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«AHV-Schmarotzer im Ausland» im Visier

Petra Gössi
FDP-Chefin Petra Gössi: "Rentner im Ausland generieren in der Schweiz keine Wertschöpfung. Sie zahlen weder Steuern, noch konsumieren sie hier." Keystone

Die Diskussion über die Zukunft der Renten hat die Pensionäre im Ausland erreicht. Ein Vorschlag von FDP-Präsidentin Petra Gössi, ausgerechnet dort zu sparen, sorgt für Empörung.  

Die Grosswetterlage über dem Schweizer Rentensystem hat sich verändert, seit klar ist, dass die AHV reformiert werden muss. Immer mehr Ältere erhalten eine Rente aus dem Topf der AHV, während immer weniger Junge in diese Rentenkasse einzahlen. Wird nichts gemacht, schlittert das System ins Minus.

Nun hat Petra Gössi, Chefin der Freisinnig Demokratischen Partei, eine Idee präsentiert. Sie soll helfen, die Balance wiederherzustellen. Im Visier hat Gössi die Renten, die ins Ausland gehen – zum grössten Teil an Fremdarbeiter, die ihr Arbeitsleben in der Schweiz verbracht haben und für den Ruhestand zurück in ihre Heimat kehrten, nach Italien hauptsächlich (234’500 Renten), Spanien oder Portugal.

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«Die im Ausland liegen uns auf der Tasche»

Unter Gössis Sparvorschlag fallen aber auch die Auslandschweizer. «Rentner im Ausland generieren in der Schweiz keine Wertschöpfung. Sie zahlen weder Steuern noch konsumieren sie hier», sagte Gössi der Zeitung Blick. «Ihnen vergolden wir den Ruhestand auf Kosten der nächsten Generationen», sagt die FDP-Präsidentin – und meint damit implizit auch Schweizer Rentner, die im Ausland leben.

Petra Gössi greift mit den Auslandrenten in die bereits laufende Debatte um die Rentenreform 2020 ein. Das Schweizer Stimmvolk stimmt in drei Monaten darüber ab. Gössi gehört zu den Gegnern der Vorlage, welche vorsieht, den Neurentnern zusätzlich 70 Franken auszuzahlen. Bei den Auslandrenten handelt es sich zumeist um Kleinstrenten zwischen 450 und 490 Franken, da machen zusätzliche 70 Franken einen Unterschied.

Gleichzeitig macht die Summe aller Auslandrenten aber gerade mal 13 Prozent aller ausbezahlten AHV-Renten aus. Gössi hat die Debatte nun entfacht – und erntet Zorn, von allen Seiten.

Grafik über AHV-Bezüger und Rentensummen im Ausland
swissinfo.ch

Gewerkschafts-Chefin Vania Alleva (Unia) findet den Vorschlag «beschämend und völlig widersprüchlich. Betroffen sind vor allem Italiener und Spanier, die die moderne Schweiz mit aufgebaut haben», sagt sie dem «Blick».

SP-Präsident Christian Levrat sagt: «Es ist eine Frechheit, wenn Frau Gössi diesen Menschen vorschreiben will, wo sie nach einem harten Berufsleben ihren verdienten Ruhestand geniessen sollen.»

Und der «Tages-Anzeiger» schreibt, dass ausgerechnet «die Parteichefin nun eine Neid-Debatte gegen AHV-Kleinstrentenbezüger aus Süditalien vom Zaun bricht», welche Abzockersaläre nie diskutieren wollte. Die Zeitung paraphrasiert Gössis Sätze deutlich: «Die AHV-Schmarotzer im Ausland liegen uns auf der Tasche.»

Auslandschweizer-Politiker Tim Guldimann konstatiert: „Für Gössi endet nationale Solidarität an der Landesgrenze.» Für die FDP sei die Fünfte Schweiz nicht mehr als das dekorative fünfte Rad am Wagen. Guldimann lebt in Berlin und ist SP-Nationalrat.

Für den ehemaligen Schweizer Botschafter liegt die Ungerechtigkeit aber nicht darin, dass die 70 Franken nur den Inland-Schweizern an den Ergänzungsleistungen abgezogen werden, sondern darin, dass «die Mitbürger im Ausland überhaupt von den Ergänzungsleistungen ausgeschlossen werden.» Dass sie bei der Vorlage nun von diesem Abzug verschont würden, sei lediglich eine «kleine Korrektur des bisherigen Misstandes.»

Renten nach Kaufkraft im Wohnland festlegen?

Wie auch immer sich die Debatte über die Auslandrenten nun entwickelt, sie wird kaum zu lösen sein von jener über die Renten der Auslandschweizer. Diese machen exakt 4,69 Prozent aller AHV-Renten aus, ausbezahlte Gesamtsumme pro Monat: 123’364 Franken (Stand Dezember 2016). Im Durchschnitt beträgt eine Auslandschweizer-Rente 1151 Franken. Das ist mehr als doppelt so viel wie jene Auslandrenten, die an Nicht-Schweizer ausbezahlt werden (491 Franken).

Am meisten Renten werden an Schweizer in Frankreich überwiesen (25 000). 9500 Auszahlungen erreichen Schweizer in Italien und 2300 Überweisungen gehen nach Thailand. Und gerade um Thailand rankt sich eine neue Sparidee: die kaufkraftbereinigte Auslandrente. Die rund sechsmal tieferen Lebenshaltungskosten in Thailand haben einige bürgerliche Politiker auf die Idee gebracht, man könnte weniger Rente in jene Länder überweisen, wo günstiger gelebt werden kann. Potenzial: Jeden Monat einige Tausend gespart – und garantiert viel Ärger.

Rund ein Drittel aller Renten-Begünstigten lebt im Ausland. Eine Quote, die in Zukunft zunehmen könnte. Wie die folgende Grafik zeigt, ist das Wachstumstempo der Begünstigten im Ausland schneller als jenes im Inland.

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Zudem nahm in den letzten Jahren auch die Anzahl jener Rentnerinnen und Rentner zu, welche die Schweiz verlassen haben.

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Anders als AHV-Begünstigte in der Schweiz haben im Ausland Angesiedelte keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen, sollte ihr Einkommen die minimalen Lebenskosten nicht decken. Auch erhalten sie im Fall von schwerer Invalidität keine Hilflosen-Entschädigung.

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