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Schweizer Vorschuss-Lorbeeren für die neue WTO-Generaldirektorin

Eine Frau hält Dokumente
Ngozi Okonjo-Iweala an einer Pressekonferenz in Genf. ©Keystone / Martial Trezzini

Auf die 61-jährige Ngozi Okonjo-Iweala, die am 1. März neue Generaldirektorin der angeschlagenen Welthandels-Organisation (WTO) wird, warten riesige Herausforderungen. Eine ist die Pandemie, eine andere die Wiederbelebung der Plattform zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten.

Die 164 Mitglieder der WTO haben die nigerianisch-amerikanische Doppelbürgerin Ngozi Okonjo-Iweala im Konsens gewählt. Möglich gemacht hat dies der Einzug Joe Bidens als neuer US-Präsident ins Weisse Haus.

Sein Vorgänger Donald Trump hatte alles getan, um die Organisation zu lähmen. Er wollte einen anderen, ihm genehmen Kandidaten als WTO-Generaldirektor. Ngozi Okonjo-Iweala ist die erste Frau und die erste Vertreterin eines afrikanischen Staates an der Spitze der WTO.

Die von der Obama-Administration blockierte Wiederbesetzung der Richterinnen und Richter des Berufungsgerichts – dem eigentlichen Schlichtungsgremium bei Zwistigkeiten im internationalen Handel – muss wieder anlaufen. Erst dann erlangt die Institution wieder ihre volle Handlungsfähigkeit zurück.

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Ngozi Okonjo-Iweala sagte den Medien am Tag ihrer Ernennung, eine starke WTO sei entscheidend für die Erholung von der Pandemie. Dr. Ngozi, wie sie genannt werden möchte, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den Zugang der Entwicklungsländer zu Impfstoffen und Technologien gegen das Coronavirus verbessern möchte. Eine Haltung, die noch keine breite Zustimmung findet.

NGOs fordern Ausnahmen von Patenten für die Impfstoffherstellung was zwar einige Staaten befürworten. Doch reiche Länder wie die Schweiz sind auf der Seite der Pharmaunternehmen, weil sie glauben, dass das diesbezügliche WTO-Abkommen (TRIPS) ausreichend sei.

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Okonjo-Iweala zitierte eine aktuelle Studie und warnte: Wenn die reichen Länder sich durchimpfen und gleichzeitig den armen Ländern den Zugang zu Impfstoffen verwehren, könnten die Kosten für die Weltwirtschaft 9000 Milliarden Dollar übersteigen.

Laut der neuen Generaldirektorin ist es unabdingbar, die WTO neu aufzustellen. Sie sieht Herausforderungen in Problemen, die das multilaterale Handelssystem schwächen, darunter die Unterbrechung der Lieferketten durch die Coronakrise.

Okonjo-Iweala möchte die Konflikte zwischen Entwicklungs- und Industrieländern entschärfen. Diese Spannungen haben sich im Handelskrieg zwischen Peking und Washington gezeigt.

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Die Sitzung des WTO-Generalrats fand online statt. ©WTO

Seit der Gründung der WTO im Jahr 1995 hat die Entwicklung globaler Wertschöpfungsketten zu einem fast dreifachen (2,7) Anstieg des Handelsvolumens auf 18 Billionen US-Dollar im Jahr 2019 geführt.

Nach den von der WTO im Oktober 2020 veröffentlichten Handelsstatistiken und Prognosen ist der weltweite Warenhandel 2020 um 13 bis 32% zurückgegangen. Aber das Handelsvolumen könnte bis 2021 wieder auf 7,2% steigen. Laut WTO wäre das eine «schwache Erholung».

Angesichts des Wildwuchses an bilateralen und regionalen Abkommen wird die Generaldirektorin das einzige multilaterale Handelssystem mit einem Streitbeilegungssystem wiederbeleben müssen. Diese Herausforderung ist umso grösser, als sich viele Länder auf «Wirtschaftspatriotismus» berufen.

Simon Evenett, Professor für internationalen Handel und wirtschaftliche Entwicklung an der Universität St. Gallen, sagte gegenüber swissinfo.ch, dass Ngozi Okonjo-Iweala gut aufgestellt sei, um sich für einen offenen Handel mit Impfstoffen und Impfstoffkomponenten einzusetzen und Handels- und Gesundheitsinitiativen voranzutreiben: «Wenn sie damit Erfolg hat, werden die Mitgliedsstaaten den Wert der Institution erkennen. Dies wiederum wird ihr helfen, andere Teile der WTO zu reformieren, die sich ändern müssen.»

Dabei denkt Evenett insbesondere an die Regulierung der digitalen Wirtschaft und die Integration der Klimaschutzbemühungen in die WTO. Laut Evenett ist die «Afrikaerfahrung der Generaldirektorin sehr wertvoll» für ein Handelssystem, das hauptsächlich vom Westen angetrieben wird: «Die Interessen der afrikanischen Länder werden mehr Aufmerksamkeit bekommen», sagt er.

Der afrikanische Markt ist riesig: Gemäss Berechnungen der Wirtschaftskommission für Afrika der Vereinten Nationen (UNECA) beträgt das Bruttoregionalprodukt rund 2,5 Billionen Dollar. Seit Mai 2019 existiert ein afrikanisches Freihandelsabkommen (AfCFTA), das 90% der Zölle auf Waren abschaffen soll.

«Wenn die afrikanischen Länder ihre Volkswirtschaften integrieren und den Handel ausbauen, wird dieses Abkommen auch zum globalen Handel beitragen», sagt Evenett. «Und die WTO ist in der Lage, den afrikanischen Ländern technische Hilfe bei der Umsetzung ihrer Handelspolitik zu leisten.»

Sibilla Bondolfi (aus dem Französischen)

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