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«Man muss dafür sorgen, dass sie nicht ertrinken»

Das Rettungsschiff Aquarius fährt in den Hafen von Senglea in Malta
Läuft das Rettungsschiff Aquarius - hier in einem Hafen von Malta - bald unter Schweizer Flagge aus? Domenic Aquila/EPA

Das Rettungsschiff Aquarius verliert zum zweiten Mal in kurzer Folge seine Flagge. Derzeit befindet sich das Schiff mit 58 geretteten Flüchtlingen an Bord auf dem Weg nach Malta. Ohne Flagge müsste es seinen Dienst einstellen. Nun soll die Schweiz ihre Flagge hissen, fordert eine Gruppe von Parlamentariern.

Die Aquarius, mit der die Hilfsorganisationen «Ärzte ohne Grenzen» (MSF) und SOS Méditerrannée in Not geratene Flüchtlinge retten, ist das letzte nicht staatliche Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer. Seit Italien die Häfen für Rettungsschiffe schliesst, haben sich nach und nach alle NGO aus dem zentralen Mittelmeer zurückgezogen.

Am Wochenende hat Panama mitgeteilt, dass es der Aquarius die Flagge entziehen werde, weil das Rettungsschiff internationales Seerecht nicht respektiert habe. Im August hatte bereits Gibraltar die Aquarius aus ihrem Schifffahrtsregister gestrichen. Ohne Flagge kann das Schiff zu keinen Rettungsaktionen mehr auslaufen.

Migranten auf einem Kahn im offenen Meer
Obwohl vor ihnen Tausende ertranken, versuchen immer wieder Migranten in untauglichen und überfüllten Booten, das Mittelmeer zu überqueren. Diese Gruppe konnte von der Aquarius gerettet werden. Guglielmo Mangiapane/SOS Mediterranee/EPA

Diese Woche haben drei Schweizer Parlamentarier in einer Interpellation zu einer humanitären Geste der Schweiz aufgerufen. Die Schweiz solle dem Rettungsschiff seine Flagge geben. Einer der Interpellanten ist Kurt FluriExterner Link, Nationalrat der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen).

Kurt Fluri im Parlament
Kurt Fluri, Nationalrat der Freisinnigen Partei (FDP). Alessandro della Valle/Keystone

swissinfo.ch: Sie haben den Ruf eines Realpolitikers. Lässt sich diese humanitäre Idee denn auch umsetzen?

Kurt Fluri: Was uns bewegt, sind die Tragödien, die sich im Mittelmeer abspielen. Und vielleicht ist dies eine mögliche Lösung zur Linderung des Problems. Ob es eine Illusion ist, weiss ich nicht. Deshalb verlangen wir nun von der Regierung Auskunft dazu.

swissinfo.ch: Die Schweiz hat nur eine kleine Handelsflotte von 30 Schiffen. Weshalb soll ausgerechnet sie die Flagge für das Rettungsschiff hergeben?

K.F.: Wir sind uns einig, dass dies eine grosse Ausnahmesituation ist. Es ändert nichts an meiner Meinung, dass man primär dafür sorgen sollte, dass die Leute gar nicht erst versuchen, das Mittelmeer zu überqueren. Aber wenn sie es dennoch tun, soll man dafür sorgen, dass sie nicht ertrinken und in Europa aufgenommen werden.

swissinfo.ch: Laut Gesetz ist die Schweizer Flagge den Handelsschiffen vorbehalten. Wenn es für Ihr Anliegen eine Gesetzesänderung braucht, dauert es sehr lange, bis die Schweizer Flagge gehisst werden könnte. Aber für die «Aquarius» braucht es eine rasche Lösung.

K.F.: Der Sinn der Interpellation ist es, abzuklären, unter welchen Voraussetzungen was möglich wäre, um etwas zu erreichen. Was wir konkret unternehmen werden, hängt von der Antwort der Regierung ab.

swissinfo.ch: Wenn das Flüchtlingsschiff mit Schweizer Flagge unterwegs sein würde, entsteht dann nicht automatisch die Forderung, dass die geretteten Flüchtlinge in die Schweiz gebracht werden sollen?

K.F.: Es gilt nach wie vor das Dublin-System. Dieses regelt, welcher Staat für die Prüfung der Asylgesuche zuständig ist. Flüchtlinge müssen in dem Staat um Asyl nachsuchen, in dem sie erstmals den Raum der EU oder Anrainerstaaten wie die Schweiz betreten. Von dort aus erfolgt die Verteilung.

Die EU ist aber gefordert, eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge zu beschliessen, um die Mittelmeerländer Italien, Griechenland, Spanien möglichst schnell von den ankommenden Flüchtlingen zu entlasten.

Parlamentarier für Aquarius

Am Mittwoch haben drei Schweizer Parlamentarier in einer Interpellation zu einer humanitären Geste der Schweiz aufgerufen.

Die Schweiz solle dem Rettungsschiff seine Flagge geben. Einer der Interpellanten ist Kurt FluriExterner Link, Nationalrat der FDP.

swissinfo.ch: Haben Sie volles Vertrauen in die Verantwortlichen dieses Rettungsschiffes, dass Sie für dieses Schweizer Flagge zeigen wollen?

K.F.: Ja, ich habe Vertrauen in die Verantwortlichen.

swissinfo.ch: Panama hat seine Flagge zurückgezogen mit der Begründung, die «Aquarius» habe internationales Seerecht verletzt.

K.F.: Das ist meiner Ansicht nach eine Schutzbehauptung. Panama will diese Pflicht loswerden, die dem Land offenbar lästig geworden ist.

swissinfo.ch: MSF und SOS Méditerranné sagen, Panama ziehe seine Flagge auf Druck Italiens zurück. Halten Sie das für möglich?

K.F.: Druckversuche hat es bestimmt gegeben.

swissinfo.ch: Könnte dieser Druck nicht auch auf die Schweiz zukommen, wenn sie einspringen würde?

K.F.: Das ist möglich. Wir unterstützen die Forderung, dass die EU eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge beschliessen muss. Dann wäre auch Italien zufrieden. Leider versagt die EU in dieser Sache.

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