Zauberlaterne, Licht im Dunkel des ivorischen Kinos
In der Elfenbeinküste liegt das Kino im Sterben. Die Diagnose der Experten ist erschreckend. Aber Liebhaber der "siebten Kunst" kümmern sich um dessen Genesung. Unter ihnen Marie-Pascale Digbé, die ihre Hoffnungen auf die Errichtung einer lokalen Filiale der Zauberlaterne setzt, dem Schweizer Film-Club für Kinder. Könnte dies der Zaubertrank für das Wiedererwachen der Grossleinwand sein?
«El Mansour», das einzige Aushängeschild des ehemaligen Kinos von Abidjan, erinnert noch ans goldene Zeitalter der «siebten Kunst» der Elfenbeinküste. Verkaufsstände haben die Kinoschalter verdrängt. Einige Verkäufer, die potenzielle Kunden ansprechen, haben die Film-Liebhaber längstens ersetzt.
«Unsere Kinder haben die Kino-Kultur verloren.»
Omar Abdel Kader Tani
«Das Kino der Elfenbeinküste ist tot.» Omar Abdel Kader Tani, Redaktor des Magazins «Top Visages» ist pessimistisch. «DVD und die politische Krise haben der ’siebten Kunst› den Todesstoss versetzt. Eine Wiedergeburt ist nicht möglich, weil unsere Kinder die Kino-Kultur verloren haben», bedauert er, während er uns durch das belebte Treichville-Quartier im Zentrum der Wirtschaftsmetropole der Elfenküste führt.
Er macht Halt vor einem Gebäude, dessen Fassadenverputz stark abgebröckelt ist. Es ist auch ein ehemaliges Kino. Vor dem mit Brettern verriegelten Schalter türmt sich Müll auf. Auch hier ist der Zauber des Kinos erloschen. «Kino und Restaurant oder Disco, hiess es hier früher. Diese Zeiten sind längst vergangen. Fast alle Kinosäle sind geschlossen», erzählt Omar Abdel Kader Tani.
Während der goldenen Kino-Zeit der Elfenbeinküste in den 1970er- und 80er-Jahren gab es in Abidjan rund 20 Kinos. Heute existieren noch drei Säle, die von der Majestic-Gruppe übernommen worden sind.
«Dort werden hauptsächlich Hollywood- oder französische Filme gezeigt. Für das afrikanische Kino gibt es im Allgemeinen nur wenig Raum», sagt der Journalist. Kommt hinzu, dass sich nur Gutbetuchte Kino-Tickets leisten können, die rund 5000 francs CFA (etwas mehr als 8 Schweizer Franken) kosten.
Ein paar Meter weiter hält unser Begleiter vor einem christlichen Gotteshaus. «Evangelische Kirchen werden immer zahlreicher. Viele von ihnen haben ehemalige Kino-Säle gekauft», kommentiert er.
Sich sichtbar machen
Einige Enthusiasten glauben trotzdem noch an eine bessere Zukunft des Films in der Elfenbeinküste. In einem ruhigeren Quartier Abidjans hat Marie-Pascale Digbé eine Zweigstelle der ZauberlaterneExterner Link, des Film-Clubs für Kinder mit Sitz in der Schweiz, ins Leben gerufen. Der Club hat Niederlassungen in 10 Ländern. Ziel dieses Abenteuers ist es, die Jüngsten fürs Kino zu begeistern. Die erste Sitzung findet im September statt.
Die Geschichte dieses Projekts nahm ihren Anfang in der Westschweizer Stadt Neuenburg, wo sich die Wiege der Zauberlaterne befindet. Marie-Pascale Digbé, Kommunikationsassistentin und Kunstbegeisterte, hatte ein Exzellenzstipendium für ein Stage am LaténiumExterner Link erhalten, dem grössten archäologischen Museum der Schweiz.
Als sie einen Film der Zauberlaterne entdeckte, war sie vom Konzept sofort begeistert. Der Enthusiasmus der Kinder, die den Film entdeckten, stand im krassen Gegensatz zur harten Wirklichkeit der Gewaltbilder, mit denen die jungen Leute in der Elfenbeinküste während der politisch-militärischen Krise von 2002 und 2011 konfrontiert waren. «Ich habe mir gesagt, dass man der Jugend etwas anderes zeigen müsse. Ich bin der Meinung, dass der Film ein gutes Mittel ist, sich sichtbar zu machen.»
Dank einer pädagogischen Begleitung, die von der Zauberlaterne empfohlen wird, könnten die Kinder die Bilder, mit denen sie stets konfrontiert seien, analysieren, glaubt Marie-Pascale Digbé.
