine Schweizerin durch Heirat kann das Bürgerrecht dem Kind übertragen, sofern sie das Schweizer Bürgerrecht zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes besitzt oder früher besessen hat.

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