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Starker Franken bringt Schweizer Löhne unter Druck

Der Entscheid des Dental-Implantateherstellers Straumann (im Bild der Produktionsstandort Villeret im Berner Jura), den beschäftigten Grenzgängern den Lohn in Euro zu bezahlen, führte zu etlichen Schlagzeilen. swissinfo.ch

Länger arbeiten, weniger verdienen, Löhne in Euro ausbezahlt: Mit solchen Massnahmen steigen Schweizer Unternehmen in den Kampf gegen die Frankenhausse. Das Hochschnellen der Schweizer Währung nach der Aufgabe des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank macht vor allem Firmen aus der Exportbranche und dem Tourismus sowie in Grenzregionen zu schaffen.

Eine eisige Bise pfeift Anfang Februar über den Jura. Sie scheint Panik zu verbreiten, nicht nur in den Fertigungsbetrieben in den Hochtälern im Grenzgebiet gegen Frankreich, sondern in fast allen Industriebetrieben der Schweiz.

Der Grund: Am 15. Januar hob die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken auf. Als Reaktion auf den Schritt, der alle überraschte, inklusive die Märkte, schoss der Frankenkurs in die Höhe.

Nationalbank ändert Haltung

Eine massive Überschätzung des Frankens berge das Risiko einer Rezession und Deflation, sagte Philipp Hildebrand, der damalige SNB-Präsident, im September 2011. Damals kündete er an, dass die Nationalbank den Euro mit einem Mindestkurs von 1,20 Franken stützen und diesen Kurs «mit allen Mitteln» verteidigen werde.

Am 15. Januar 2015 gab SNB-Präsident Thomas Jordan die Aufhebung des Mindestkurses bekannt. Das Risiko, dass sich die Schweizer Wirtschaft 2015 und evtl. sogar darüber hinaus in einer negativen Inflation befinde, sei nicht mehr zu übersehen, so Jordan. Er geht aber nicht davon aus, dass die Schweiz in eine Deflationsspirale falle.

Mit einem Schlag verteuerten sich die Produkte der Betriebe aus der Schweizer Exportbranche, die in die Europäische Union liefern, um bis zu 15%. Mit 60% aller Schweizer Exporte ist Europa wichtigster Handelspartner der Schweiz.

Die Möglichkeiten der Betriebe, auf die neue Situation zu reagieren, sind beschränkt: Kosten senken oder die Belegschaft länger arbeiten lassen. Tatsächlich wurden die Mitarbeiter einiger Betriebe schon gebeten, sich aktiv an einem gemeinsamen Effort zu beteiligen.

Der Implantate-Hersteller Straumann beantragte dem Personal inkl. Management, 2015 auf einen Teil der Boni zu verzichten. Dazu zahlt das Basler Unternehmen die Löhne der Grenzgänger in seinen Reihen in Euro aus, gestützt auf einen fixen Kurs. Die Mitarbeiter von R. Bourgeois, einem Hersteller von Präzisionsmechanik aus dem Jura, verzichten auf 10% ihrer Löhne.

Entlassen und wieder eingestellt

Cloos Electronic aus dem Kanton Neuenburg entliess sämtliche 55 Mitarbeiter, um sie dann mit neuen Verträgen und zu neuen Konditionen wieder einzustellen. Im Klartext hiess das: tiefere Löhne, höhere Arbeitszeiten.

«Lohnsenkungen sind gefährlich und sollten erst als letztes Mittel eingesetzt werden.» 
Stéphane Garelli, Ökonom

Besonders akzentuiert hat sich die Situation im Kanton Tessin. Dort hat die Christlich-soziale Gewerkschaft (OCST)Externer Link festgestellt, dass nach Aufgabe des Euro-Mindestkurses 10 bis 15% der Arbeitnehmer im Kanton Lohneinbussen hinnehmen mussten. Deren Betriebe sind keinem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstellt. Bei der Gewerkschaft befürchtet man, dass diese Praxis in der Südschweiz auf andere Betriebe und Branchen übergreifen könnte.

«Lohnsenkungen sind schädlich, sie verstärken deflationäre Tendenzen und bedeuten eine ernste Gefahr für die Gesamtwirtschaft», warnte Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), in einem Zeitungsinterview.

Von der Rezession in die Depression

Der liberale Ökonom Stéphane Garelli teilt Lamparts Befürchtung. «Lohnsenkungen sind gefährlich und sollten erst als letztes Mittel eingesetzt werden. Greifen alle dazu, riskiert man die Verwandlung der sich ankündigenden Rezession in eine veritable Depression.» Diese, also der generelle Zerfall der Preise, hält der Professor der Universität LausanneExterner Link gegenwärtig für die grösste Gefahr für die Schweizer Wirtschaft.