Eine Plattform fürs Kino der Elfenbeinküste
Die Suche nach Sponsoren, die Bildung eines Komitees, die Rekrutierung von Freiwilligen, die Suche nach Kinosälen: In Abidjan einen Club der Zauberlaterne ins Leben zu rufen, gleicht allerdings einem Hindernislauf. Marie-Pascale Digbé scheint diesen mit Geschick zu meistern.
Nach mehreren fruchtlosen Versuchen hat sie einen Partner gefunden, nämlich das «Institut françaisExterner Link» in Abidjan, das zu einem vernünftigen Preis einen Saal für Filme zur Verfügung stellen wird. «Wir suchen noch einen Unterstützungsfonds für unsere Aktivitäten. Und wir müssen den Schulen und den Eltern unsere Ziele und den pädagogischen Nutzen des Projekts erklären können», sagt die Gründerin des Clubs.
Ein Filmclub für Kinder, ist das ein guter Steigbügel für die Film-Förderung in der Elfenbeinküste? «Ja, aber nicht unmittelbar, sagt Ilan Vallotton, geschäftsführender Direktor der Zauberlaterne. «Es ist nicht so einfach. Wir entwickeln das pädagogische Material, das jeden einzelnen Film begleitet, und stellen dieses den Clubs zur Verfügung.» Im ersten Jahr, während dem sich zeigt, ob das Projekt von Dauer sein wird, empfehlen wir den neuen Clubs, auf Filme zu setzen, die bereits in der Datenbank der Zauberlaterne figurieren.
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Keine Unterstützung für ausländische Zauberlaternen
Die grösste Herausforderung für Clubs im Ausland ist es, langfristige Finanzierungsquellen zu finden. «In der Schweiz werden wir von der Eidgenossenschaft unterstützt, aber nicht für unsere Ausweitung ins Ausland», sagt Vallotton. Die Clubs müssen ein eigenes Finanzierungsmodell entwickeln.
Der Geschäftsführer erinnert daran, dass die Zauberlaterne seit der Annahme der Zuwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 nicht mehr von Unterstützungsbeiträgen aus der EU profitiert, weil die Schweiz aus dem Medienprogramm ausgeschlossen wurde.
Man müsse auch aufpassen, dass man sich nicht im administrativen Dschungel verliere, der unter anderem auch bei der Vergabe der Filmrechte in der Elfenküste herrsche. «Nur schon herauszufinden, wo man die Autorenrechte bezahlen muss, ist manchmal eine Knacknuss. Es kommt vor, dass jemand vorgibt, ein Recht zu haben, obwohl es nicht stimmt», sagt Vallotton.
Eine weitere Herausforderung für die Zauberlaterne ist es, mit ihrem Angebot die verschiedenen sozialen Schichten zu erreichen. Eine wichtige Aufgabe für Marie-Pascale Digbé werde auch sein, Kinder aus verschiedenen sozialen Milieus anzusprechen, denn das «Institut français» sei «kein Ort, wo alle gerne hingehen».
Trotzdem scheint der Club der Zauberlaterne in Abidjan auf gutem Weg zu sein, zumal er in kurzer Zeit Partner gefunden hat. Eine der Stärken dieses Projekts ist es laut Vallotton, dass es aus dem Nichts entsteht und dadurch vor Überraschungen besser gewappnet ist.
Zauberlaterne
1992: Gründung in Neuenburg
1994: Lancierung in der Deutschschweiz
1995: Lancierung im Tessin
Schweiz: 75 Säle
Schweiz: 22’000 – 24’000 Club-Mitglieder
Ausland: 10 Länder, darunter Mexiko, Argentinien, Senegal, Frankreich, Spanien, Polen und Georgien.
Zwei Projekte: In Südkorea und Marokko
Seit 1992 wurden für Sechs- bis Zwölfjährige insgesamt etwa 200 verschiedene Filme gezeigt und erklärt: Europäische (51%), amerikanische (25%), andere Kontinente (10%), Klassiker (9%), Schweizer (5%).
Mitgliederbeitrag: 40 Franken pro Kind für 9 Vorstellungen. Das zweite Kind derselben Familie zahlt 30 CHF, das dritte ist gratis.
Jahresbudget für Dachverein in Neuenburg, 20 Mitarbeitende (Filmauswahl, Programmierung, Promotion, Clubbegleitung, Übersetzungen, Ausbildung): 1,5 Mio. Franken. Die Clubs haben ihr eigenes Budget.
Die Zauberlaterne wird vor allem von der Sektion Film des Bundesamts für Kultur und der Loterie romande unterstützt. Die Post stellt ihr Sponsoring in diesem Jahr ein.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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