Deflation – das Angstszenario

In einer Deflationsperiode, gekennzeichnet durch einen allgemeinen Preiszerfall, haben die Unternehmen keine andere Möglichkeit, als ihre Kosten zu senken.

Das wirksamste Mittel besteht in der Senkung der Löhne oder Entlassungen. Dies bringt sie aber in einen Teufelskreis, aus dem es nur schwerlich ein Entrinnen gibt.

Der Konsum bricht ein, weil die Menschen weniger Einkommen haben und bei Anschaffungen davon ausgehen, dass die Preise noch weiter fallen werden.

Die zunehmende Attraktivität des Schweizer Frankens als sicherer Hafen lässt jene von Investitionen in die Produktion sinken. Steigende Realzinsen lassen die Schulden anwachsen – für Unternehmen, den Staat und private Haushalte wird es immer schwieriger, Kredite zurückzuzahlen.

Trotz aller Befürchtungen wird das Gespenst der Deflation selten Realität. Im 20. Jahrhundert gab es die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, in den USA Grosse Depression genannt.

Der jüngste Fall betraf Japan: Nach dem Börsen- und Immobilien-Crash im Jahr 1991 litt die Wirtschaft fast zwei Jahrzehnte unter einer grassierenden Deflation.

Hände weg also von den Löhnen und damit der Kaufkraft der Konsumenten in der Schweiz. «Dagegen wäre es möglich, die Arbeitszeiten flexibler zu handhaben, indem die Arbeitsnehmer beispielsweise eine Stunde länger arbeiten müssen zum selben Lohn», so Garelli.

Sergio RossiExterner Link, Ökonomieprofessor an der Universität Freiburg, will zwar nicht von Deflationsgefahr sprechen. Aber er stimmt mit seinen Kollegen überein, dass Lohnsenkungen im Kampf gegen den starken Franken ökonomisch keinen Sinn machten. «Für die Unternehmen geht es um nichts weniger, als den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Wir sprechen hier nicht von den Gehältern der Manager, sondern von den Löhnen jener Mitarbeiter, die auf das Einkommen angewiesen sind, um ihre täglichen Ausgaben zu bestreiten. Lohnsenkungen haben negative Auswirkungen nicht nur auf den Konsum, sondern auch auf die Motivation der Mitarbeiter», so Rossi.

Willkommener Vorwand

«Lohnsenkungen haben negative Auswirkungen nicht nur auf den Konsum, sondern auch auf die Motivation der Mitarbeiter.» Sergio Rossi, Ökonom

Auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hatte in einem Interview des Tages-AnzeigersExterner Link von der Möglichkeit der Lohnsenkungen gesprochen. Nach eingegangener Kritik distanzierte sich der Bundesrat indes davon und hielt fest, dass Lohnverhandlungen Sache der Sozialpartner seien. Schneider-Ammann appellierte explizit an die Adresse der Unternehmer, dass Lohnsenkungen nur als Ultima Ratio eingesetzt werden sollten.

Rossi geht davon aus, dass zahlreiche Firmen den Entscheid der SNB lediglich zum Vorwand genommen hätten, um ihre Gewinnmargen zu halten oder erhöhen.

«Im Tessin sind die Firmen, die mit Lohnsenkungen reagiert haben, auch jene, die schon von den Grenzgängern profitieren und die früher oder später sowieso verschwinden werden. Das Problem daran ist, dass daraus ein Ölfleck werden könnte, der die Wirtschaft des Kantons Tessin und der ganzen Schweiz verschmutzt.»

Der Freiburger Professor kritisiert weiter, dass da und dort auf Alarmismus gemacht werde. «Dieselbe Diskussion hatten wir auch 2011 vor der Einführung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank. Doch die meisten Unternehmen aus der Schweizer Exportwirtschaft, ich denke vor allem an die Pharma- und die Uhrenindustrie, haben nur sehr am Rande unter den Währungseffekten gelitten.»

Stéphane Garelli sieht das anders. Der Lausanner Ökonom ist ein Kritiker der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank. Besonders missfällt ihm aber, dass die SNB den Schweizer Franken an eine einzige ausländische Währung gebunden hatte.

«Wir können nicht einerseits vorgeben, dass die Marke ‹Made in Switzerland› wichtig ist für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes, andererseits aber akzeptieren, dass der Schweizer Franken in nur wenigen Jahren um 40% gegenüber dem Euro zugelegt hat. Deutschland dagegen, dessen Wirtschaft ebenfalls weiter auf eine starke Industrie baut, profitierte sogar vom schwachen Euro. Zieht man zu stark am Seil, riskiert die Schweizer Wirtschaft, dass es reisst», warnt Garelli.

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(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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